Tulifant: Pelzchen, Smaragda, Fridolin. Foto: Lukas Beck
Wien / MuTh, Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: „TULIFANT“ von Gottfried von Einem und Lotte Ingrisch
Fridolin, die Rettung von Mutter Erde und ein Eiszeitdrache mit Schnupfen
Premiere am 12.5. 2018 – Karl Masek
Im Jahr 1984 machte sich Gottfried von Einem an die Vertonung des Librettos von Lotte Ingrisch. Die erste „grüne Oper“, so nannte er sie selber. Gleichzeitig die unwiderruflich letzte seiner 7 Opern, opus 75. 1984, da war doch noch was: Ach ja, die Besetzung der Hainburger Au! Als Folge großflächige Grünbewegung in Österreich. Die Uraufführung war dann erst im Oktober 1990 im Ronacher. Verzögerungen, Querelen waren dem vorausgegangen. Im Theater an der Wien lief gerade der Musical-Dauerbrenner „Cats“ – und da vertröstete und verschob der damalige Intendant des Theaters an der Wien, Peter Weck, (immerhin Auftraggeber des Werks) ein ums andere Mal. Und der damalige Staatsoperndirektor Drese wollte das Werk schon gar nicht haben. Er lobte im Nachhinein in seinem Buch „Im Palast der Gefühle“ seine Dramaturgen, die das Werk für die Staatsoper verhinderten und sprach sogar von Antikörpern, die man „gegen soviel Gesundbeterei“ entwickle…
Der in der Musik- und sonstigen Öffentlichkeit immer streitbare Einem (von der Brecht-Affaire im Salzburg der beginnenden fünfziger Jahre bis zur Waldheim-Affaire 1986) entwickelte in seiner Musik eine wunderliche Altersmilde, ein „Zauber der Besänftigung“ bewirkte auch bei lange Zeit deklarierten Einem-Gegnern eine Art Beißhemmung, manche sprachen sogar von einer unbelasteten und unkomplizierten musikalischen Versöhnung von Vergangenheit und Zukunft …
Das MuTh im Augarten entschloss sich zum Hunderter Einems, diese Oper (eine Hauptrolle, der Fridolin, soll von einem Knaben dargestellt werden, und es will eine Zauberoper für „Kinder von 9 bis 99“ sein) ins Programm zu nehmen.
Der Knabe Fridolin soll mit Unterstützung eines Eiszeitdrachens (mit Dauerschnupfen und dem Namen “Müff Müff“) und der Katze „Pelzchen“, seinen Vater Tulifant aus der Unterwelt (dem Totenreich) holen. Gleichzeitig soll die Mutter (Erde!), Smaragda, aus den Klauen des bösen Wüsterich, der sich als Fridolins Vater ausgibt, befreit werden. Er hat – nomen est omen – die Prinzessin Smaragda, die Mutter Erde, verwüstet. Fridolin bekommt als Schutz für seine Mission – nein, keine Flöte und auch kein Glockenspiel, sondern: ein grünes Zaubertuch. So weit, so klar. Ausbeutung der Erde im Namen des Fortschritts, Verwüstung, Zerstörung der Natur durch menschliche Gier, durch hemmungsloses Gewinnstreben und fatalen Fortschrittsglauben. Dagegen muss man was unternehmen – wie der kleine Held Fridolin …
Die szenische Realisierung dieses Stoffes lag in den Händen dreier Power-Frauen: Für die Inszenierung waren die Schwestern Rebecca und Beverly Blankenship verantwortlich. In der hübschen, farbigen, aber nicht überkandidelten Bühnenausstattung (leicht indianisch anmutend die Trommeln!) und den effektvollen Kostümen von Elisabeth Binder-Neururer wurde das „Märchenspiel über Verzauberung und Erlösung unseres Planeten Erde“ unter Vermeidung von gefühligem Pathos geradlinig, klar und stringent erzählt. Kindgerecht auch die zauberischen Lichteffekte (Stefan Pfeistinger). Bloß die Textdeutlichkeit ließ zeitweilig zu wünschen übrig (Schmunzeln musste ich, als ich im Programmheft las, dass die Kostümbildnerin Binder-Neururer in ihrer Studienzeit als eines ihrer ersten Kostüme 1984 das legendäre Auhirsch-Kostüm für DDr. Günther Nenning kreierte …).
Aug und Ohr blieben beschäftigt, es tat sich viel auf der Bühne, alle zwischen 9 und 99 verfolgten das Geschehen konzentriert und gespannt (Ein unbestechliches Qualitätsmerkmal, wenn es um Kindertheater geht!). Ich habe jedenfalls niemanden in Mobiltelefone schauen gesehen!
Einems Musik ist wie von weiter zeitlicher Ferne. Absolut tonal (er kümmerte sich längst nicht mehr, was stilistisch „sein darf“ und was nicht). Leitmotivik für Fridolin, den Buben mit der Trommel. Zwischenspiele von Akt 1 zu Akt 2 sowie von Akt 2 zu Akt 3 (auch mit Wiedererkennungs-Garantie), konventionelles Orchester mit differenziertem Schlagzeug und Gitarre. Homöopathische Dosen von Richard Strauss’scher Instrumentationsware, aber sonst weitgehend klar und gar nicht ausufernd instrumentiert. Bei Holbläsereinwürfen blitzt so etwas wie schrulliger Humor auf. Alles sozusagen angenehm altmodisch, altmeisterlich (die Chöre!), mit aparter Klanglichkeit unterfüttert.
Letztlich einfach gestrickt ist die Ingrisch-Vorlage. Jedes Kind versteht dann auch, wenn „die alte Lotte“ die Kinder im Programmheft darüber aufklärt, dass die Bibel uns nicht befiehlt, uns die Erde untertan zu machen, denn der aramäische Urtext lautet: „Geht und hütet, behütet die Erde.“
Durch Fridolin geht auch alles gut aus im Theater. Tulifant wird gerettet, Smaragda wird erlöst, der Bösewicht in die Schranken gewiesen – und Pelzchen heiratet Müff-Müff. Das hat (wertfrei, allenfalls ein bissl ironisch formuliert) natürlich etwas Beruhigendes, wie sanfte großmütterliche Worte oder ein Melissentee, am Abend schluckweise geschlürft.
Langweilig war’s, wie gesagt, nicht. Der Wiener Sängerknabe David (ohne Familiennamen angegeben!) spielte den Fridolin mit sympathischer Natürlichkeit und unaufdringlicher Bühnenpräsenz (auch die Alternativbesetzung Jeong-min wird drankommen!), meisterte den gar nicht leichten Gesangspart mit Anstand und schon leicht angedunkeltem Sopran. Da scheint sich der Stimmwechsel bald abzuzeichnen, nimmt man die Sprechstimme her.
Pelzchen (das „Baby“ aus der Zukunft) mit einer Zerbinettchen-Stimme: Da-yung Cho), Smaragda (Irena Weber mit dramatischer Durchschlagskraft), Wüsterich (David Jagodic, dem im Furor des Bösen schon mal der Charaktertenor kippte), Tulifant (Sreten Manoljovic mit guter Bühnenerscheinung und ausbaufähigem Bariton) und Müff Müff (mit steinzeitlich- gutmütigen Bassfarben und großer Niesfreudigkeit) gaben ein sehr respektables Ensemble ab.
Caspar Richter, einst Assistent von Lorin Maazel und als solcher auch in dessen kurzer Direktionszeit an der Wiener Staatsoper tätig, später langjähriger Chefdirigent bei den Vereinigten Bühnen Wiens an der Wienzeile und im Raimundtheater tätig, dirigierte schon die seinerzeitige Uraufführung. Er leitete die höchst engagiert spielende Schubert-Akademie und den klangschönen Chorus Juventus (Einstudierung: Michael Grohotolsky) mit all seiner Routine und Sicherheit.
Die Premiere wurde mit großem Applaus und Jubel akklamiert. Die anwesende Lotte Ingrisch wurde vom Publikum gefeiert, deutete gerührt mit einer Geste nach oben als wollte sie sagen, Gottfried würde gleich vorbei kommen und auch für den Jubel danken. Und die Stimmung hatte etwas von: Hatschi! Helfgott! Dass‘ wahr is‘!
Karl Masek