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WIEN/ MuTh: PASCAL DUSAPIN (29.5.1955*) Passion. Neue Oper Wien im MuTh (Österreichische Erstaufführung)

11.10.2024 | Oper in Österreich

PASCAL DUSAPIN (29.5.1955*) Passion. Neue Oper Wien im MuTh 10.10.2024 (Österreichische Erstaufführung)

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Fotocredit: Armin Bardelt

 

Als Auftragswerk des Festival d’Aix-en-Provence wurde Dusapins sechste Oper ebendort am 29. Juni 2008 uraufgeführt. Der Auftrag an den Komponisten lautete damals, sich ein Projekt zu Claudio Monteverdis Opernschaffen zu überlegen. Der Komponist reflektierte im Weiteren aber nicht nur dessen L’Orfeo, sondern auch die biblische Geschichte aus dem Buch Genesis über Lots Frau, die innehielt, um auf Sodom, ihren einstigen Wirkungsraum, zurückzublicken und dabei zur Salzsäule erstarrte (Gen 19, 26). Vor diesem Hintergrund durchleben zwei Menschen „Lei-Sie“ und „Lui-Er“ im italienischsprachigen Libretto von Dusapin und Rita de Letteriis zehn Passionsszenen, die sie reflektieren. Als „Tanzoper“ kämpfen die beiden Protagonisten mit ihren Gefühlen, Gegensätzen und Krisen und werden dabei von einem tanzenden und schwarz gekleideten Vokalensemble „Gli altri“, die Anderen, drei Frauen und drei Männern, begleitet, die ähnlich dem altgriechischen Chor das Geschehen madrigalartig kommentieren. Eine weitere Funktion dieses Chores besteht darin, die Gedanken der Protagonisten wiederzugeben, wobei der Orfeo-Mythos dabei in großen Zügen aus der Sicht der Eurydike erzählt wird. An manchen Stellen wird man aber auch an Virginia Woolfs Orlando (1928) erinnert, indem „Er“ das Korsett von „Ihr“ anlegt und auch deren Pumps anprobiert, sohin in eine andere Geschlechterrolle schlüpft. Das lateinische Wort Passio steht übrigens für Leiden oder Mitleid und in diesem Sinne erleben die Protagonisten ihre Liebesbeziehung auch als krankhafte Obsession, die schließlich in einem Femizid gipfelt, indem Sie von Ihm mit dem Hochzeitsschleier erdrosselt wird, der sodann zu ihrem Leichentuch gerät. Die Regisseurin Ursula Horner entschuldigt keineswegs Gewalt gegen Frauen, denn jegliche Gewalt innerhalb einer Beziehung dürfe nicht erklärt werden.

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Fotocredit: Armin Bardelt

Bariton Wolfgang Resch (Lui) und die türkische Sopranistin Melis Demiray (Lei) gelingt ein erschütterndes Bild dieser von ihren Gefühlen vollkommen zerrissenen Figuren. Das poetische Libretto ist vielschichtig und lässt viele Fragen offen und ebenso viele Interpretationen zu. Die Regisseurin legt das höchstaktuelle Problem der Gewalt an Frauen ins Zentrum ihrer Arbeit. Die Musik des Komponisten Pascal Dusapin, eines Schülers von Iaannis Xenakis, zieht die Zuhörenden hypnotisch in ihren Bann. Zu dem kleinen, aus einem Streichquintett, acht Bläsern, Cembalo, Keyboard, Harfe und Oud, bestehendem Orchester, treten noch Live-Klang und elektronische Musik, hörbares Atmen, Stöhnen, Flüstern und Ächzen der Singenden bereichern die Ausdrucksformen dieser filigranen Partitur von Dusapin. Melis Demiray als Frau bewältigt die zahlreichen Spitzentöne problemlos, während die Partie des Mannes gesanglich weniger dramatisch ausfällt. Die sechs Mitglieder des PPCM Vokalensembles der Kunstuniversität Graz, Beatriz Gaudêncio Ramos (Sopran I), Laure-Catherine Beyers (Sopran II), Justina Vaitkute (Alt), Valentino Blasina (Tenor), Martin Simonovski (Bariton) und Harald Hieronymus Hein (Bass), alle in schwarz gekleidet, verstärken mit ihren tänzerischen Bewegungen den Kontrast zu den ganz in Weiß gekleidetem Liebespaar. Durch das Bühnenbild von Norbert Chmel entstehen im Zusammenspiel mit den Kostümen von Melanie Jane Frost und dem Lichtdesign von Vasil Lisichov spannende Bilder. Das Bühnenbild wirkt, wie ein aufgeklapptes Buch mit jeweils drei Eingängen zu beiden Seiten, durch welche die Choristen auftreten können. Der Raum bleibt aber sonst verschlossen, die Protagonisten können aus ihm nicht ausbrechen, wodurch sich ihre Lage immer mehr zuspitzt. Der Spiritus Rektor der Neuen Oper Wien, Walter Kobéra, leitete das amadeus ensemble-wien umsichtig und mit ruhiger Hand. Die klanglich subtil an die französische Barockmusik anspielenden dissonant-hypnotisierenden Passagen in der Partitur werden dabei immer wieder von empfindsamen Cembaloklängen untermalt. Das Publikum bedankte alle Mitwirkenden, das Regieteam, den Dirigenten und den Komponisten mit großzügigem Applaus, dem sich der Rezensent bereitwillig anschloss.  

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Fotocredit: Armin Bardelt

   Harald Lacina, 11.10.2024

 

 

 

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