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WIEN/ Musikverein: ORF Radio-Symphonieorchester Wien/Marin ALSOP Frauenpower im Konzert mit Robert Schumann und Hans Werner Henze

23.02.2020 | Konzert/Liederabende

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Marin Alsop. Foto: Adriana White

WIEN/Musikverein: ORF Radio-Symphonieorchester Wien/Marin ALSOP

Frauenpower im Konzert mit Robert Schumann und Hans Werner Henze – und ein Goldgriff mit der neuen Chefin!

23.2. 2020 – Karl Masek

Der britische Kulturjournalist und Buchautor Norman Lebrecht hat in seinem damaligen Dirigenten-Beststeller „Der Mythos vom Maestro“ 1993 sein Kapitel XIII (Seite 289 ff)  „Außenseiter“ genannt. Untertitel: Frauen, Farbige, Homosexuelle. Also, als Künstler am Dirigentenpult bestenfalls als Exot/innen betrachtet, in der Regel aber strikt abgelehnt. Die Wiener Philharmoniker z.B. waren damals von weiblichen Mitgliedern noch weit entfernt. Dass man am 15.4. 1995 erstmals eine Dirigentin am Pult der Wiener Staatsoper vorfand (Simone Young dirigierte Rigoletto), wurde als Sensation vermerkt, aber von etlichen irgendwie immer noch als „un-erhört“ empfunden). Ein philharmonisches Abonnement-Konzert unter der Leitung einer Dirigentin  harrt – wenn ich jetzt nicht völlig falsch liege – bis heute einer Premiere …

Marin Alsop gehört zu den Vorkämpferinnen, die sich in einer Branche, die sich lange Zeit als besonders männer-zentriert und emanzipations-resistent geriert hatte, mit besonderem Können, selbstbewusster Persönlichkeit und ausdauernder Beharrlichkeit durchgesetzt hat. Ein wichtiger Mentor für sie war Leonard Bernstein, der damals bei den New Yorker Philharmonikern in den 60er Jahren sogar Statuten ändern ließ, damit auch hochtalentierte Frauen  zumindest die Chancen für Assistenten-Stellen wahrnehmen konnten. Und er machte sich damals in N.Y. nicht unbedingt zusätzliche Freunde!

Eben diese Marin Alsop ist seit Beginn der Saison 2019/20  1. Chefdirigentin des ORF-RSO.  Sie hat sich bereits bei der Eröffnung von WIEN MODERN bestens eingeführt. Und nun das 1. Konzert im RSO-Zyklus des Musikvereins.

Robert Schumann (mit den Symphonien Nr. 1 und Nr. 2) bildete den Rahmen, war das Programm-Zentrum.  Hans Werner Henze (mit „Nachtstücke & Arien nach Gedichten von Ingeborg Bachmann für Sopran und großes Orchester aus dem Jahr 1957“)  in der  Konzert-Mitte).

Bleiben wir gleich einmal bei Henze: Marin Alsop empfindet eine starke Affinität zwischen ihm und Schumann. Beide fühlten sich offenbar nicht verpflichtet, „Zeitgeistiges“ zu bedienen.

Also: 1957, die Uraufführung dieses Henze-Werks. In Donaueschingen, der Kaderschmiede der „Seriellen“, der „Atonalen“. Nach dem „Nachtstück I“ und der „Aria I“: Stockhausen, Boulez und Luigi Nono (der damals als ein persönlicher Freund H.W. Henzes galt!) verließen mitten im Konzert türenknallend den Saal. Sie waren „verblüfft“, dass es einer der „vermeintlich Ihren“ gewagt hatte, so völlig gegen deren Intentionen zu schreiben. Henze war in dieser dogmatischen Denkweise ein Verräter: er hatte nicht streng seriell komponiert, sondern schrieb lyrisch-expressionistisch – was damals in den fünfziger Jahren als hoffnungslos rückständig bezeichnet wurde.

Aber, wir wissen: Henze scherte sich niemals um „den Zeitgeist“. Kompositorisch nicht, und schon gar nicht politisch!

Das klang dann sozusagen spätest-tonal, oder bi-, oder polytonal. Wie angereichert mit Franz Schreker, vielleicht sogar noch von  Richard Strauss‘-Instrumentationskunst  gestreift! Irgendwie von einem musikalischen Hedonismus, fünfzig Jahre vorher, berührt …

Henze hatte der für ihn unerträglich gewordenen Bundesrepublik Deutschland bereits den Rücken gekehrt und sich in Italien angesiedelt. Und mit Ingeborg Bachmann angefreundet.

Juliane Banse war die Anwältin der Arien dieser  „Nachtstücke“. Mit betörend schwebenden Nachtigallentönen (jugendlich-dramatisch sich zuspitzend, halsbrecherische Intervallsprünge großartig bewältigend!), die spröde Poesie der Bachmann-Lyrik mit sublimer Legato-Kultur durchmessend (z.B. Aria II; Mit schlaftrunkenen Vögeln/Und winddurchschossenen Bäumen/Steht der Tag auf, und das Meer/Leert einen  schäumenden Becher auf ihn…).

Henze schrieb Kantilenen, schrieb ungeniert  Melodien (Das hat die Gralshüter der Atonalität damals offenbar  schwerst irritiert)! Allerdings: Er war auch in der Zwölftonmusik zu Hause! Er kannte und konnte das alles…

Zurück zu Marin Alsop! Sie war bei der „Ersten“ wie bei der „Zweiten“ Schumann  Anwältin für den Komponisten wie selten jemand zuvor!  Man spürt Schumanns eigene emotionelle Befindlichkeit geradezu schmerzhaft. Seine Ängste, seine Schreibblockaden, seine Depressionsschübe – sogar das, was man heute „Panikattacken“ nennen würde. Alles unstet Drängende, alles nervös Hektische. Was resultiert daraus? Unglaublich hochdramatische und hochromantische Musik mit all ihren seelischen Abgründen. Marin Alsop macht das alles spür- und erlebbar. Mit einer Mischung aus musikdienlicher Sachlichkeit und dem Aufbrechen aller hochdramatischen Effekte.

Im Falle der „Zweiten“ (C-Dur, op. 61) wurde die  „Fassung mit Instrumentalretuschen von Gustav Mahler“ gespielt.  Für alle, die sich heute alterieren, wenn Regisseure in die Substanz von Originalwerken eingreifen und Dinge weglassen oder einem Werk  zusätzliche „Kommentare“ einverleiben: Musikalisch wurde auch in der Vorvergangenheit schon immer dann eingegriffen, wenn man etwas als nicht mehr „zeitgemäß“ empfunden hat. Gustav Mahler hat im Falle der Schumann-Symphonien Nr. 2 bis 4 nicht unwesentlich eingegriffen, was bei den Orchestern prompt nicht gut angekommen ist. Die wollten sich Originalwerke nicht „verbessern“ lassen. Beim Erst-Eindruck war – nicht böse sein! – nichts feststellbar, warum Schumanns Original so schlecht instrumentiert gewesen sein könnte…

(Erinnerungsblatt der allerletzten Wochen: Vier Erlebnisse mit Dirigentinnen – allesamt mit Frauenpower-: Man ist emotional gepackt, schaut ihnen allen gerne auch beim Dirigieren zu. Von Simone Young in der Wiener Staatsoper – A Midsummernights Dream – über Oksana Lyniv – der Bártók-Abend mit Herzog Blaubarts Burg in München – bis zu Michi Gaigg – eine Mozart-Beethoven-Schubert-Matinee in Linz, und eben jetzt die neue ORF-RSO-Chefin: Niemals geht es um dirigentische Selbstdarstellung und Eitelkeiten, immer um die jeweils zu präsentierende Musik!)

Aber egal, ob Originalfassung oder Retuschen: Marina Alsop war absolut  überzeugend. Das ORF-RSO-Orchester glänzte als Kollektiv und in allen solistischen Herausforderungen! Man hatte den Eindruck: die Chemie zwischen dem Orchester und der Chefin stimmte 100%ig. Was für die Zukunft höchst positiv stimmt!

Frauenpower auch an diesem Konzert-Vormittag. Und: Dem ORF-Management ist mit diesem Engagement offensichtlich ein Goldgriff gelungen. Da geht die erste Frau an der Spitze des Orchesters mit offenen Ohren, offenem Herzen und wachem Geist an die Werke und damit an die künstlerische Aufgabe heran.

Der Jubel signalisierte: Auf viele weitere tolle Konzerte!

Karl Masek

 

 

 

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