WIEN/ MUSIKVEREIN: NEUJAHRSKONZERT 2021 OHNE PUBLIKUM am 1.1.2021
(Heinrich Schramm-Schiessl)
Foto: Peter Adamek
Wer mich kennt, der weiss dass ich ein Pragmatiker bin, der selten zu Emotionen neigt. Als aber am Ende dieses Neujahrskonzert der Donauwalzer erklang, so spürte ich doch einen gewissen Druck im Hals, denn es schien nicht sicher, dass dieses traditionelle Konzert auch heuer, nach diesem so aussergewöhnlichen Jahr stattfinden würde. Aber alle jene, die daran zweifelten, hatten ihre Rechnung ohne die Wr. Philharmoniker gemacht, aber davon etwas später.
Dieser Donauwalzer sollte einerseits Trost für das sein, was wir im vergangen Jahr erleben mussten und anderseits Hoffnung für das Jahr 2021 geben, das Covid-19-Virus zwar nicht auszurotten, aber Corona zumindest zu einer (gefährlichen) Krankheit zurückzustufen, wie es andere auch gibt, mit denen wir leben müssen.
Kommen wir nun zu den Wiener Philharmonikern zurück. Diese haben, im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern nicht gejammert und geschimpft, sondern rechtzeitig begonnen, sich zu überlegen, was eine Absage verhindern könnte. Man hat sogar bis zuletzt gehofft doch noch vor Publikum spielen zu können und dem Gesundheitsministerium ein Konzept vorgelegt, dass das ermöglichen sollte. Man schlug vor, nicht nur die Orchestermitglieder vor dem Konzert auf Corona zu testen, sondern auch die Zuschauer. Wie man das logistisch gemacht hätte, hätte mich schon interessiert. Wie zu erwarten war, hat man hier dem Orchester keine Extrawurst gebraten – warum eigentlich nicht, ist man doch vor den Skiliftbetreibern auch in die Knie gegangen – und man musste ohne Publikum spielen. Aber möglicherweise hat dieses Konzept die Regierung erst auf die Idee der Testpflicht vor jedem Theaterbesuch gebracht.
Im Grunde genommen war eigentlich alles wie immer. Der Blumenschmuck im Saal war prächtig, die Philharmoniker saßen wie immer auf dem Podium und auch die kurzen Pausen für den Dirigenten wurden eingehalten. Es gab sogar Applaus nach dem 1. und 2. Teil sowie nach dem Radetzkymarsch. Gespendet wurde er von den tausenden Zuschauern auf der ganzen Welt, die entsprechende Videos an den ORF geschickt haben. Das einzige, was zumindest mir aufgefallen ist, war, daß der Klang härter als bei einem gefüllten Saal war.
Dirigent des Konzertes war zum sechsten Mal Riccardo Muti, dessen erste Zusammenarbeit mit dem Orchester sich heuer zum 50.Mal jährt. Muti und die Musik des Neujahrskonzertes war für mich immer ein schwieriges Kapitel. Seine bekannt sklavische Exaktheit nimmt dieser Musik einiges von ihrem Charme. Er berücksichtigt kaum das sogenannte „verschleppte“ (manchmal auch „schlampig“ genannte) Achtel, das speziell bei den Walzern dazugehört. Die Philharmoniker versuchen zwar hier dank ihrer Routine auszugleichen, aber eine gewisse Unebenheit bleibt. Besonders krass ist mir das beim Walzer „Bad‘ner Mad’ln“ von Karl Komzak aufgefallen. Dagegen fehlt den Polkas, die zwar durchaus spritzig dargeboten wurden, der Humor. Das verwundert, denn man hat mir erzählt, daß Muti privat ein durchaus humorvoller Mensch sein soll.
Gesamt gesehen war es ein durchaus stimmiges Konzert, dem aber doch gewisse Höhepunkte fehlten.
Das Neujahrskonzert 2022 – hoffentlich wieder vor Publikum – wird von Daniel Barenboim dirigiert. Auch nicht gerade eine Innovation
Heinrich Schramm-Schiessl