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WIEN / MusikTheater an der Wien: LA GAZZA LADRA

24.11.2022 | Oper in Österreich

WIEN / MusikTheater an der Wien: LA GAZZA LADRA 23.11.2022 (Premiere am 16.11.):

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Foto: Monika Rittershaus

Dieses „Melodramma“ Rossinis, eine Opera semiseria, beruht auf dem Libretto von Giovanni Gherardini (1778-1861), einer Bearbeitung des Melodrams La Pie voleuse, ou la Servante de Palaiseau, von Louis-Charles Caigniez (1762-1842) und Jean-Marie-Théodore Baudouin d’Aubigny (1786-1866). Kurz nach seiner in Rom uraufgeführten La Cenerentola nahm Rossini die Arbeit an der vom Teatro alla Scala beauftragten Diebischen Elster auf. Der Uraufführung in Mailand am 31.5.1817 war ein großer Erfolg beschieden. Später wurde die Oper vielfach überarbeitet oder gekürzt. Nach 1830 geriet sie aber bis zu ihrem Revival 1937 in Breslau vollkommen in Vergessenheit. Die zweiaktige Oper gliedert sich in 18 Szenen mit 16 musikalischen Nummern. Sie spielt Anfang des 19. Jhd. zur Zeit der napoleonischen Gegenrevolution. Die spritzige Ouvertüre mit Trommelwirbel, Oboensolo und einem fulminanten Crescendo als Höhepunkt ist das bekannteste Stück der Oper. Wie Fidelio gehört auch die diebische Elster zu den sogenannten „Rettungsopern“. Reihte man sie unter den Begriff der „Tieroper“, könnte man an dieser Stelle noch „Die Vögel“ von Walter Braunfels oder den „gestiefelten Kater“ von César Cui und Xavier Montsalvatge anführen.  Die Handlung ist kurz erzählt: Dienstmädchen Ninetta wird bezichtigt, einen silbernen Löffel gestohlen zu haben. Sie liebt den Sohn des Hausherrn, wird zudem aber auch vom Hausherrn selbst, vom Bürgermeister und vom Bauernburschen Pippo mehr oder weniger eindringlich belästigt. Ihr geflohener Vater kann ihr nicht helfen. Ninetta wird angeklagt und zum Tode verurteilt. Der zu Hilfe geeilte Vater wird ebenfalls gefangen gesetzt. Unter Trommelwirbel wird Ninetta zur Hinrichtung geführt, da wird das Nest der eigentlichen Diebin, der namensgebenden Elster, gefunden. Die Hinrichtung entfällt naturgemäß und der Vater Ninettas wird per königlichem Fahrradboten begnadigt.

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Foto: Monika Rittershaus

Den Vorwurf, Rossini hätte sich bei der Komposition nur auf seine Routine verlassen, teile ich nicht. Dem Zeitgeschmack zufolge war das französische Melodram äußerst beliebt und Rossini hatte sohin ein auf der Sprechbühne bereits bewährtes und erfolgreiches Drama in einem für die Opernbühne adäquatem Libretto vertont. Der rasche Wechsel des Zeitgeschmacks, verfolgt man die Rezeptionsgeschichte, kam diesem Melodramma aber nicht zugute. Regisseur Tobias Kratzer lieferte für sein Debut in Wien ein handwerklich schlüssig durchdachtes Regiekonzept mit Traktor, Auto und Fahrradboten auf der Bühne, womit der Link zur jüngsten Vergangenheit und Gegenwart etwa dadurch geschlossen wurde, dass Ninettas Vater Fernando Villabella in seiner Tarnkleidung frappant an Wolodymyr Selenskyj erinnert und sein Gegenspieler, der Podestà Gottardo, wohl in seinem Gehaben an den Kriegstreiber Wladimir Putin, der in dieser Oper auch nicht davor zurückschreckt, das Ziel seiner Begierde, Ninetta, hinrichten zu lassen, weil sie ihn verschmäht. Die am Ende „freigelassene“ Elster aber entfleucht aus der Halle E im Museumsquartier (dem Aufführungsort der Oper) und fliegt geradewegs über den Hof in das Kunsthistorische Museum, wo sie sich der 2003 entwendeten Saliera von Benvenuto Cellini neugierig nähert…, womit dem Regisseur und seinen Videokünstlern, Manuel Braun und Jonas Dahl am Ende ein großartiger Gag gelungen ist!  Bravo! Angesiedelt ist die Oper von den Kostümen her wohl in den 60ger Jahren des vorigen Jahrhunderts, Parabolantennen am linken oberen Bühnensegment verweisen jedoch in die 80ger Jahre. Ausstatter Rainer Sellmaier stellte ein einstöckiges Bühnenbild auf die Bühne, das einen um ein Hammerklavier samt Spieler am linken Bühnenrand erweiterten Bauernhof mit Hundehütte, in der sich später Ninettas Vater verstecken wird, zeigt. Das Bühnenbild ist auf zwei Ebenen in jeweils drei einzelne Spielräume unterteilt. Für den zweiten Akt ermöglicht ein Umbau die Vorstellung eines Gefängnisses und des Gerichtssaals, wobei das Hammerklavier nun auf der rechten Bühnenseite steht. Der Plot der Oper, in der ein vermeintlicher Diebstahl eines Silberlöffels mit dem Tod bestraft wird, ist, meiner Meinung nach, auch aus heutiger Sicht nicht „dumm“, bedenkt man doch, dass in vielen muslimischen Ländern (und nicht nur im Iran!!!) Frauen unterdrückt und hart bestraft werden, wenn sie den Niqab nicht ordnungsgemäß tragen, oder in Saudiarabien Diebstahl mit dem Abhacken der Hand, ganz in der vorislamischen Tradition des Alten Testaments „Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde (Exodus 21,23–25)“ geahndet wird!

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Foto: Monika Rittershaus

Nino Machaidze verkörperte das vom Schicksal gebeutelte Dienstmädchen Ninetta. Ihr schlichtes Kleid und ihre Gummistiefel trägt eine Magd gewöhnlicherweise auf einem Bauernhof und sind daher nichts Ungewöhnliches. Ihre Stimme ist kräftig und sie verströmt in den Cavatinen, gleich in der 2. Szene bei „Di piacer mi balza il cor“ viel Leuchtkraft und Melisma. Als ihr Liebhaber Giannetto durfte Maxim Mironov tenorale Geschmeidigkeit beim Wiedersehen mit seiner Geliebten in der Cavatine „Vieni fra queste braccia“ mit eindrucksvoller Cabaletta verströmen, vom Publikum mit durchaus verdientem Szenenapplaus belohnt. Als Bürgermeister gefielt Nahuel Di Pierro durch seine diabolische Durchtriebenheit mit der er seinen fiesen Plan, Ninetta für sich zu gewinnen, in seiner eindrucksvollen Cavatine mit seinem dunklen Bass „Il mio piano è preparato“ nachhaltigen Ausdruck verleiht. Der in Mailand geborene Bassbariton Paolo Bordogna als Ninettas Vater Fernando Villabella avancierte zum Publikumsliebling des Publikums bei seiner flehentlich gesungenen Arie „Accusata di furto“, alles Erdenkliche zu tun, um nur seine Tochter retten zu können. Als Pächter Fabrizio Vingradito gefiel der italienische Bariton Fabio Maria Capitanucci. Die kroatische Mezzosopranistin Diana Haller gefiel in der Hosenrolle des Pippo durch ihre burschikose Art. Lucia, die Gattin des Pächters, die durch falsche Verdächtigung Ninettas, eine Gabel gestohlen zu haben, war bei der italienischen Mezzosopranistin Marina de Liso gut aufgehoben. Sie bedauert Ninetta in ihrer Arie „Infelice Ninetta!“ um wenig später ihrem tragischen Irrtum zu erkennen und in ihrer zweiten großen Arie „A questo seno“ herzzerreißend, um Ninettas Rettung zu flehen. Die Lacher des Publikums hatte der Hausierer Isacco, köstlich Buffo-Tenor Riccardo Botta, der all seine Waren in der Cavatine „Stringhe e ferri da calzette“ in der 3. Szene anbietet, auf seiner Seite. Johannes Bamberger als mitleidiger Kerkermeister Antonio, Bariton Timothy Connor als Giorgio, dienstbeflissener Untergebener des Podestà, Bariton Alexander Aigner als Soldat Ernesto, ein Freund des desertierten Vaters von Ninetta, Fernando Villabella, und Bariton Zacharias Galaviz, Mitglied des Arnold Schoenberg Chors, als Amtsrichter ergänzten rollengerecht mit großer Spielfreude. Das ORF Radio Symphonieorchester fand unter seinem Dirigenten Antonino Fogliani die richtige Balance zwischen militärischer Marschmusik und der typischen verspielten Rossinischen Melodik. Am Hammerklavier begleitete Robert Lillinger die Rezitative und verlieh der Elster seine markante Stimme. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor sang und spielte, wie gewohnt, mit höchstem Engagement. Das anwesende Publikum genoss die Vorstellung ohne jegliche Verschleißerscheinungen. Einen starken Wiedererkennungseffekt beinhaltete das letzte Viertel der Oper, wo Rossini hörbar musikalische Elemente aus La Cerentola abgewandelt hatte. So gesehen ist es wert, sich diese Oper anzuhören und die kurzweilige Inszenierung im Ausweichquartier des MusikTheaters an der Wien im Museumsquartier selbst anzusehen, um sich ein eigenes Urteil über die Qualität dieses Werkes und seiner Realisierung durch Regisseur Tobias Kratzer – unvoreingenommen – zu bilden. Es gab langanhaltenden Applaus mit zahlreichen Bravorufen für alle Beteiligten am Ende des Abends.

 Harald Lacina

 

 

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