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WIEN/ Musikverein: MUSIKFEST 2018 – Chöre und Orchester des Musikgymnasiums Wien, Neustiftgasse

Hinreißend!

08.03.2018 | Konzert/Liederabende


Begeisterung nach hinreißendem Konzert: Chöre, Orchester, Lisa Rombach, Nazanin Aghakhani, Günter Haumer C: Karl Masek

WIEN / Musikverein: Hinreißendes „Musikfest 2018“ –  Chöre und Orchester des Musikgymnasiums Wien, Neustiftgasse

7.3. 2018 – Karl Masek

Gleich vorweg: Das heurige Festkonzert wurde geleitet von einer Absolventin des Musikgymnasiums.  Nazanin Aghakhani ist ihr Name. Sie ist 37 Jahre alt, ist in Wien geboren, lebt bis heute hier, hat iranische und russische Wurzeln. Sie ging im 12. Wiener Bezirk in die Volksschule, anschließend besuchte sie das Musikgymnasium, maturierte dort. Das musikalische Ausnahmetalent fiel schon der Volksschullehrerin auf. Toll gesungen, toll Klavier gespielt. Ausbildung u.a. an der Konservatorium Privatuniversität in der Johannesgasse (Klavier, Dirigieren). „Eine Pionierin in vielerlei Hinsicht“ mit der Fähigkeit, musikalische Brücken zwischen Altbewährtem und ganz Neuem zu bauen. Als erste und bisher einzige Frau hat sie es bisher geschafft, im Iran das Teheran Symphony Orchestra zu dirigieren. Die internationale Karriere  machte sie mit Opern- und Konzertaufführungen, wobei die intensive Kooperation mit zeitgenössischen Komponist/innen breiten Raum einnimmt. Übrigens hat sie in der vorigen Saison in der Wiener Volksoper (Außenstelle Kasino am Schwarzenbergplatz) Manfred Trojahns zeitgenössische Oper „Limonen aus Sizilien“ dirigiert.


Furiose Dirigentin: Nazani Aghakhani  C: Nordic Artists Management

Mit den Chören und dem Orchester des Musikgymnasiums hat Aghakhani ein unkonventionelles, sehr forderndes Programm, abseits  ausgetretener Repertoire-Pfade, einstudiert.

Es begann sehr berührend mit dem Psalm 24 der französischen Komponistin Lili Boulanger (1893 – 1918). Lili wuchs in einer Musikerfamilie auf und ihre außergewöhnliche Begabung machte sich schon im Alter von 5 Jahren bemerkbar, besonders ihre besondere Fähigkeit zur Improvisation. Sie wurde mit 6 Jahren (!) außerordentliche Hörerin in Harmonielehre, Orgel und Klavier, spielte außerdem noch Violine, Cello, Harfe. Tragisch ihr Schicksal. Sie erkrankte als Kind an einer damals anscheinend noch unheilbaren Bronchopneumonie, starb schließlich mit knapp 25 Jahren.

Den Psalm 24 („Dem Herrn gehört die Erde“) schrieb sie mit 14 Jahren. Ein farbiges Chor-Orchesterwerk einer Frühvollendeten. Kraftvoll, klar, knapp, ohne schnörkelhaftes Beiwerk, da scheint klanglich manches von Honegger und Poulenc vorweg genommen. Schon diese Einleitung hat signalisiert: Ein Werk, das man der Vergessenheit entreißen sollte.

Nazanin Aghakhani komponiert auch. Hier bekam der Unterstufenchor erste Gelegenheit, mit klarer, reiner Tongebung zu punkten. „Azizam, åy, azizam, biya lålå“ – auf Deutsch: „Mein Liebling, oh mein Liebling, komm, schlaf ein“). Wenige Minuten eines neu-persischen Wiegenliedes, kanonartige Polyphonie, verhaltene und  zärtliche Poesie. Zum Schluss die Zeigefinger vor dem Mund und ein kollektives, ganz zartes „sch“… Eine bezaubernde Uraufführung, extra für den Unterstufenchor komponiert.

Mit Nikolaj Rimskij-Korsakow zeigte das Orchester, dass man es, was betörende Klangschönheit, schillernde Farbigkeit und edle Tongebung betrifft, mit renommierten Profiorchestern mühelos aufnimmt. Die raffinierte Harmonik und geniale Instrumentationskunst der vierteiligen Scheherazade wurde mustergültig vorgeführt. Ein ideales Orchesterstück, diese „symphonische Suite“ aus 1001 Nacht“, für ein jugendliches Orchester, können doch die aufstrebenden Talente hier sehr viel zeigen. Jede Menge an herrlichen, dankbaren Soli. Was zum Beispiel der Konzertmeister Paul Kropfitsch mit der Selbstdarstellung der Scheherazade an unerschöpflicher Farbpalette, spannendem „Erzählton“, an seidiger Tongebung, an sinnlichen Orientalismen auf seiner Geige zauberte, war sensationell, grenzte in seinem  gleichzeitigen „In-sich-Ruhen“ ans Unglaubliche. Die Soli von Querflöte, Klarinette, Fagott, Cello, Posaune, Trompete,  standen ihm an Schönheit nicht nach. Sensibel hingetupft über weite Strecken die Schlaginstrumente. Und mit Entspanntheit servierte man Leitmotive, spielte einander sozusagen die musikalischen Bälle zu.

Die Dirigentin entwickelte mit ästhetischer, gleichzeitig sachbezogener wie elektrisierend temperamentvoller Dirigiergestik klangmagische Momente sonder Zahl. Wie sie etwa mit den Cellistinnen (11 Mädchen, wenn ich mich nicht verzählt habe!) kommunizierte und diese mit selten zu hörender Tonschönheit und Homogenität „antworteten“, war hinreißend mitzuerleben. Dynamische und klangliche Bandbreite von flüsterndem Pianissimo bis zu scharfen Eruptionen im Schluss-Satz „Feier in Bagdad“. Heller Jubel schon zur Pause.

Auch im zweiten Teil blieb es höchst fordernd. Das Requiem von Gabriel Fauré, ein „tröstliches Werk der stillen Trauer“,  erschließt sich vielleicht nicht jedem Jugendlichen beim ersten Eindruck. Da ist vermutlich am Anfang der Probenarbeit ein Quentchen Zusatzmotivation seitens der Professoren und der musikalischen Leiterin notwendig gewesen. Bleibt doch der Duktus der Musik über weite Strecken sanft und zurückhaltend. Mit vordergründigen Effekten und dramatischen Ausbrüchen  (wie etwa beim Verdi-Requiem)  lässt sich da nicht prunken. Aber Valeurs, orchestrale wie choristische Farbigkeit kann man auch hier wieder beweisen. Was letztlich auch höchst eindrucksvoll geschah. Hier haben die Chor- und Orchestererzieher/innen wieder ganze Arbeit geleistet. Wieder mit bewährter Probenassistenz „von außen“ durch 7 Philharmoniker/innen und ein Mitglied des ORF RSO-Orchesters. Eine Arbeit der Pädagog/innen,  die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Bewährte Namen: Monika Arbeiter-Salzer, Richard Böhm, Monika Feninger, Roman Hauser, Johannes Kerschner, Georg Kugi, Elisabeth Lampl, Andreas Pixner, Thomas Reuter. Bravi!

Der Oberstufenchor, verstärkt durch einige Professor/innen und Absolvent/innen, sang mit großem Ernst und ebensolcher Ausdrucksintensität die sieben Teile, des Requiems,  die Kinder der Unterstufe rührten im  stratosphärisch schwebenden “In paradisum“ mit engelhaften Schwebetönen.

Günter Haumer, auch er ein Absolvent der Schule, setzte seinen samtweichen lyrischen Bariton für das „Offertorium“ und das „Libera me“ ohne Pathos ein. Der Volksopern-Sänger  hat eine besonders schöne Legato-Stimme, die hier mit liedhaftem Zugang punktgenau passt. Neustiftgassen-Absolventin Lisa Rombach hat einen instrumentalen,  engelhaft anmutenden Sopran und erfüllte das „berühmte „Pie Jesu“  mit feinstem, gleichsam stratosphärischem Pianissimo.  Was für wunderbare Musiker – und nicht bloß „Sänger“!

Nach so viel friedvoller Lyrik musste ein swingender „Rausschmeißer“ her. Wunderbar die Idee, mit dem 100er Leonard Bernstein abzuschließen.  Er war ja nicht „nur“ Musical-Komponist, charismatischer Dirigent und Pianist! Bleibende Verdienste hat er sich erworben, weil er Generationen von Kindern und Jugendlichen Musik auf unnachahmliche Weise näher gebracht hat. Er war auch ein charismatischer Pädagoge! So schließt sich an diesem denkwürdigen Abend der Kreis. Im Musikgymnasium werden Kinder und Jugendliche zu vielfältiger Musik herangeführt. Sie werden gefördert und gefordert.

Der Jubel, der die Professor/innen wieder umbrandete und der Popkonzert-Phonstärke erreichte, beweist: Musik ist nicht Nebensache, sondern ein Grundnahrungsmittel für Körper, Geist und Seele. Musik bereichert, Musik beschert Lebensfreude. Musik macht Spaß. Bernsteins „Mass“ mit seinem lustvollen Zugang, auch bei religiöser Thematik. Und erst recht mit seinem „Mambo“ aus der Orchestersuite der „West Side Story“, der durch das entfesselte gemeinsame Skandieren des Wortes „Mambo“ von Ausübenden wie Zuhörenden die Karyatiden im Goldenen Saal zum Wackeln brachte …

Ausgelassene Stimmung im Saal. Und die furiose Nazanin Aghakhani war schier außer sich vor Freude über die tolle Performance dieser wunderbaren jungen Musiker/innen!

Karl Masek

 

 

 

 

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