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WIEN/ Museumsquartier/ Halle E: DER REIGEN von Bernhard Lang nach Schnitzler. Wiener Erstaufführung

13.11.2019 | Oper


Foto: Neue Oper Wien

WIEN/MuseumsQuartier Halle E: Bernhard LANG: „DER REIGEN“ nach Arthur Schnitzlers Theaterstück als Wiener Erstaufführung der Neuen Oper Wien

Grundgerüst: Begegnung – Sex – Trennung

12.11. 2019 – Karl Masek

Ein Abbild der (damaligen)  Gesellschaft wollte Arthur Schnitzler in den Entstehungsjahren 1896/97 mit dem Theaterstück „Reigen“ zeigen. Eine Gesellschaft getriebener und einander entfremdeter Menschen. Ein ewiger Kreislauf der Begierden, in der Jagd und der Sehnsucht nach Liebe und sexueller Erfüllung seien die Menschen alle gleich, diagnostizierte der scharfsichtigste Psychoanalytiker unter den Literaten.

Schnitzler setzte sich in der Tat  mit der Psychoanalyse auseinander und erreichte in seinen Werken weitgehende Übereinstimmung mit den psychologischen Problemen seiner Zeit.  Egon Friedell schrieb 1931 in einem Nachruf über Arthur Schnitzler: „Er hat bereits zu einer Zeit, wo diese Lehren noch im Werden begriffen waren die Psychoanalyse dramatisiert. Und er hat in seinen Romanen und Theaterstücken das Wien des Fin de  siecle eingefangen und für spätere Geschlechter konserviert: eine ganze Stadt mit ihrer einmaligen Kultur, mit dem von ihr genährten Menschenschlag, wie er sich in einem bestimmten Zeitpunkt der Reife und Überreife auslebte … Er hat damit etwas Analoges geleistet wie Nestroy für das Wien des Vormärz.“

In diesem Zyklus von 10 Einaktern treffen 5 Frauen und 5 Männer aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in immer neuen Konstellationen und Partnerwechseln aufeinander. Grundgerüst dabei: Begegnung – Sex – Trennung.  Mit erotischer Besessenheit und geradezu mechanisch-zwanghaftem Verhalten wird zur Sache gegangen. Das Vor- und Nachspiel,  es ist beides voll der Wiederholungen an unechten Gefühlen, an ewiggleichen Verführungsmechanismen, dem Sich-und-einander-etwas-Vorlügen. Ernüchterung nach nicht erfolgtem Lustgewinn. Der Reigen, das Liebeskarussell dreht sich weiter. Und alle bleiben sie letztlich als Verstörte und Zerstörte zurück. Das Originalstück ist, liest man es seit langer Zeit wieder einmal, von sozialer Treffsicherheit, lakonisch, von zeitloser Brillanz und auch heute noch mit moderner und zeitgemäßer Sprache. Man merkt, wie wenig sich seit 1920 in Wahrheit verändert hat. Bis hin zu den Rollenmustern…

1920 bzw. 1921 waren die Aufführungen des „Reigen“in Berlin und Wien  jeweils veritable Theaterskandale, lösten Tumulte, Parlamentsdebatten und Pressekampagnen aus, in den Wiener Kammerspielen kam es zu regelrechten Saalschlachten.  Schnitzler entschloss sich, tief betroffen von den Ausschreitungen und bigotten wie antisemitischen Anfeindungen zu einem Aufführungsverbot für das Stück. Erst nach Ablauf der Urheberrechte mit Ende Dezember 1981 durfte das Stück wieder auf die Bühnen zurück.

Schließlich, 2014, nachdem der Stoff seit 1982 auch den Weg ins Musiktheater und ins Ballett gefunden hatte, die Uraufführung der Komposition des Oberösterreichers Bernhard Lang mit dem Libretto von Michael Sturminger bei den Schwetzinger Festspielen. Walter Kobéra gelang es wieder einmal, ein Opernwerk nach der Uraufführungzeitnah auch nach Österreich zu bringen. Anlässlich der Bregenzer Festspiele kam das Werk Ende Juli 2019 durch die Neue Oper Wien zur erfolgreichen ÖEA, jetzt ist Wien dran. Bernhard Langs Reigen-Version übernimmt das Prinzip der Wiederholungen, das dem Stück innewohnt, auch musikalisch. Er arbeitet  mit stilistischen Annäherungen an Jazzformen, viel mit Loops und ostinaten Wort- bzw. Satzwiederholungen. Die Wortverständlichkeit soll damit erhöht werden – und spätestens bei der dritten Repetition hat man’s eh  immer verstanden. Dieses Stilmittel wird einen Abend lang allerdings überstrapaziert – und es ist ja nicht wirklich neu. Obwohl ich das Werk „Die Kluge“ von Carl Orff schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gehört habe, fiel mir der bis zur Penetranz wiederholte Satz des Bauern: „Ooooh, hätt ich meiner Tochter nur geglaubt, ihr nur geglaubt, ihr nur geglaubt, ihr nur geglaubt…“ ein,  und der setzte sich prompt als lästiger Ohrwurm fest…

Das Navigieren zwischen Sprechen, einem Sprechgesang von Rap – artiger Geschwindigkeit und Singen, von Klassik-Paraphrasierungen und Jazzpartikeln hielt allerdings die Aufmerksamkeit wach, zumal alle 5 Protagonisten diese Poystilistik singsprachlich perfekt umsetzten. Dort, wo Schnitzler im Theaterstück die berühmten Gedankenstriche gesetzt hatte, bringt Lang 15 Sekunden-Klangflächen von verschiedenartigsten Ausdrucks- und Dynamiknuancen. Unterstützt von effektvollen Videozuspielungenvon düsterer Ästhetik und eindringlicher Farbigkeit (Falko Herold).

Somit zur Detailkritik der Sänger/innen. Sie alle hatten die Herausforderung, in zwei komplett unterschiedliche Charaktere zu schlüpfen, zu bewältigen.

Alexander Kaimbacher war bis zur Selbstentäußerung ein widerliches Ekel als brutaler, ziemlich angetrunkener  Vorstadtpolizist, der hier Franz heißt. Die Szene mit der Prostituierten war hier zwar textlich fast ungefilterter Schnitzler, aber sonst weniger an der Augartenbrücke als vielleicht irgendwo im „Kaisermühlen-Blues“ angesiedelt – mit allen Proletenklischees. Rippleiberl, schmuddeliges Outfit, Bierdose. „Joschi“ Täubler lässt grüßen. Als Autor („Ich heiße Robert!“) hat er Telefonsex mit dem Schulmädchen (idealtypisch süß-unschuldig-durchtrieben und apartem Jungmädchen-Sopran: Anita Giovanna Rosati, die auch ein schauspielerisches Kabinettstück mit dem Ehemann lieferte, wenn sie dem Wein die Schuld an ihrer Verführung zuschiebt). Kaimbacher lieferte vier seiner gekonnt gespielten Charakterstudien und geht dabei – als „Bühnenpferd“ – an Grenzen.

Zwischen den Geschlechtern durfte der Countertenor Thomas Lichtenecker changieren. Als„junger Mann“war er in der Szene mit der Ehefrau glaubwürdiger, da er hier eher mit der Sprechstimme spielen konnte. Exzellent setzte er hier eine Art eloquenter jungmännlicher Beleidigtheit ein. In der Szene mit dem Hausmädchen (Marie), nochmals Anita Giovanna Rosati, ließ ihn Bernhard Lang nur wenig mit der Modalstimme singen, und dann stimmten Optik und Falsett nicht so recht zusammen. Dafür war die „Schauspielerin“ Pauline durch seine Verkörperung eine echte Wucht! Zusammen mit dem Autor Kaimbacher ein begeisterndes Lehrspiel schräg-absurden Theaters voll „hilfloser“ Komik…

Auf Augenhöhe aber auch die 2 anderen Protagonist/innen. Barbara Pöltl in ihren Rollen (als abgeklärte Prostituierte Manuela und selbstbewusste junge Ehefrau Emma mit sinnlichem Mezzo) und Marco di Sapia als ständig dozierender Ehemann mit Magenbitter-Charme und als Privatier Johannes, der die Prostituierte noch einmal besucht, und hier (meisterlich seine Körpersprache) beginnende Senilität ahnen lässt. Sein Bariton kann auftrumpfend, pathetisch, knochentrocken und ziemlich ältlich klingen.


Am Ende Verstörung: Lichtenecker, Pöltl, Rosati, Kaimbacher, di Sapia. Foto: Neue Oper Wien

Alexandra Liedtke greift den gnadenlosen analytischen Blick und die beißende Ironie Schnitzlers auf, besticht  durch gekonnte Personenführung, hatte aber mit dem Quintett auf der Bühne auch hervorragende Singdarsteller als Umsetzer.

Immer wieder verblüffend die gelungenen Bühnenbildlösungen der Neuen Oper Wien. Florian Schaaf ermöglichte blitzartig-überraschende Bühnenbildwechsel. Da können sich Einheitsbühnenbild-Apostel an so manchen berühmten Operntempeln sehr viel abschauen! Park, Gemeindebau, das Hotel Orient, eine Waschküche mit 2 Waschmaschinen, wo sich zwischen den Ehepartnern das Grundgerüst Begegnung – Sex – Trennung abspielt. Von großer Könnerschaft Lichtdesign und Klangregie (Norbert Chmel und Christina Bauer).

Walter Kobéra war das gewohnt souveräne Zentrum am Pult und ließ alle Feinheiten, Verästelungen der Partitur und die Polystilistik  zu ihrem Recht kommen. Das fabelhafte amadeus ensemble wien verdient wieder einmal höchstes Lob. Man spürt, diese 24 Musiker/innen spielen schon lange  Zeit zusammen (in haargenau derselben Besetzung wie schon im Sommer in Bregenz).

Der Abend wurde herzlich akklamiert. Legenden der zeitgenössischen Musik wie Friedrich Cerha und HK Gruber waren anwesend.

Karl Masek

 

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