MusikTheater an der Wien: NORMA 26.2.2025
Copyright: Monika Rittershaus
Als Koproduktion mit der Staatsoper unter den Linden in Berlin feierte Bellinis wohl bekannteste Oper, „Norma“, knapp eine Woche vor der Produktion in der Wiener Staatsoper, ihre Premiere im MusikTheater an der Wien. Glaubt man den Premierenberichten, so war es ein verdienter Erfolg. An die letzte szenische Produktion der „Norma“ in Wien, 1997 an der Volksoper, kann ich mich noch erinnern. Das damalige Setting hat mich an eine Schubertiade erinnert, wo der Chor aus den aufgeschlagenen Partituren sang. Der international gefragte Regisseur Vasily Barkhatov, Gatte von Asmik Grigorian, der Norma des Abends, lässt die Handlung in einem fiktiven Land spielen, in dem zehn Jahre zuvor die gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine Revolution von Grund auf verändert wurden. Das Bühnenbild des Belarussen Zinovy Margolin stellt eine, der ehemaligen Ankerbrot-Fabrik in Wien nachempfundene, neugotische Fabrikshalle dar, in der die Arbeiterinnen zunächst Engels- und Heiligenbüsten anfertigen. Die eindringende Soldateska aber zerstört diese und fortan werden die Porzellanbüsten des Diktators in Öfen gebrannt… Das Libretto zur Norma verfasste Felice Romani, basierend auf dem französischen Drama „Norma ou L’infanticide“ von Alexandre Soumet (1788-1845). „L’infanticide“- der “Kindsmord“ hat seinen Ursprung im Medea-Mythos, der im deutschsprachigen Raum von Heinrich Leopold Wagner (1747-79) in seinem Drama „Die Kindsmörderin“ (1776), von Goethe in der “Gretchentragödie“ in Faust I. sowie von Schiller in dem Gedicht „Die Kindsmörderin“ 1782, aufgegriffen wurde. Ein weiteres Kernmotiv ist das der verbotenen Liebe zwischen einer gallischen Druidin und einem römischen Feldherrn, welches auf Tacitus zurückgeht und später literarisch von René de Chateaubriand im Epos „Les Martyrs“ 1808 weiterentwickelt wurde. Und dann wäre da noch die Dreiecksbeziehung zwischen Norma und Pollione, aus der immerhin zwei Knaben entstammen und der jüngeren Adalgisa und Pollione. 1833 wurde die Norma erstmals in Wien in deutscher Sprache aufgeführt. Norma mutierte in der kruden Sichtweise des Regisseurs zu einer Vorarbeiterin in einer von schwarz gekleideten Schergen überwachten Porzellanfabrik. Ihre, für das Verständnis der Oper, unerlässliche Priesterfunktion, hat sie scheinbar eingebüßt, denn das berühmte „Casta Diva“ richtet sich nicht an die Frieden gebietende Göttin des Mondes und der Fruchtbarkeit, sondern an Scherbenreste einstiger Engel. Und Asmik Grigorian ließ keinerlei belcanteske Kantilenen ertönen, sondern schnürte die gallische Priesterin in ein veristisches Korsett. Freilich gingen bei dieser Lesart sämtliche ehrfurchtgebietenden spirituellen Gefühle (vgl. Rudolf Otto, Die Idee des Heiligen, 1917) verloren und es gibt noch eine ganze Reihe nicht nachvollziehbarer Aspekte in dieser Inszenierung, die an dieser Stelle aber nicht weiter erörtert werden sollen…
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Die Russin Aigul Akhmetshina unterlegte ihre Adalgisa mit einem dunklen Mezzosopran. In Normas ärmlicher Wohnung beichtet sie ihre Liebe zu Pollione, der plötzlich mit „Hitlerbärtchen“ eintritt. Norma holt ihre beiden Kinder hervor, um Pollione an seine Pflichten als Gatte und Vater zu erinnern. Vergeblich – er will nicht von Adalgisa ablassen. Diese hingegen bleibt treu an der Seite Normas, wohl ahnend, dass man sein Glück nicht auf dem Unglück anderer aufbauen kann. Zum Tode verurteilt und mit einem Strick um den Hals erwartet er sein Ende, wird aber von Norma befreit. Diese bekennt vor dem Volk ihre Schuld und will im Porzellanbrennofen den Flammentod suchen, wird aber von Pollione im letzten Moment gerettet. Kein Heldentod und keine Tragödie – und sehen wir wieder einmal betroffen den Vorhang zu und viele Fragen offen!
Copyright: Monika Rittershaus
Der britisch-italienische Tenor Freddie De Tomaso zeigte starke Bühnenpräsenz, versprühte trotz starkem Krafteinsatz aber wenig belkantesken Flair. Der in Kuweit geborene deutsche Bassist Tareq Nazmi konnte in dieser Inszenierung der Rolle von Normas Vater Oroveso kein erkennbares Profil verleihen, denn nach seinem fulminanten Beginn mit der Arie „Sì. Parlerà terribile Da queste quercie antiche,…“ wird seine Figur völlig ins Abseits gedrängt und er kann auch nicht den Auftritt seiner Tochter würdevoll vorbereiten, die wie nebenbei an einem schäbigen Tisch sitzend Listen durchblättert. Die weißrussische Sopranistin Victoria Leshkevich und der deutsch-brasilianische Tenor Gustavo Quaresma ergänzten rollengerecht als präsente Clothilde mit strahlendem Timbre und als Flavio, Vertraute von Norma bzw. Pollione. Der Arnold Schoenberg Chor unter der bewährten Leitung von Erwin Ortner agierte darstellerisch und gesanglich in schäbigen Fabriksarbeiterklamotten (Kostüme: Olga Shaishmelashvili). Die Lichtregie lag in den Händen des von Alexander Sivaev. Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Francesco Lanzillotta spitzten das veristische Regiekonzept unter Verzicht auf die schwelende Sinnlichkeit in Bellinis Musik dramatisch packend zu. Die Aufführung endete mit langanhaltendem Applaus und Bravorufen für alle Beteiligten, allen voran das Protagonisten Trio.
Harald Lacina, 27.2.2025