Vera Karner. Foto: Karner
Zyklus „Young Musicians“ – Vera Karner, Klarinette, Simply Quartet, Streichquartett, und Dominik Wagner, Kontrabass im Gläsernen Saal des Musikvereins am 17. Mai 2019
Das Kammerkonzert mit der Klarinettistin Vera Karner, Preisträgerin vieler Wettbewerbe, war eine Sternstunde für die Liebhaber der musica da camera. Zwei der von ihr ausgewählten Kompositionen verdankten ihre Entstehung beglückenden und äußerst fruchtbaren Künstlerfreundschaften zwischen Komponisten und bedeutenden Klarinetten-Virtuosen, nämlich Carl-Maria von Weber und Karl Bärmann sowie Johannes Brahms und Richard Mühlfeld. Darüber hinaus lernte der Zuhörer ein sehr eindrucksvolles Werk kennen, das der zeitgenössische Komponist Wolfram Wagner seinem Sohn, dem Kontrabass-Virtuosen mit Carnegie-Erfahrung, Dominik Wagner, mit einem Trio für Klarinette, Kontrabass und Klavier „auf den Leib geschneidert“ hatte.
Es ist in der ernsten Musik eine Erfahrung, die bis heute gilt: Wenn das schöpferische Genie sich von der singulären Kunst von Ausnahmeinterpreten inspirieren lässt, entstehen häufig Werke mit göttlichem Funken, die den Musikliebhaber immer aufs Neue entflammen. Dies gilt bis heute für die musikalischen Perlen, die den Seelenverwandtschaften zwischen Mendelssohn und dem Geiger David, Robert und Clara Schumann, Liszt und Paganini oder Britten und Pears zu verdanken sind. Die Aufzählung ließe sich bis zu Wolfram und Dominik Wagner fortsetzen. Diese Werke stellen in jeder Hinsicht höchste Anforderungen an die Kunst der Interpreten.
Zu dieser Kategorie gehört auch der Gigant der Kammermusikliteratur für Klarinette und Streicher, das Klarinettenquintett op. 115 von Johannes Brahms. Vera Karner und das Ensemble Simply Quartet widmeten sich dieser Komposition mit jugendlichem Elan und gaben ihr die Frische, nach der sie verlangt – schließlich hatte die Inspiration durch den Klarinettisten Mühlfeld Brahms zu einem zweiten musikalischen Frühling verholfen. Dabei kosteten die Künstler alle Effekte und die wunderbaren Kantilenen, die Brahms jedem einzelnen Instrumentalisten einschließlich der zweiten Violine zugedacht hatte, mit großer Leidenschaft aus. Vera Karner ließ bei ihrem Spiel keinen Zweifel an der souveränen Beherrschung ihres schönen Instruments. Dabei spielte sie immer mit warmem Ton, und zwar über den gesamten Tonumfang. Atemberaubend waren ihre Steigerungen vom gehauchten Pianissimo bis zum Forte. Es war berührend zu hören, wie sich die junge Interpretin im Adagio musikalisch in die Melancholie des Alters und des Abschieds vom Schaffen und vom Leben (wie soll man sonst die Tonart h-moll deuten) hineinfühlte und die tiefe Traurigkeit der Zigeunerklänge nachempfand, die Brahms seit seiner Jugendzeit in Hamburg kannte und die für ihn, wie wir wissen, eine große Quelle der Inspiration waren. Vera Karner hat zusammen mit Simply Quartet diesen Abend zu einem echten musikalischen Erlebnis werden lassen, indem sie das Quintett so zelebrierte, wie man es in den heiligen Hallen des Musikvereins erwartet. Das bescheidene Attribut „simply“ im Namen des Streichquartetts könnte missverstanden werden. Deshalb muss unterstrichen werden, dass die jungen Künstler, die für Vera Karner den roten Teppich ausrollten, meisterhafte Kammermusiker sind und ihre Kunst auf beneidenswert feinen Instrumenten darbieten.
Im Fantasiestück 2014 für Klarinette, Kontrabass und Klavier von Wolfram Wagner wird deutlich, dass der Komponist nicht nur mit dem Titel Bezüge zu Schumann evoziert, sondern wie ein Romantiker die Musik zum Ausdruck von großen Gefühlen einsetzt. Dies war schon bei der ersten Begegnung mit diesem Werk erkennbar. Alle Ingredientien, die Kammermusik interessant gestalten, wie das bewusste Einsetzen, aber auch das Ausreizen der klanglichen Möglichkeiten jedes einzelnen Instruments, die intelligente musikalische Konversation zwischen den Instrumenten sowie die raffinierte Verarbeitung der Motive sind in der Musik von Wolfram Wagner deutlich präsent. Das Stück lässt auch deshalb aufhorchen, weil sich die Instrumentalisten als echte Virtuosen präsentieren können. Während die Zuhörer diesen Effekt, wenn er dem Klavier und/oder der Klarinette übertragen wird, als selbstverständlich erachten, tritt große Verwunderung auf, wenn der Kontrabassist zeigen kann, dass er unter anderem auch ein sauberes Prestissimo spielen und das Instrument in einer Art von wunderbarem elegischen Belcanto zum Schwingen bringen kann. Die jungen Künstler haben dieses Werk mit offensichtlicher Freude vor einem dankbaren Publikum interpretiert. Vera Kerner, Dominik Wagner und der Pianist Maciej Skarbek waren ein kongeniales Ensemble zur weiteren Bekanntmachung dieses bemerkenswerten Werkes.
Das Klarinettenquintett B-Dur Op. 34 von Weber gab Vera Karner schon zu Beginn des Konzerts Gelegenheit, sich virtuos zu entfalten und das Publikum mit musikalischem Witz und technischer Brillianz von ihrer Kunst zu überzeugen. Wie kaum ein zweiter Komponist ermöglicht Carl Maria von Weber dem Interpreten den direkten Zugang zu den Herzen des Publikums – immer große Musikalität und höchste Virtuosität vorausgesetzt. Vera Karner hat diese Chance klug genutzt und das Publikum zu großer Begeisterung hingerissen. Auf die weiteren musikalischen Höhenflüge dieser außergewöhnlichen Künstlerin kann man gespannt sein. Brava!
Dr. Christian Beinhoff