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WIEN / Musikverein Gläserner Saal: „GOETHE, ODER?“

VieVox und Bibiana Nwobilo präsentierten Vokale Vertonungen der schönsten Texte des Herrn Geheimrates

28.02.2019 | Konzert/Liederabende


VieVox. Foto: Lukas Beck

WIEN / Musikverein Gläserner Saal: „GOETHE, ODER?“

VieVox und Bibiana Nwobilo präsentierten Vokale Vertonungen der schönsten Texte des Herrn Geheimrates

27.2. 2019 – Karl Masek

Total.Vokal: So heißt ein Zyklus aus den 4 neuen Sälen in den unterirdischen Gewölben des Musikvereins. In der Ära des Langzeitintendanten Thomas Angyan wurde das Projekt „Neue Säle“ von 2001 bis 2003 durchgeführt. Man hat Synergieeffekte mit Bauvorhaben der Wiener Linien genützt und damit sogar sehr viel mehr geschaffen als einen ursprünglich geplanten großen Probensaal im Souterrain! Abgesehen von zahlreichen Aktivitäten für Kinder und Jugendliche wird jungen Musiker/innen die Möglichkeit gegeben, sich zu präsentieren. Das Publikum, das diese tolle Innovation voll angenommen hat, kann aufstrebenden  künstlerischen Nachwuchs kennenlernen und sich dabei außerhalb ausgetretener Repertoire-Pfade bewegen. Angyan, seit 1988 im Amt, wird seinen Vertrag nicht mehr verlängern. Wer immer 2020 die Nachfolge antritt: Man kann weiterhin künstlerisch und räumlich ein weites Feld „beackern“. Verdienst eines weitblickenden und innovativen Kunstmanagers, der oft sehr zu Unrecht als „konservativ“ bezeichnet wird…

VieVox, das 2010 gegründete achtköpfige Vokalensemble ehemaliger Wiener Sängerknaben, trat im oben genannten Zyklus erstmals auf. Die ungewöhnliche Zusammenstellung der a-capella-Lieder spannte einen Bogen von Beethoven bis in die Gegenwart. Es sollte der Beweis erbracht werden:  Die Texte des Dichterfürsten und Geheimrates Goethe haben auch heute Aktualität und Relevanz. Sprachliche Prägnanz, feine Poesie und ein immer wieder erstaunlich ironischer Ton inspirierten Komponisten von Franz Schubert (er allein mit 52 Goethe-Liedern!) bis Ferenc Liszt, von Felix Mendelssohn Bartholdy bis Fanny Mendelssohn-Hensel (die ebenfalls komponierende Schwester), von Robert Schumann bis Hugo Wolf, von Carl Friedrich Zelter bis Heinrich Werner (der Komponist des „Heidenrösleins“). 

Die musikalische Zeitreise begann mit  „maßgeschneiderten“ Arrangements z.B. „Nur wer die Sehnsucht kennt…“ (Beethoven und Schubert), „Wandrers Nachtlied“ (Schubert, DV 768) bzw. gleich 2 Vertonungen desselben Textes von Franz Liszt (ein treffliches Beispiel von „work in progress“!). Anfangs etwas verhalten und sich gleichsam vorsichtig in den Abend hineintastend, fanden die erwachsen gewordenen Sängerknaben sehr rasch zu stimmlicher Homogenität, Ausdrucksvielfalt und gelungener Durchdringung der Textvorlagen. Theresa Hemedinger, Herwig Reiter und der künstlerische Leiter und Berater des Ensembles, Guido Mancusi, erstellten die subtil gearbeiteten Arrangements. Köstlich die Vertonung „Türkisches Schenkenlied“ durch Mendelssohn Bartholdy („Setze mir nicht, du Grobian/Mir den Krug so derb vor die Nase!/Wer Wein bringt, sehe mich freundlich an/Sonst trübt sich der Elfer im Glase…“ zeigt auch die 8 Sänger auf der Höhe ihrer Kunst. Sie seien an dieser Stelle besonders wertschätzend genannt (im Foto von links nach rechts): Bernd Hemedinger, Michael Florendo, Michael Richter, Matthias Liener (der auch moderierte), Christian Kotsis, Gregor Ritter, Armin Radlherr und der jüngste Neuzugang, Maximilian Anger. Stilistische Kompetenz bewies man auch bei den vielschichtigen Originalkompositionen, der nervös-rastlosen Sichtweise von Liebe in der Goethe-Vertonung Robert Schumanns , op.33/5, Schuberts wundersamem Gesang der Geister über den Wassern, D 538 bis hin zum Liebeslied des Heinz Kratochwil (1933-1995); der früh Verstorbene war für Generationen von Wiener Musik(Lehramts)Student/innen ein charismatischer Professor für Tonsatz, polystilistischer Komponist und Chorleiter. Seine besonders farbigen und inspirierten Werke verdienen Wiederaufführungen!

Mittel- und Höhepunkt waren allerdings 3 Uraufführungen! Erstbegegnung mit dem österreichischen Komponisten Akos Banlaky (* 1966, ungarische Wurzeln). Er vertonte drei Lieder mit Texten aus dem Spätwerk des alten Goethe original für Männerchor („Einladung“; „Ja, die Augen waren’s“; „Gute Nacht!“). Ein wehmütig lächelnder Rückblick auf längst vergangene erotische Freuden („Ja, die Augen waren’s, ja, der Mund/Die mir blickten, die mich küssten/Hüfte schmal, der Leib so rund/Wie zu Paradieses Lüsten…“). Gekonnt poly-tonal, mit dem Bestreben, dem Publikum Eingängiges zu präsentieren – und nicht aus einem elfenbeinernen Turm der Unverständlichkeit herab zu blicken.

Zurück zur Tonalität! Dass dies (mit hymnisch-choralartigem Gestus, mit klangmalerischem Effekt einer sehr persönlich gehaltenen Tonsprache!) möglich ist, bewies eindrucksvoll das komponierende Ensemblemitglied, der Tenor Michael Richter (*1990). Die beiden Lieder „Nähe des Geliebten“ und „Ach, wie sehn ich mich nach dir“ rissen das zahlreich erschienene Publikum zu spontanem Jubel hin.

Bildergebnis für bibiana nwobilo sopran
Bibiana Nwobilo. Foto: styriarte

Bibiana Nwobilo, in Nigeria geboren, in Kärnten aufgewachsen und am Klagenfurter Konservatorium ausgebildet, adelte Richters Uraufführungen mit schön timbriertem, sinnlichem Sopran und wunderbarer Verschmelzung mit den Männerstimmen, so als wäre die Einspringerin immer schon mit VieVox aufgetreten. Referenzen von Festivals wie Styriarte (Mitwirkung in der „Verkauften Braut“ unter Harnoncourt), Carinthischer Sommer und Wien Modern („Die Antilopen“ mit der Neuen Oper Wien) brachte sie mit.

2 Zugaben rundeten den gelungenen, akklamierten Abend ab. Mit „Birdland“ des Wiener Jazzgiganten Joe Zawinul (arrangiert von Raoul Gehringer; der hochgeschätzte Chorleiter bei den Wiener Sängerknaben starb 2018 mit nur 47 Jahren an Amotrypher Lateralsklerose, A.L.S.) legte  man auch bei diesem Konzert nicht nur ein Erinnerungsblatt für Gehringer ein, sondern setzte auch ein „Wienerisches Ausrufezeichen“. So hätte es dann noch ein bisschen weitergehen können! Aber vielleicht war es ein Hinweis, dass in den Köpfen der musikalisch so vielseitigen  „VieVox“-Truppe schon Ideen für weitere Themen-Konzerte geistern…

Karl Masek

 

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