Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Musiktheater an der Wien: Christina Pluhar & L’Arpeggiata – Balkanroute

28.01.2025 | Konzert/Liederabende

Christina Pluhar & L’Arpeggiata – Balkanroute

Musiktheater an der Wien, 27.1.2025

WHAT.

A.

NIGHT!

pluh

Ich wollte die Besprechung des Konzerts ursprünglich gleich danach schreiben, dachte aber dann, dass diese wohl zu enthusiastisch ausfallen wird und es vielleicht besser wäre, diese erste am folgenden Morgen zu schreiben. Nun, es hat sich überhaupt nichts geändert – dieses Konzert war für mich genreübergreifend eines der großartigsten, die ich in meinem Leben besuchen durfte.

Vielleicht zu Beginn ein paar Worte über diese Combo. Die gebürtige Grazerin Christina Pluhar gründete das Ensemble von 25 Jahren, im Vergleich zu anderen Gruppen gibt es aber keine feste Besetzung, sondern die Musiker werden nach Bedarf und Thema der Aufnahmen oder Tourneen immer neu zusammengestellt, allerdings gibt es schon zwei oder drei Künstler, die schon länger dabei sind. Im Prinzip liegt der Schwerpunkt von Pluhar & Co auf der italienischen Musik des 16.Jahrhunderts, jedoch werden die Grenzen der Musik von L’Arpeggiata immer wieder ausgetestet.

Wenn man die Aufnahmen der letzten 25 Jahre betrachtet, so findet man auf „Music for a While“ Improvisationen über Henry Purcell (mit dem wunderbaren Jazz-Gitarristen Wolfgang Muthspiel), Leonard Cohens „Halleluja“, auf „Via Crucis“ mittelalterliche Gesänge über die Passion Christi, eine Aufnahme, die nur den Werken Monteverdis gewidmet ist (daraus wurde auch ein Stück an diesem Abend live dargeboten), viele Aufnahmen von Altmeistern wie Giovanni Girolamo Kapsberger, Stefano Landi oder Emilio de‘ Cavalieri). Unfassbar gut auch das südamerikanische Projekt „Los Parajos Perdidos“…

Ist nun L’Arpeggiata ein Crossover-Projekt? Ich tendiere dazu dies zu verneinen – es sind schlicht und ergreifend außergewöhnliche Künstlerinnen und Künstler, allesamt große Virtuosinnen und Virtuosen – die sicht- und hörbaren Spaß am Musikmachen haben und eines mitbringen, was für diese Art von Musik unabdingbar ist – sie können „Zuhören“ und auf die Improvisationen der anderen sofort reagieren – eine Kunst, die man manchmal im Klassikbereich zu verlieren scheint.

Aktuell touren L‘Arpeggiata mit mehreren Programmen durch Europa – neben dem zu Besprechenden auch noch mit „L’Orfeo“ von Monteverdi, „Alla Napoletana“ und „Händel Goes Wild“.

Die „Balkanroute“ war an diesem Abend eine musikalische und bezog sich auf die Länder, durch die die Flüchtlingsströme nach Mitteleuropa gelangen. Die Gruppe erzählte auf ihre Weise die Geschichte der Musikkultur – von der Türkei über Griechenland, Bulgarien, Mazedonien, Serbien, Bosnien bis Dalmatien (das ja dereinst venezianisch war).

Der Abend (ohne Pause) gliederte sich in 4 Teile –

DIE WESTBALKANROUTE von Griechenland über Mazedonien und Serbien nach Kroatien

Christina Pluhar an der Laute war für alle Arrangements und die Auswahl aller Stücke und Musiker zuständig – in einem Interview sagte sie einmal, dass sie de fact vier Jobs gleichzeitig erledigt.

Die ersten sechs Stücke beinhalteten Stück aus Griechenland, griechischen Inseln,  Mazedonien, Kroatien und Serbien. Vincenzo Capezzuto, ein Alto und ehemaliger Balletttänzer, der seit vielen Jahren zur Stammbesatzung von L’Arpeggiata gehört, die Griechin Katerina Papadopoulou, ebenfalls ein Gast wie auch Natasa Mirkovic aus Bosnien waren für die melancholischen Volksweisen zuständig, wobei Pluhar so arrangierte, dass ein Stück in das nächste ohne Pause überging.

Die Belgierin Céline Scheen, auch Teil der Stammbesatzung, war dann irgendwie eine Art Bruch, als ihr schöner und voller Sopran das „Panis Angelicum“ des kroatischen Barockkomponisten Ivan Lukacic, der im 17.Jahrhundert tätig war, vortrug.

Danach ging es musikalisch zur OSTBALKANROUTE über Bulgarien die Donau aufwärts

Petar Raichev am Akkordeon trug seine „Ballad Horo“ zusammen mit seinem Landsmann Peyo Peev (Gadulka) vor und zeigte, was für ein Großmeister er ist. Es war extrem spannend zuzusehen wie sich die beiden nur durch Blicke verständigten und sich so die entsprechenden Einsätze gaben – auch im Zusammenspiel mit David Mayoral und Tobias Steinberger, die gemeinsam mit Leonardi Teruggi am Kontrabass die, um einen Jazz-Terminus zu gebrauchen, die Rhythmusgruppe waren.

DIE ÖSTLICHE MITTELMEERROUTE führt von der Türkei auf die griechischen Inseln

Hier war wieder die Kunst von Katerina Papadopoulou gefragt, die ein Liebeslied aus dem alten Konstantinopel und ein Wiegenlied aus Izmir vortrug, unterbrochen von einem Instrumentalstück namens „Hasapiko“, bei dem die griechischen Gäste Kyriakos Tapakis (Oud), Stefano Dorakakis (Kanun) und Giorgo Kantoyiannis an der Lyra das musikalische Heft in der Hand hielten. Ich saß nahe genug zur Bühne um die Gesichter aller Musiker ganz genau zu sehen – sie lächelten während des gesamten Konzerts und hatten enormen Spaß und Hochachtung für alle Mitwirkenden.

Zwei der Stammbesatzung durften nicht fehlen – einerseits Josep Maria Marti Duran, der Theorbe und Barockgitarre spielte sowie Doron Sherwin, der nicht nur ein Großmeister der „Zink“ ist, sondern im Rahmen der ersten Zugabe auch als Rapper auftrat. Für die werten Leser, denen die „Zink“ als Instrument bis dato nichts sagt – es ist ein historisches, chromatisches Blechblasinstrument aus dem 15.Jahrhundert, das besonders zu Beginn des 17.Jahrhunderts sehr populär war. Zu dieser Zeit wurden Virtuosen an der Zink sogar besser bezahlt als Sänger..

Es ging dann wieder retour zur OSTBALKANROUTE mit weiteren Instrumentalstücken, ehe Céline Scheen aus dem „Ottavo Libro de Madrigli guerrieri et amorosi“ von Monteverdi den Klagegesang einer enttäuschten Nymphe vortrug und die Musiker ihre Improvisationskünste ausleben konnten. Es war schön, diesem Stück mit anderer Instrumentation im Vergleich zur Studioaufnahme wieder zu begegnen.

Und dann war es endlich soweit – die von mir sehnlichst erwartete Luciana Mancini hatte endlich mit einem traditionellen Roma-Lied aus Rumänien ihren Auftritt. Ich begegnete dieser Künstlerin erstmals im Rahmen des Südamerikaprojektes von L’Arpeggiata und bin seither ihrer Ausstrahlund , ihrem Temperament und ihrer Stimmer verfallen. Die Schwedin mit chilenischen Wurzeln hob das – meiner Meinung nach sowieso schon extrem hohe Niveau des Konzertes – auf einen noch höheren Level. Ich habe selten Künstler mit einer derartigen Ausstrahlung erlebt!

Das offizielle Programm wurde dann mit zwei Traditionals aus Bosnien und aus dem Kosovo viel zu früh nach 90 Minuten beendet.

Nachdem das Ensemble noch vor dem ersten Ton vom Publikum heftigst akklamiert wurde steigerte sich der Jubel nach dem Ende und es gab – wie auch nach jeder Zugabe – Standing Ovations! Die erste Zugabe war diejenige, die L’Arpeggiata bei jedem Konzert gibt – „Pizzica di San Vito“. Es ist ein Lied aus Apulien ist, im salentinischen Dialekt gesungen. Wie jedes Mal begeisterte Vincenzo Capezzuto mit einer Tanzeinlage, Doron Sherwin rappte und die vier Damen taten das ihre bei, dass das Stück so richtig „swingte“.  Zwei weitere Gesangsdarbietungen folgten, ehe die Instrumentalisten die Bühne verließen und die Sängerinnen und Capezzuto den Abend mit einem leisen, besinnlichen A-Capella Stück den Abend ausklingen ließen.

Als Kritiker muss man natürlich ein Haar in der Suppe finden – nun, in diesem Fall bleibt nur zu sagen, dass man diesen Künstlern noch gerne stundenlang weiter zuhören (und zusehen!!) hätte können..  Ebenfalls denke ich, dass (der Abend war ausverkauft) es nett wäre, wenn Konzerte wie diese vielleicht nicht nur einmalige Erlebnisse bleiben, sondern dass diese vielleicht auch zwei- oder dreimal hintereinander angeboten werden.

Es war eine Sternstunde der Improvisation, man sah Weltklasse-Musiker an ungewöhnlichen Instrumenten – und war Teil einer Gemeinschaft, die schlicht und ergreifend Freude am Musikmachen hat!

Kurt Vlach

blu
Schlussapplaus. Foto: Kut Vlach

Kurt Vlach

 

 

Diese Seite drucken