WIEN/ ImPulsTanz: Tobias Koch & Thibault Lac mit „Fool’s Gold“ in der Halle G
2019 gewannen sie den ImPulsTanz „Young Choreographers Award“ mit ihrem Stück „Such Sweet Thunder“. Nun, fünf Jahre danach, präsentieren Tobias Koch und Thibault Lac mit „Fool’s Gold“ eine Arbeit, die zeigt, wie sehr sie den „Jungen Choreografen“ inzwischen entwachsen sind.
Gemeinsam mit Stephen Thompson, einem ehemaligen Eiskunstläufer (man sieht seinem Bewegungsmaterial diese seine Herkunft durchaus an), der, mehrfach ausgezeichnet, bereits mit namhaften Größen des internationalen zeitgenössischen Tanzes kollaborierte, entwickelt Thibault Lac eine solistisch und gemeinsam getanzte Groteske, die wie jene sie inspirierende Harlekin-Figur vergangene und heutige Gesellschaften spiegelt.
Thibault Lac / Tobias Koch: „Fool’s Gold“, im Bild: Thibault Lac © Jelena Luise
Seine sich bereits in minimalsten Bewegungen zeigende Ausdruckskraft, verbunden mit seiner Bühnenpräsenz und seinem einzigartigen Charisma, machen Thibault Lac zu einer der derzeit auffälligsten Tänzer-Persönlichkeiten des europäischen zeitgenössischen Tanzes. Am P.A.R.T.S. in Brüssel ausgebildet, tanzte er unter anderem mehrfach in Arbeiten des bei ImPulsTanz viele Male gastierenden Trajal Harrell. In seinen eigenen Arbeiten, er tourt derzeit auch mit dem gemeinsam mit Bryana Fritz erarbeiteten Stück „Knight-Night“, taucht er, unter anderem anhand von historischen Figuren, ein in die Seelen seiner Zeitgenossen.
Tobias Koch, Komponist und Sound-Artist, er lebt in Berlin und Basel, arbeitet für verschiedene künstlerische Genres und präsentiert seine Musik weltweit auf Festivals, in Museen und Theatern. Seine jüngste Film-Musik für den Spielfilm „Drii Winter (A Piece of Sky)“ wurde mit dem Georges Delure Award ausgezeichnet. Koch lässt „Fool’s Gold“ beginnen mit einer an barocken Praktiken orientierten, mit Cembalo- und elektronischen Klängen die Zeiten bindenden, in völliger Dunkelheit eingespielten Komposition, die herausholt aus allem Mitgebrachten und hineinzieht in die noch unsichtbare Welt dieser Arbeit. Wunderbar! Später wird er mit elektronischem Sound, mit seinem Gesang, einer E-Gitarre, der er mit einem Elektromagneten verzerrte Dauertöne entlockt und mit einer per Geigenbogen in Schwingung versetzten hölzernen Zunge, klagende, tief grunzende bis fiepende Töne sind das Ergebnis, der Performance einen kongenialen akustischen Stempel aufdrücken.
Thibault Lac / Tobias Koch: „Fool’s Gold“, im Bild: Stephen Thompson © Jelena Luise
Hochkarätig also die Dreieinigkeit (auch Koch wird zum Performer) auf der Bühne. Diese, inmitten des sie allseitig rahmenden Publikums platziert, wird zum Schauplatz für einen Rundflug über Jahrhunderte europäischer Kulturgeschichte. Unter den scharfen Augen eines hampelnden Harlekins erleben wir den Barock, die Klassik, ein Schwan zieht auch vorbei, landen schließlich im Jetzt. Bereits die tänzerische Gestik des Barock in ihrer höfischen Maniriertheit darzustellen gelingt Lac eindrucksvoll. Das Hohle und Seelenlose des physischen Ausdrucks reist dann durch die Zeiten. Und immer wieder jener Sprung des Harlekin: „Eccomi!“
Die Rollen sind klar verteilt. Thompson gibt den in sich Ruhenden. Sich seiner Körperlichkeit bewusst, machen ihn die in ihm lodernden Flammen von Geist und Erotik zum diabolischen Konterpart zur lärmenden Eitelkeit eines zunehmend exzentrischen Harlekins Lac, der in seinem Tanz das Betrachtete spiegelt.
Sie bekommen lange Soli in dieser Choreografie. Thompson post in Slow Motion, strippt lasziv. Das rote Licht (von Alice Panziera) kommt von unten durch das Stahlgitter-Podest und lässt ihn wie in einem Höllenfeuer tanzen. Auch Asiatisches lassen Sound und Tanz erahnen. Lac und Thompson finden sich dann auch in Phasen, da beide, manchmal im Duett, tanzen. Sie beginnen zu konkurrieren, während Koch mit einer klingelnden Schellenkette durchs Publikum wandert und somit uns die Harlekinsche Perspektive zuweist.
Sie wetteifern um die Gunst der Zuschauenden. Lac sucht das Publikum, flirtet, neckt es, karikiert barocke und und andere Stile. Flamenco stampft er auf das Podest, verzerrt und persifliert ihn, macht auch ihn zur Hülle. Immer exaltierter wird der Tanz, immer verrückter und exzentrischer seine tänzerische Anbiederung, immer dringlicher sein Streben nach außen und auf das Publikum zu – die Dosis muss ständig erhöht werden – , immer unkontrollierter bis in die Selbstaufgabe, bis zum Verlust jeder Selbstachtung. Er grinst wie irre in die Menge. Hier scheint Thibeault Lac die Rollen zu verschmelzen. Die des Angeschauten und die des am Geschauten Verzweifelnden. Tobias Koch singt am Ende vom Ausbrechen aus dem Kreis. Er lässt den Sound lange verklingen. Wow.
Thibault Lac / Tobias Koch: „Fool’s Gold“, im Bild: Thompson, Koch, Lac © Jelena Luise
Das Gold der Narren, der schöne Schein, die Blendung, sind seit Urzeiten wesentlicher Teil hochkultureller Errungenschaften. Seit seinen Ursprüngen als mit Narrenfreiheit privilegierter, unantastbarer Verkünder von meist ungeliebten Wahrheiten, präsentiert sich dieser Harlekin, dessen Ursprünge bis ins späte 11. Jahrhundert reichen, mit „Fool’s Gold“ als Offenbarer universeller innerer Leere.
Die Performance selbst ist ein Harlekin mit der seiner Figur eingeschriebenen Dichotomie. Die Performance steht wie ein sich selbst Beobachtendes neben sich und macht auf diese Weise deutlich, wie Bewusstwerdung funktionieren kann. Das Aufmerksamkeit und Effekt (nicht Affekt) heischende Gehampel Lacs ist das der geschundenen Seelen, die ihre unbewusst gebliebenen Defizite, wahrgenommen Werden und Anerkennung zuvorderst, Liebe als fehlende Basis, versuchen zu kompensieren mittels äußerlicher Konstrukte, heute intensiviert durch sich stetig erweiternde technologische Möglichkeiten. Das aber verstärkt das nagende Gefühl der Einsamkeit nur. Sie finden keinen Ausweg aus diesem seelischen Dilemma als den der Kompensation, weil ihnen der Pfad der Anschauung seiner selbst mit der damit verbundenen Bewusstmachung und Integration bislang verschlossen blieb.
Die Relevanz für die Moderne? Sie enthüllen die heutzutage durch die (sozialen) Medien ermöglichte Beliebigkeit jeglichen Inhaltes, besser wohl „Contents“, die Flutung derselben mit nichtigen Interessantheiten und letztlich die im Wortsinne Maß-Losigkeit der Zurschaustellung von Oberflächen. Die Kompensation von psychischen Defiziten unter Umgehung der Bewusstmachung dieser ist zum Königsweg geworden. Das quälende Gefühl mangelnder Selbstliebe wird damals mit Puder, heute mit Likes betäubt.
Wenn eine Kultur jener hohlen, sinn- und seelenlosen Selbstdarstellung einen solch immensen Stellenwert einräumt, wenn der Schein zu Wahrheit, die Oberfläche zur Essenz, diese zum Daseinszweck wird, wohin gehen wir dann und damit? Welches Ziel haben wir als Individuum und als Gesellschaft? Das „Gold der Narren“ wird zu einem deprimierenden Abbild und zu einem dystopischen Ausblick auf den zukünftigen Zustand unserer Gesellschaft.
Thibault Lac / Tobias Koch: „Fool’s Gold“, im Bild: Thompson, Koch, Lac © Jelena Luise
Beißend ist die Ironie, mit der der einstige Mut einer die Wahrheit fein verpackt verkündenden Figur in sein Gegenteil verkehrt wird. Nicht Mut noch Feinsinn sind von Nöten, um nur noch die traurige Wahrheit über seine eigene Substanzlosigkeit hemmungslos zu offenbaren. Und das mit Reichweite. Tragisch ist daran, dass jemand, der sich selbst nicht achtet, auch niemanden Anderen achten kann, dass jemand, der seine Würde permanent mit Füßen tritt, dieses auch mit anderen tut, dass jemand, der sich ständig selbst betrügt, das auch mit anderen tut.
Und wer der Lüge anheimgefallen ist, glaubt (an) nichts mehr. Oder (an) alles. Eine von der Lüge durchsetzte Gesellschaft ist manipulierbar. In jede Richtung. „Seid wachsam!“ rufen die drei uns zu. Lasst euch nicht blenden vom schönen Schein der Attraktionen! Schaut hinter die Fassaden! Auch wenn ihr in die Leere blickt, aber schaut! Voll von Leere ist dieses Stück. Mit seiner Symbiose aus brillantem, teils bewegendem Tanz, eindrucksvollem, zeitweise überwältigendem Sound und Live-Gesang und einem wirkungsvollen Lichtdesign stülpt „Fool’s Gold“ die reißenden Fluten grassierender innerer Einöden nach außen. Genau darin liegt die Chance.
Tobias Koch & Thibault Lac mit „Fool’s Gold“ am 26.07.2024 in der Halle G im Rahmen von ImPulsTanz.
Rando Hannemann