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WIEN/ Musikverein/ Brahms Saal: DAS ENSEMBLE KONTRAPUNKTE spielt Hans Werner Henze Monodram „Ein Landarzt“ nach Kafka

18.10.2016 | Konzert/Liederabende

WIEN/Musikverein Brahms-Saal: Das Ensemble „KONTRAPUNKTE“ spielt Hans Werner Henzes Monodram „Ein Landarzt“ nach Kafka

(am 17.10. 2016 – Karl Masek)

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Peter Keuschnig

Seit der Saison 1974/75 gestaltet  das Ensemble Kontrapunkte (1965 von Peter Keuschnig gegründet) kontinuierlich einen Abonnementzyklus der Gesellschaft der Musikfreunde. Es setzt sich bei wechselnden Besetzungen zusammen aus Mitgliedern der großen Wiener Orchester, die zusammen kommen, um Kammermusik des 20. und 21.Jahrunderts, bis hin zur extremen Avantgarde, zu spielen. Verdienstvoll wird hier seit einem halben Jahrhundert außerhalb der ausgetretenen Repertoire-Pfade gegangen. Keuschnig  setzt im wörtlichen Sinne „Kontrapunkte“ zu den oft konservativ (mit zuversichtlichem Blick in die Vergangenheit des 18. und 19. Jahrhunderts!) programmierten anderen Abonnement-Zyklen im Musikverein. Und er hat „sein Publikum“, das – so scheint es –  ihm seit den siebziger Jahren die Treue hält. Viele „ältere Semester“, auch so manch einer aus der „Achtundsechziger“- Generation. Die meisten kennen  einander, begrüßen sich mit Handschlag.  Erfreulicher Weise ziemlich voll, der Brahms-Saal! Auffallend, dass es hier selbst in Verkühlungs- und Grippezeiten nicht die Spur der üblichen Konzert-Husten-Rituale gibt. Absoulute Konzentration auf das Programm, facettenreich und hintersinnig. Man wähnt sich wie im Klangkino, Scharz-Weiß-Filme scheinen da abzulaufen.

Im Mittelpunkt die Oper „Ein Landarzt“ von Hans Werner Henze (1926 – 2012) nach einer Novelle von Franz Kafka. Ursprünglich hat sie Henze 1951 als „Funkoper“ konzipiert. Er wollte sie aber auch einem „traditionellen“ Opernpublikum erschließen, und es entstand  1964 eine Monodram-Fassung für Bariton und Orchester, die in Berlin unter Leitung des Komponisten (Solist: Dietrich Fischer-Dieskau) konzertant uraufgeführt wurde.

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Adrian Eröd

So auch jetzt. Als Solist konnte Adrian Eröd gewonnen werden. Er ist ein Sänger-Darsteller von besonderem Format, gerade auch von Opern des 20. und 21. Jahrhunderts. Genannt seien besonders sein Billy Budd, sein Shylock bei der Tchaikowsky-Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen 2013, sein Prospero in Adès‘ „The Tempest“, sein Kreon in Aribert Reimanns „Medea“. Die Wiederaufnahme  der „Medea“ kommt im April 2017 an die Staatsoper zurück.

Die Novelle Kafkas, ein abgründig und rätselhaft bleibendes Stück Literatur (wie zum Beispiel auch die unheimliche „Verwandlung“) wurde von Henze beinahe wortwörtlich vertont. Ein Arzt wird zu einem schwerkranken Jungen gerufen, stellt aber vorerst keine Erkrankung fest. Er will aus Angst um sein zurück gebliebenes Dienstmädchen, das vom Pferdeknecht bedrängt wurde, rasch wieder heimfahren. Die Familie des Jungen insistiert aber auf genauerer Untersuchung – und der Arzt entdeckt tatsächlich eine rätselhafte handtellergroße Wunde an der Hüfte des Knaben. Um den Arzt zu zwingen, genug Zeit zur Heilung des Jungen zu investieren, entkleidet man ihn und legt ihn zu dem Jungen ins Bett.  Textzitat: „Und sie kommen, die Familie und die Dorfältesten, und entkleiden mich; ein Schulchor mit dem Lehrer an der Spitze steht vor dem Haus, singt eine äußerst einfache Melodie …. Entkleidet ihn, dann wird er heilen. Und heilt er nicht, so tötet ihn. Ist nur ein Arzt, ist nur ein Arzt“ Der Landarzt rettet sich, indem er nach dem „Einschlafen“ des Kindes rasch die Kleidung zusammen rafft und nackt bei nächtlichem Schneesturm mit dem Pferdegefährt flüchtet…

Man braucht nicht Sigmund Freud zu bemühen um festzustellen: Da ist (bei Henze wie bei Kafka) viel Autobiografisches eingeflossen. Beide hatten ein problematisches bis traumatisches Verhältnis zu ihren Vätern. Der Vater Henzes: Lehrer(!), Nazi, der seinen Ältesten, nachdem dessen Homosexualität „geoutet“ war, am liebsten in einem KZ gesehen hätte. Der Vater Kafkas: Ein Tyrann („Sagte ich dir schon einmal, dass ich den Vater bewundere? Dass er mein Feind ist…aber außerdem ist meine Bewunderung seiner Person so groß, wie meine Angst vor ihm. An ihm vorbei kann ich zur Not, über ihn hinweg nicht.“, so Kafka 1913.

„Ein Landarzt“, der halbstündige Einakter, wurde unter dem Eindruck der Musik Schönbergs komponiert. Ausdrucksvolle Deklamation, rhythmische Vielfalt, die verschiedenen Motivkerne, die dramatische Zuspitzung, meditative Gedanken – und das in einer über weite Strecken fast lakonischen Rhetorik: Adrian Eröd bringt all dies mit schlankem, hohem Barititon (auch die Sprechgesang-Passagen!) meisterhaft über die Rampe. Peter Keuschnig fächert die Klänge mit Übersicht auf, deckt Bariton und Novellentext niemals zu. Das Ensemble Kontrapunkte realisiert all dies großartig. Oft hält man den Atem an, so packend ist das. Wie gesagt: Wie in einem unheimlichen Schwarz-Weiß-Film.

Auch der Rahmen höchst spannend: „Dance de la peur – Tanz der Angst“ von Frank Martin (1890 – 1974) für zwei Klaviere (prägnant: Rainer Keuschnig und Maija Karklina) und kleines Orchester ist eine obsessive, perkussive Darstellung von Angst, Flucht, Verfolgung, einer insgesamt grausam hetzenden Jagd. Auch hier eine Viertelstunde Hochspannung, wie bei der Hintergrundsmusik zu einem Stummfilm mit horribler Handlung. „Nachtstück“ aus der Oper Der ferne Klang von Franz Schreker in einer Bearbeitung von Alexander Wagendristel bereitete obendrein zehn Minuten Klangrausch.

Witzige Kontrapunkte: „Suite für Jazzorchester Nr. 1“ mit Walzer, Polka, Foxtrott von Dmitrij Schostakowitsch sowie als groteskes Finale „Soirée tyrolienne“, Kammersymphonie von Werner Pirchner (1940 – 2001; das ist der, von dem jede/r Ö1 Hörer/in die Signations kennt!). Mit Holzhacke, Trompeter in Lederhosen, Juchezer und jazzigen Klängen, sozusagen mit Schelle & Narrenkappe. Sehr lustig (Peter Keuschnig bei der Zugabe: „Klingt lustig, ist aber sehr schwer zu spielen!“)

Gut gelaunte Stimmung nach diesem „Rausschmeißer“. Jubel.

Karl Masek

Der Neue Merker

 

 

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