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WIEN/Museumsquartier Halle E/ ImPulsTanz: Trajal Harrell mit „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“

29.07.2023 | Ballett/Performance

 

WIEN/ ImPulsTanz: Trajal Harrell mit „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“

Er hat das Voguing zu einem Werkzeug entwickelt, mit dem er komplexe Themen auf die Bühne bringt und Geschichten insbesondere von Menschen aus Randgruppen der Gesellschaft erzählt. Der in New York geborene Tänzer und Choreograf Trajal Harrell, er zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Choreografen und leitet seit 2019 das Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble, bezieht sich in seinem Anfang Dezember 2021 in Zürich uraufgeführten Stück „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“ auch auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776.

Schon der Titel dieser hier bei ImPulsTanz als Österreichische Erstaufführung gezeigten Arbeit erzählt viel vom Stück. „Monkey on my back“ ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für ein seit Langem ungelöstes Problem, das das physische, meist jedoch psychische Leben eines Menschen nachhaltig negativ beeinflusst. Und „The Cat’s Meow“ spielt humorig mit den das Visuelle adressierenden Entäußerungen auf einem Catwalk. Einen solchen legte Trajal Harrell auf der langgestreckte Bühne zwischen den Tribünen aus mit Mondrianschen Flächen, die in der Mitte von Japanmatten und einem Perser-Teppich, auf denen ein Tisch mit allerlei Krempel darunter steht, geteilt werden. Auf den zwei riesigen weißen Ecksofas daneben wird gelümmelt, gelesen, gekämpft, gelitten und geweint.

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Trajal Harrell: „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“ © Orpheas Emirzas

In fünf Teile gliedert Harrell diese Show. Er selbst führt ein, begibt sich in die Rolle der Britin Anna Wintour, seit 45 Jahren Chefin der amerikanischen „Vogue“, die sich als Europäerin und Weltbürgerin begreift und in Harrells Stück NICHT tanzen will. Mit „Die Erzählung“, „Die Party zum Zuhören“, „Nichts für schwache Herzen“ und letztlich „Die Verbeugung“, einzeln zelebriert im Bademantel, in dem die Show auch begonnen wird, geht es durch die zwei Stunden.

„The King is naked“ auf umgehängten Plastik-Folien verweist auf die Moral der Geschichte in Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Harrell formuliert damit schon ziemlich am Anfang das Leitmotiv des Stückes und einen Appell, sich für Wahrheit und Wahrhaftigkeit zu entscheiden. Gegen mit Verleugnung und Lüge erkaufte Vorteile.

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Trajal Harrell: „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“ © Orpheas Emirzas

Die Gangart der Laufstege der Modewelt leben die TänzerInnen, erweitert mit SchauspielerInnen zu insgesamt 17 PerformerInnen, überzeichnet. Fast schon skurrilifiziert. Ihr Schreiten und Posen hat vom ersten Moment an aber etwas, das das Präsentieren von Textilien in ein Ausstellen von sehr Persönlichem wandelt, das das Äußere zum Ausdruck eines Inneren werden lässt. Die von Trajal Harrell selbst entworfenen über 60 Kostüme repräsentieren die Kleidermoden zwischen Rokoko und Heute, Oberschicht und Sandler, Fest und Alltag, schmarotzender Kolonial-Aristokratie und aus dem Leben gefallenem Prekariat. Ihre Träger erzählen damit Geschichten, die mehrschichtig sind wie oft ihre Kostümierung.

Ein von vielen und oft gezeigtes erdfarbenes Rüschenkleid, das immer wieder von darüber  Getragenem teilweise oder ganz be- und verdeckt wird, erscheint wie der textile Ausdruck eines menschlich Eigentlichen, das mit verschiedensten Identitäten, bewusst entworfen oder in einer Opferrolle erlebt und leidvoll erfahren, verkleidet wird. Harrell präsentiert auf dem Catwalk die Verkleideten und ihre Verkleidungen und begibt sich auf die Suche nach diesem Eigentlichen, das das dem Menschen als Solchen Eigene beschreibt, und untersucht die Wirkungen der Unterdrückung dieses Eigentlichen.

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Trajal Harrell: „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“ © Orpheas Emirzas

Und hier kommt die mit steigender Intensität von mehreren PerformerInnen verlesene amerikanische Unabhängigkeitserklärung ins Spiel. Der ungeheure, lebensgefährliche Mut, mit dem deren Verfasser gegen das britische Kolonialsystem aufbegehrten und sich damit von der britischen Krone lossagten, ist in vielen Gegenden dieser Welt mit dem Mut gleichzusetzen, den heute Diskriminierte, Schwarze, Queere, Frauen, brauchen und an den Tag legen. Ihre Unfreiheit fühlt sich an wie jener Affe auf dem Rücken …

Neben dem Voguing wird der in Japan entstandene Butoh zu einem prägenden Werkzeug. Er ermöglicht den physischen Ausdruck psychischer Deformierungen, die Darstellung des Leidens an sich selbst und an der Einsamkeit derjenigen, die nicht den gesellschaftlich anerkannten Normen entsprechen. Neben Trajal Harrell in einer zentralen Szene auf der Couch schaffen es zwei weitere Performer mit der Darstellung von Effekten und Affekten ihres So-Seins, damit tief in die Herzen er Zuschauenden einzudringen. Großartig.

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Trajal Harrell: „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“ © Orpheas Emirzas

Eine Laufsteg-Show von bunt gekleideten Menschen mit teuren Pelzen, einem weißen Stoff-Tiger, weiteren angedeuteten Tieren und amöbenartig ausgebuchteten Wesen aus Stoff um die Schultern wirkt wie ein Gleichnis. Der Schutz seltener Tiere und Pflanzen erhält die Bio-, die Gleichberechtigung aller Menschen die kulturelle Diversität.

Die Musik setzt Trajal Harrell ein wie einen Co-Performer, vertraut mit Leid und Schmerz. Die Bandbreite ist riesig. Von Debussy über Nina Simone, Mia Doi Todd, Earth, Wind and Fire bis zu Joan Armatrading, zu deren „The weakness in me“ Harrell ein bewegendes Solo tanzt, sucht allein schon die Musik Pfade in unsere seelischen Weichteile. Steve Reichs minimalistische repetitive Vokal-Komposition „Come out“, die per phasenverschobener Überlagerung successive in chaotisch-rhythmischen Krach führt, tanzen Harrell und drei weitere Performer in gleichem schwarzen Kleid mit bunten Besätzen am Rock. Die volle Länge. Das Licht dämmrig. Und nach und nach erscheinen im Dunkel alle anderen. Verschieden gekleidet, nicht mehr kostümiert. Zum südeuropäischen Finale.

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Trajal Harrell: „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“ © Orpheas Emirzas

Ein „trotz alledem“ weht durch das Stück. Trotz aller Tragik und Fragilität schaut er mit zärtlichem Blick auf die Würde eines jeden Menschen. Mit Humor bricht er die melancholische Grundstimmung, mit Hoffnung, Wärme und Empathie die Tristesse der in so poetischen Bildern beschriebenen, brutalen Wirklichkeit. Und er zeigt Wege auf zur individuellen Integrität und kollektiven Integration. Sie werfen mittendrin einmal all die fremden Hüllen fort und erleben freudvoll tanzend dessen befreiende Wirkung. Jeder ist für kurze Zeit er/sie selbst. Das gemeinsame Erlernen und Tanzen von griechischem traditionellem Tanz am Ende, behutsam im Dunkel praktiziert, umhüllt von dessen schützendem Schleier, führt in eine offene Gemeinschaft. Das Tor in eine fremde Kultur dient als metaphorisches Vehikel für die Einbringung des Eigenen und für vorbehaltlose Akzeptanz des Anderen.

„Monkey“ ist eine „dunkle Feierlichkeit“, zutiefst menschlich und hochpolitisch zugleich. So viele sind betroffen, so breit das Spektrum ihrer abgelehnten Merkmale, so viele Generationen lang wärt das Leid, so hart, entbehrungs- und opferreich war und ist ihr Kampf, so tief eingeschrieben in die Seelen hat sich ihr Schmerz. Und dennoch: Trajal Harrell gibt sie nicht auf, die Hoffnung. Und mit ihr den Ruf nach Freiheit.

 

Trajal Harrell mit „Monkey off My Back or The Cat’s Meow“ am 27.07.2023 im Wiener Museumsquartier/Halle E im Rahmen von ImPulsTanz.

 

Rando Hannemann

 

 

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