MusikTheater an der Wien Antonio Salieri Kublai Khan 7.4. 2024 (Premiere am 5.4.2024):
Foto: Herwig Prammer/ Musiktheater an der Wien
Auf einen Text von Giovanni Battista Casti verfasste Salieri die heroisch-komische Oper „Cublai, gran kan de’Tartari“ in zwei Akten in italienischer Sprache im Zeitraum zwischen 1786 und 1788. In dieser Oper wurde der russische Hof unter Zar Peter dem Großen unverhohlen kritisiert. Als nun Österreich 1787 formell einer Allianz mit Russland gegen das Osmanische Reich beitrat, verbot die Zensur die Aufführung der Oper. Die Uraufführung dieser Oper, jedoch in deutscher Übersetzung von Cornelia Boese, erfolgte 1998 im Mainfranken Theater Würzburg, wo Diana Damrau die virtuose Partie der bengalischen Prinzessin Alzima sang. So gesehen handelt es sich bei der gegenwärtigen Aufführung des MusikTheaters an der Wien um die Erstaufführung in der Originalsprache und in einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen „Spielfassung“ von Regisseur Martin G. Berger und Dramaturg Philipp Amelungsen. Und so darf Hofkapellmeister Salieri höchstpersönlich in der Person von Christoph Wagner-Trenkwitz die Handlung auf Deutsch und Italienisch kommentierend verfolgen und seine Oper „mitgestalten“. Er macht das zwar sehr gut, aber man hätte auf diese Figur durchaus verzichten können, um die Handlung zu straffen.
Foto: Herwig Prammer/ Musiktheater an der Wien
Nun erfolgt eine Zeitreise und wir finden uns in der Gegenwart wieder, wo ein Urenkel des Khans nunmehr Firmenchef einer Schokoladenfabrik ist. Die Heiratspläne für seinen Sohn Lipi scheitern, denn dieser unterhält eine schwule Liebesbeziehung mit Posega, seinem Erzieher. Nach der Pause befinden wir uns im Jahr 2022, genauer gesagt am 23. Februar, als der Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine begonnen hat und das Publikum sich wehrlos der Frage ausgesetzt sieht, ob man sich überhaupt vergnügen und Opern aufführen darf, während in anderen Weltgegenden ein gnadenloser Krieg herrscht. Solche Überlegungen verleihen der Oper jedoch keinen tieferen Sinn. Auch nicht der Seitenhieb auf die abgedroschene „politische Korrektheit“, wenn der Kublai auf der Kublai-Kugel als Asiate dargestellt wird, was möglicherweise als „rassistisch“ aufgefasst werden könnte. Noch deutlicher fällt das zelebrierte Bartverbot von Zar Peter dem Großen aus, bei dem sich alle Männer auf der Bühne den Bart abrasieren müssen. Sarah-Katharina Karl hat ihr Bühnenbild auf einer Drehbühne positioniert, die sukzessiv die drei Zeitebenen bedient, die das Regieteam Salieris Oper auferlegt hat. Man sieht also gleich zu Beginn den Palast des Tartarenfürsten Kublai Khan, dann befinden wir uns im Jahr 2022, wo man anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Kublai Khan Süßwaren Firma eben diese Oper aufführen möchte. Eine Insolvenz gefährdet jedoch die Firma und ein möglicher Ausweg wäre die Ehe des queeren Sohnes mit einer Russin oder eine Fusion mit den Chinesen. Die dritte Ebene bedient dann die queere Welt von Tartarensohn Lipi und seiner Entourage. Ein Laufsteg läuft um das Orchester, der für die viel zu langen Dialoge in deutscher und in italienischer Sprache genützt wurde. Und natürlich erfolgen wieder so manche Auftritte der Protagonisten mit den unseligen Reise Trolleys, die als Selbstzweck herumgeschoben werden. Die Kostüme von Alexander Djurkov Hotter sind bunt und teils schrill und so mancher begehrliche Blick ruhte auch auf dem Inhalt der zur Schau gestellten Unterwäsche. Das Einleuchten der Szenerie besorgte Karl Wiedemann, die eingeblendeten Videosequenzen stammten von Roman Rehor.
Foto: Herwig Prammer/ Musiktheater an der Wien
Gesanglich war ich von der Stimme des australischen lyrischen Tenors Alasdair Kent als Kublais Neffe Timur begeistert, der mit einer respektablen Höhe und einem wunderschönen Timbre aufwarten konnte. Der kroatische Bassbariton Leon Košavić als Erzieher Posega hätte wohl eher einen Countertenor als seinen schwulen Prinzen Lipi zur Seite haben sollen, aber die franco-katalanische Sopranistin Lauranne Oliva genoss augenscheinlich ihre Hosenrolle als Kublais Sohn Lipi mit Bart und beeindruckender Stimmführung. Die aus Lausanne stammende Schweizer Sopranistin Marie Lys punktete mit herrlichen Koloraturen als Alzima, Leiterin eines chinesischen Multikonzern, fallweise aber auch etwas schrill. Der aus Monfalcone stammende italienische Bariton Giorgio Caoduro unterlegte seinen schön timbrierten Bariton der ausdrucksstarken Darstellung des Bozzone, Teilhaber einer Firma für Imagekorrektur, gemeinsam mit der in Lissabon geborenen Sopranistin Ana Quintans als Memme. Sie fungieren in Salieris Oper als Intriganten-Paar. Der neapolitanische Bass Carlo Lepore in der Titelrolle als Kublai Khan und sein Landsmann, der Bariton Fabio Capitanucci, als dessen Adlatus Orcano, verfügten beide über eine ansehnliche Tiefe, die Stimmführung war jedoch für meinen Geschmack etwas zu grob.
Christophe Rousset, der sich bereits seit Jahren für das Werk Salieris stark macht, stand am Pult des von ihm 1991 gegründeten Orchesters Les Talens Lyriques. Bei ihm erklang Salieris Musik äußerst elegant, aber dennoch etwas seelenlos und trocken. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor sang und spielte wie immer mit äußerster Präzision. Die eigentliche Handlung dieser Oper wurde durch die gebotene „Spielfassung“ unnötig verkompliziert und endlos lang gestreckt. Keinesfalls entstand der Eindruck, ein originales Werk von Antonio Salieri vorgeführt zu erhalten. Das geschah meiner Erinnerung nach lediglich mit seinem Falstaff 2016 im Theater an der Wien. Alle Mitwirkenden wurden vom Publikum trotz einsetzender Ermüdungserscheinungen noch mit herzlichem Applaus bedankt im Wissen, dass man sich diese Oper, sollte sie irgendwo nachgespielt werden, nur in einer gestrafften Version ohne Aktualisierungstendenzen anschauen wird.
Harald Lacina