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WIEN / Musikverein: FESTKONZERT 2019 MUSIKGYMNASIUM Neustiftgasse

Wenn das Musikmachen Flügel verleiht …

20.03.2019 | Konzert/Liederabende


Chöre & Orchester des mgw, Elisabeth Schwarz, Richard Böhm, Drew Sarich als „Schwan mit Hut“ und Marco di Sapia

WIEN / Musikverein: FESTKONZERT 2019 MUSIKGYMNASIUM Neustiftgasse

Wenn das Musikmachen Flügel verleiht …

19.3. 2019 – Karl Masek

Der Streit um E-Musik und U-Musik – er wurde ewige Zeiten „mit heiligem Ernst“ ausgetragen. Ich erinnere mich an meine eigene Musikausbildung in den 70er Jahren im damaligen Konservatorium der Stadt Wien. Da gab es einen Lehrenden (u.a. Tonsatz und Instrumentenkunde), ich nenne seinen Namen nicht, Gott hab ihn selig, der sagte einmal in einer Seminarstunde zum Thema „Zupfinstrumente“, die für  den Geiger und Pianisten alle bestenfalls zweitrangig waren: „Eine Zither gehört auf eine Almhütte…“. Wäre die Rede auf Jazz, Musicals, Filmmusik, Rock & Pop gekommen, er hätte gesagt, das alles sei  U-Musik und könne an ernste Musik nicht heranreichen.  Keine Diskussion!

Leonard Bernstein räumte auf mit diesen vorurteilsbefrachteten Sichtweisen. Für ihn gab es nur gute oder schlechte Musik. Legendär sein Satz, die schönste Melodie seit Schubert sei „Yesterday“ von den Beatles. Er war ein Beispiel dafür, dass Musikmachen Flügel verleiht – wenn es gute Musik ist. Grund genug für das Wiener Musikgymnasium Neustiftgasse, für das traditionelle Festkonzert in diesem Jahr einmal kein Werk des klassisch-romantischen Kern-Repertoires auf das Programm zu setzen, sondern ein Bernstein-Stück und eine Uraufführung anzubieten. Um nach der Pause mit „Carmina Burana“ noch eins draufzusetzen.

„A Musical That Makes History“ , so lauteten Londoner Schlagzeilen 1985 nach der Uraufführung von „Les Misérables“ von Alain Boubil und Claude-Michel Schönberg nach dem Roman von Victor Hugo. Mehr als 70 Millionen Menschen haben das Musical seither weltweit gesehen, in 52 Ländern und 22 Sprachen. Für dieses Konzert hat der  britische Musical-,  Filmkomponist  und Dirigent John Cameron (* 1944 in Essex), vielfach preisgekrönt bis hin zu Oscar-Nominierungen, 2018 eine Neufassung seiner „Les Misérables.Symphonic Suite“ für Chor und Orchester geschrieben („Castle on a cloud“ wurde der Suite zusätzlich beigefügt, und so hatte auch der Unterstufenchor eine schöne, effektvolle Nummer darin zu singen. 

Camerons Musik bringt die bekanntesten Teile aus der Musical-Show, erweist sich als genial arrangiertes, effektvoll instrumentiertes Chor- und Orchesterstück, das „ins Ohr“ und „unter die Haut“ geht. Es ist eine herrliche Kombination aus Geschichte, einer Botschaft sowie einer Musik, die tatsächlich Flügel verleiht. Sie gibt dem Oberstufenchor Gelegenheit zu vielen Farb- und Gefühlsnuancen. Von zart bis hart, von pathetisch bis innig. Und fürs Orchester eine Fülle an Möglichkeiten, durch tollen Sound mit Steigerungen zu glänzen, schönen Klang zu erzeugen und sozusagen „unendliche Melodien“ auszukosten. Herrliche Soli für das Cello, die Konzertmeisterin an der Violine, das Englischhorn, delikate Kombinationen der  Flöten mit den Harfen. Herausragend die Horngruppe, die Trompeten, die Posaunen, die Basstuba, das Schlagzeug, sie alle haben viel zu tun und zu zeigen.  Mit sicht- und hörbarem Enthusiasmus wird hier 35 Minuten lang das Musical- und Filmmusikgenre mit schönem Klang „geadelt“ – und das wirkt keine Sekunde schmalzig oder kitschig. Man ist überzeugt, den jungen Musikern wird dann auch Klangsinnlichkeit bei Berlioz, Mahler, Richard Strauss, Schostakowitsch, Gershwin, … gelingen und Spaß machen! 

Schon die Ouvertüre zu Candide von Leonard Bernstein hatte Drive, Schwung, Witz –  und irgendwie verschwimmt auch hier auf geniale Weise das E-Musik-hafte mit Unterhaltungsmusik vom Allerfeinsten. Und es wurde mustergültig, blitzsauber musiziert.  

Der Dirigent des Festkonzertes 2019 ist diesmal Richard Böhm. Wenn man sich diese musikalische Vita ansieht: Ein „Rundum“- Künstler, ein Alleskönner von geistlicher Musik, Chorleitung, Liedbegleitung, Korrepetition  bis hin zum Musical (Masterclass für Musical im Londoner Westend ). Er leitete den Abend mit in sich ruhender  Souveränität, Sicherheit ausstrahlend.

Carl Orffs  Geniestreich aus dem Jahr 1937, „Carmina Burana“, ist natürlich ein ideales Stück für jugendliche musikalische „Überflieger“. Hat man durch vielleicht zu viele Aufführungen des Werks in den letzten Jahrzehnten mitunter das Gefühl bekommen, die „Cantiones profanae cantoribus …“ aus Benediktbeuern hätten sich fast schon totgespielt (das mag aber einer Routine im schlechten Sinne und sehr „gesetzten“ Aufführungen erwachsener Profis geschuldet sein): Wenn es  s o  jugendlich-authentisch rüberkommt, s o mitreißend,  s o  packend, dann ist begeisterter Jubel eines hingerissenen Publikums garantiert.  

Was die wunderbaren Musikpädagog/innen da immer wieder hinkriegen – es ist seit dem Jahrzehnt, in dem ich als Beobachter dabei bin, von gleichbleibend erstklassiger Homogenität, als würden da Chöre und das Orchester seit vielen Jahren „zusammengewachsen“ sein. Jedoch, es sind immer wieder neu nachrückende Sänger/innen und Orchestermitglieder. Man mag die „Carmina Burana“ fast nicht mehr von Erwachsenenchören hören, so absolut  passend ist das Klangbild, das da gezaubert wird.  Man glaubt den jungen Mädchen, wenn sie etwa bei „Chramer, gip die varwe mir“ eine perfekte Mischung aus Unschuld und Erotik umsetzen oder den Burschen, wenn sie sich beim (ersten?) liederlichen Leben  („In taberna…“)  in doppeltem Wortsinn „in einen Rausch singen“. Poesie pur mit hellen, natürlichen Stimmen kam vom Unterstufenchor beim „Amor volat undique“. Das Orchester kann es mit dieser Leistung durchaus mit renommierten Profiorchestern aufnehmen! Einstudierung: Monika Arbeiter-Salzer, Monika Feninger, Roman Hauser, Johannes Kerschner, Georg Kugi, Elisabeth Lampl, Andreas Pixner, Thomas Reuter. Ihnen allen großes Kompliment!

Schließlich die 3 Solist/innen, allesamt vom „Währinger Gürtel“: Sie rundeten den stürmisch gefeierten Abend mit ausgezeichneten Leistungen höchst animiert ab: Die Einspringerin Elisabeth Schwarz mit himmlischen Sopranhöhen beim „Dulcissime“, der Volksopernbariton Marco di Sapia lief mit Fortdauer des Abends zur Hochform auf und Drew Sarich, der Musicalstar der Wiener Volksoper (und in diesem Fall auch Vater von mitwirkenden Jugendlichen) sang den gebratenen Schwan mit exzentrischer Tenor-Komik, wie man es wohl kaum noch gehört hat. 

Der helle Jubel brachte die Karyatiden im Musikverein beinahe zum Wackeln. Das mit dem Flügel-Verleihen: Es möge für alle in der Neustiftgasse mit der gleichen Begeisterung weiter gelingen!

Karl Masek 

 

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