Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Musikverein: SOLOMON – Oratorium von Georg Friedrich Händel. Arnold Schoenberg Chor,  Concentus Musicus Wien

Die weise Lichtgestalt und der Mutterstreit

08.03.2020 | Oper

Bildergebnis für concentus musicus
Concentus musicus. Foto: Joachim Baumann

WIEN / Musikverein: Georg Friedrich Händels Oratorium „SOLOMON“, Arnold Schoenberg Chor,  Concentus Musicus Wien

Die weise Lichtgestalt und der Mutterstreit

8.3. 2020 (Karl Masek)

Man wird erinnert an Bert Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“. Den gab es schon in der Bibel. Damals bekleidete der berühmte und weise König Salomo das Richteramt. In Brechts Stück zerren zwei Frauen (eine davon die rechtmäßige Mutter) an den Armen eines Kindes, welches beide als das eigene ausgeben. Im Alten Testament geht es drakonischer zu: „Salomonisches“ Urteil:  das Neugeborene soll mittels eines Schwertes gerecht halbiert werden. Eine weise und überraschende Methode der Wahrheitsfindung. Die echte Mutter verzichtet unter Tränen auf das Kind, denn diesem soll kein Leid widerfahren. Sogleich wird sie als Mutter anerkannt. Dem Kind geschieht kein Leid…

Im dreiaktigen Oratorium des Georg Friedrich Händel ist die Szene „Solomon (wie er hier heißt) und die beiden Frauen“ ins Zentrum des Mittelaktes gestellt. Händel erweist sich hier als musikalischer Psychologe feinsten Zuschnitts.  Und viele in der Fachwelt meinen da, zum wahrscheinlich größten Seelendurchschauer der Musikgeschichte, Mozart, sei da nur noch ein Katzensprung.

 Im ersten Akt gibt es noch ausführliche Lobpreisung Gottes und Huldigungsgesänge auf den ruhmreichen Salomo, über das Gelingen des Tempelbaus und die Liebe zu seiner Frau, Tochter des ägyptischen Pharaos. Im Schlussakt stattet die Königin von Saba „dem Kollegen Salomo“ einen Staatsbesuch ab. Aus Interesse für dessen Weisheit und friedliche Außenpolitik, die auf Kunst und Musik setzt. An Protagonisten in der heutigen Weltpolitik mag man da nicht denken…

Im Jahr 1748 ist dieses Oratorium in nur 6 Wochen entstanden. Es war in der  Regentschaft des eben gekrönten Georg II. Hoffnung auf friedlichere Zeiten sollten auf den König projiziert werden, wobei die bibelfesten Briten in Covent Garden sehr rasch die Händel’sche Absicht durchschauten: Den ziemlich penetrant als Lichtgestalt und grundgütig gezeichneten „Solomo“ hatten sie aus der Lektüre durchaus nicht nur positiv in Erinnerung. Wird er doch auch als eitler, selbstverliebter und prahlsüchtiger „Erotomane“ geschildert.

Also: Jubel über Jubel, eine Huldigung und Lobpreisung jagt die nächste. Der Oberpriester Zadok ist der Oberjubler und –lobpreiser. Michael Schade stattet diese repräsentative Figur mit all seiner langjährigen Händel-Erfahrung und oft gerühmten (Bühnen)Präsenz aus. Mit gleißenden Tenorfarben, schlanker Stimmgebung,  in den Rezitativen mit „Evangelisten-Stimme“ und sorgfältigster Textbehandlung, setzt er sich gebührend „in Szene“. Er hält vom ersten Moment an einen gekonnten Spannungsbogen, überzeugt in den Arien mit eleganten Phrasierungskünsten ebenso wie mit perfekten, mit Agilität präsentierten Koloraturen. Das ist höchst bemerkenswert für einen Sänger, der längst auch im dramatischeren Fach „Florestan“/“Erik“/“Peter Grimes“/ oder im Konzertfach bei Mahlers „Lied von der Erde“ … angekommen ist! Dass Händel durchaus mit feiner Ironie arbeiten konnte, lässt sich auch aus „Solomon“ herauslesen.  Schade beglaubigt auch das mit sängerischer Pointiertheit und bedeutungsvollen Steigerungen, aber auch mit kleinen mimisch-gestischen und körpersprachlichen „Einsprengseln“…

Ausufernd lyrische Farben, duftige Klangmalerei samt ohrenkitzelnder Terzen-Parallelen,  wenn das Ideal edler Bündnisse, Liebe und Treue besungen wird („Search round world, there never yet was seen / So wise a monarch  or so chaste a queen“). Wenn dann Schlummerlied-mäßig gar Nachtigallen beschworen werden („While nightingales lull them to sleep with their song“), bekommt das alles etwas wohlig Seditierendes…

(In der Pause sucht man rettend Belebendes. Beim Büffet ziemliches Gedränge. Gusto auf Sparkling wine oder Koffeinhaltiges. Sollte jemand allerdings zur Pause gegangen sein – ein schwerer Fehler!)

Musikalische Zuspitzung in den Akten II und III. Ein meisterhaft gesetztes Terzett (s.o.!), eine hinreißende Rachearie, festliche Orchesterfarben, glanzvolle Chornummern, fünf- bis achtstimmig (wenn die Macht der Musik besungen wird), naturalistische Instrumentations- und Rhythmuseffekte (wenn  „Wiehernd‘ Rosse“ und wildes Reiten imaginiert werden), betörende Sequenzen von Flöten, Oboen, Fagotten – schließlich die schmetternden Hörner und gleißenden Trompeten. Triumphales Chor-Finale („The name oft he wicked shall quickly be past; But the fame oft he just shall  eternally last“).

Stürmisch bejubelt der „Hauptheld“ des Abends: der Arnold Schoenberg Chor. Er hat sich wieder einmal selbst übertroffen. Er singt pastorale Andachtstöne ebenso schlafwandlerisch sicher wie den Luther-Choral-Ton, der bei „God alone is just and wise“ zitiert wird. Repräsentativ-Feierliches wird nie vordergründig bombastisch, bleibt immer auch federnd schlank und rhythmisch prägnant (Einstudierung: Erwin Ortner: Chapeau!).

Von den ursprünglich angekündigten 5 Sänger/innen blieben bloß zwei übrig: neben dem schon gewürdigten Michael Schade nur noch Cornelia Horak. Staunenswert, wie sie (hochmusikalisch, dabei immer bescheiden und ohne jegliches Glamour-Star-Getue) kostbar jugendlichen Stimmklang in einer gut 3 Jahrzehnte währenden Karriere konservieren konnte! Ein bestens fokussierter Sopran. Perfekte Stimmtechnik, gepaart mit dem Wissen um die Spielarten Alter Musik, die immer neu und frisch klingt, wenn Könnerinnen wie sie sich ihrer annehmen! Sie war eine überzeugende „Königin von Saba“ und legte eine fulminante Rache-Arie hin (die von der „falschen Mutter“ – „Zweite Frau“).

Einspringerin Robin Johannsen (für die angekündigte Emöke Baráth)  hob sich mit weichem Sopran als Solomons Frau („Queen“) und als die rechtmäßige Mutter mit berührenden Schmerzenstönen („Erste Frau“) sehr gut ab vom mehr gläsernen Organ der Sopran-Kollegin, was dem Terzett mit dem Titelhelden sehr zugute kam.

Bass-Bariton Matthias Helm (eingesprungen für André Schuen) war als „Levite“ mehr als ein bloßer Stichwortgeber und nahm mit zwei liedhaft vorgetragenen Arien sehr für sich ein.

Schließlich der Titelrollen-Held und Protagonist: David DQ Lee. Der kanadisch-koreanische Altus-Counter sprang für den vorgesehenen Australier David Hansen ein. Er brauchte eine gewisse Anlaufzeit, um sich von einem nervös-flackernden, „kurzen“ Vibrato freizusingen. Sein Organ: angenehm, weitgehend Schärfe-befreit. Die sanften Charakterzüge des Herrschers kamen überzeugend zur Geltung. Er ist ein Legato-Sänger von Graden, hat auch gewisses Steigerungs-Potenzial, die Stimme hat sicheren „Sitz“.

Eulen nach Halle oder London zu tragen hieße es, den Concentus Musicus Wien bei Händel zu loben. Von der Harnouncourt-Zeit zehrt man naturgemäß (Konzertmeister Erich Höbarth ist da einer der unverzichtbaren Zeitzeugen!), aber es geht unaufhaltsam in die Zukunft. Und hier ist Stefan Gottfried nicht nur ein Staffelträger, der gloriose Asche anbetet, sondern das Feuer weiter trägt. Er wächst immer besser in diese Rolle hinein, strahlt Intensität, zugleich Gelöstheit, aus. Er ist kongenialer Nachfolger eines Großen –  gleichzeitig aber innovative, neue, andere Persönlichkeit!

Karl Masek

 

 

Diese Seite drucken