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WIEN/ Musikverein: ORF Radio-Symphonieorchester Wien/ Cornelius Meister/Gidon Kremer 30.09. 2016. Außerhalb ausgetretener Pfade – und ein IMAX®-Klang-Kino

01.10.2016 | Konzert/Liederabende

WIEN/Musikverein: ORF Radio-Symphonieorchester Wien/ Cornelius Meister/Gidon Kremer 30.09. 2016

Außerhalb ausgetretener Pfade – und ein IMAX®-Klang-Kino

 Jubel für Gidon Kremer nach dem Konzert für Violine und Orchester g-Moll, op. 67 des polnisch-russischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919 – 1996). Das Leben des in Warschau Geborenen war überschattet von zweimaliger Flucht vor den Nazis nach Taschkent, Minsk, schließlich abermals Taschkent und Moskau. Seine Familie wurde damals ermordet. Aber auch unter dem Stalin-Regime war er antisemitischer Verfolgung ausgesetzt. So warf man ihm vor, in der Krim eine jüdische Republik gründen zu wollen. Er wurde verhaftet, und nur durch Schostakowitschs Fürsprache konnte eine Begnadigung erreicht werden.

In Weinbergs Musik hört man auch immer seinen Freund, Förderer und Mentor, Dmitrij Schostakowitsch, heraus. Die obsessive Motorik, aber vor allem die Melancholie und Weltverlorenheit eines Einsamen. Gidon Kremer ist dieses Violinkonzert eine Herzensangelegenheit, wandelt er überhaupt mit Vorliebe außerhalb ausgetretener Pfade, wie er es nicht zuletzt etliche Jahre auch beim Festival in Lockenhaus mit der Kremerata Baltica vorgeführt hat. Er spürt in dem viersätzigen Werk Weinbergs feinsten Verästelungen nach, zwingt das Auditorium zu höchster Konzentration und lässt es an seiner Entdeckermentalität teilhaben. Entlockt seiner Violine von Amati aus dem Jahr 1641 geradezu stratosphärische Klänge und geht mit Ausnahme des Kopfsatzes kaum über ein Piano hinaus. Das ORF-Orchester  gestaltete gleichgestimmt.

„Ich spiele jetzt noch ein Prélude von Mieczslaw Weinberg, einem Komponisten, der noch zu entdecken ist“, so Gidon Kremer bei der Ansage seiner Zugabe. In der Tat: Das umfangreiche Gesamtwerk des Vielschreibers (22 Symphonien, etliche Instrumentalkonzerte, eine fast unüberschaubare Fülle an Kammermusik) harrt der Entdeckung. Sein vielleicht größtes Werk, die Oper „Die Passagierin“, ging erst 2010 bei den Bregenzer Festspielen umjubelt über die Bühne.

Auch eine Österreichische Erstaufführung gab es bei diesem spannend programmierten Konzert: „Inseln“ für Orchester des Linzers Gerald Resch (Jahrgang 1975, u.a. Schüler von Beat Furrer). Die Uraufführung fand Tags zuvor in Bukarest statt.

Resch schreibt zu diesem knapp 15-minütigen Werk: „Im norddeutschen Wattenmeer tauchen im regelmäßigen Wechselspiel von Ebbe und Flut … Sandbänke auf, die unter der gestalterischen Kraft des Meeres jedes Mal geringfügig ihre Form und Kontur verändern. Dieses Schauspiel hat mich tief beeindruckt… und ich glaube, dass diese Beobachtungen wichtig waren, um diese Musik zu erfinden“

 Folgerichtig ist Reschs Musiksprache in diesem Stück in seiner amorphen Klanglichkeit kleinteilig, in Bewegungsabläufen sich verdichtend. Choralartige Momente und ein Solo für Piccolo-Flöte lassen aufhorchen. Das alles erschließt sich mir beim Ersteindruck zwar nicht unbedingt, bringt mich aber immerhin zu dem Wunsch, durch eine Reise zum Wattenmeer eigene Eindrücke zu bekommen. Aber ohne dann auch etwas komponieren zu wollen…

Höflicher, aber eher verhaltener Applaus.

Bildergebnis für cornelius meister
Cornelius Meister. Copyright: Cornelius Meister net.

Cornelius Meister und das an diesem Abend grandiose RSO-Orchester Wien spielen ein äußerst forderndes Programm mit sichtlicher und hörbarer Begeisterung und nehmen nach der Pause das Publikum mit Jean Sibelius‚ Erster Symphonie e-Moll, op.39 in Überfliegermanier in eine Art IMAX®-Klang-Kino mit. Man bekommt das Gefühl eines intensiven 3D-Erlebnisses. Der Noch-Chef des Orchesters (er übersiedelt in absehbarer Zeit  als GMD an die Stuttgarter Oper) holt aus dem Orchester ein Maximum an Farben, klanglicher Differenzierung und machtvoller Kompaktheit heraus. Das Orchester (mit satter Frauenmehrheit vor allem bei den Streichern!) setzt dies meisterlich um. Kraftvoll die Streicher/innen, gleißend das Blech, mit schier unendlichem Atem das Klarinettensolo am Beginn des Werkes. Man hört – und sieht! – ihnen gerne zu, auch, weil Cornelius Meisters dirigentische Körpersprache befeuernd wirkt.

Ovationen am Ende. Die Stuttgarter können sich freuen – und der Wiener Musikfreund hofft, dass ihm Cornelius Meister nach vielen großartigen Konzerten mit „seinem“ Orchester – auch die beispiellos intensiven Operndirigate am Theater an der Wien, zuletzt mit Brittens „The turn of the screw“ und  „Peter Grimes“ fallen ihm ein – nicht abhanden kommt…

Karl Masek

 

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