Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ MuseumsQuartier/ Halle E: BRODSKY / BARYSHNIKOV

19.03.2019 | Themen Kultur

Wien, MuseumsQuartier / Halle E

„Brodsky / Baryshnikov“

17.3.2019 / Renate Publig

(Die ursprüngliche Ankündigung – eine Vorstellung am 15.3. wurden noch eingeschoben)

„Eine One-Man-Show, in der die Ballett-Ikone Mikhail Baryshnikov Gedichte des Nobelpreisträgers Joseph Brodsky rezitiert“, könnte man lapidar das Programm „Brodsky / Baryshnikov“ zusammenfassen. Die beiden Männer verband eine Freundschaft, die 1974, dem Jahr von Baryshnikovs Emigration begann und 1996, mit dem Tod Brodskys endete. Als sie erstmals 1974 auf einander trafen, sagte Brodsky: „Nehmen Sie Platz, wir haben einiges zu besprechen.“ Und Baryshnikov ergänzt: „Seit dem Abend damals dauerte unser Gespräch an und hörte zwanzig Jahre lang nicht auf“. Rezitiert wurden ausschließlich Brodskys russische Gedichte, die in deutscher Sprache übertitelt wurden.


Joseph Brodsky mit Mikhail Baryshnikov, New York 1985. © Leonid Lubianitzky

Regie zu diesem Programm führte Alvis Hermanis, er inszeniert in einem 90 Minuten-Abend Gedichte eines entwurzelten Poeten. (Brodsky musste 1972 die Sowjetunion verlassen.) Gedichte über Einsamkeit, Altern, Tod, Schicksal, Nicht-Heimat in einer Wort“imposanz“ („-gewalt“ wär hier völlig verkehrt, denn trotz der Wucht der russischen Sprache klangen oft sanfte, wehmütige Töne an …), die selbst im Filter der Übersetzung noch die Seele treffen. Wie gut, dass die Übersetzungen im Gleichtakt mit dem Gesprochenen projiziert wurden, dadurch blieb wenig Zeit zum (Nach-)Denken, sondern „nur“ dafür, sich mit der Emotion tragen zu lassen. Intensiv, berührend, und „auf schaurig-wehmütige Weise schön“.

Was Mikhail Baryshnikov betrifft, gestehe ich freimütig, dass mir jegliche Neutralität fehlt. Ich war noch ein Kind, als ich Baryshnikov 1977 in der Volksoper sehen, nein, erleben durfte – ein Abend, der in meinem Gedächtnis wundervolle Spuren hinterließ. Denn, um Brodsky zu zitieren: „Vergangenheit passt nicht restlos ins Gedächtnis, sie braucht Zukunft“, und in diesem Sinne war die Freude groß, dem großartigen Künstler noch einmal live zu begegnen.

Baryshnikov, mittlerweile 71, präsentierte also ein 90-minütiges Programm, rezitierte eine Vielzahl an Gedichten auswendig, las andere (aus dramaturgischen Gründen) vor – und traf mit seinen Interpretationen ins Mark. Und seine Bewegungen … allein, wie er den alten Mann markiert, der nicht mehr die Kraft zum Aufstehen von der Sitzbank hat, um ein paar Minuten später herumzuwirbeln …

Optisch bot sich ein einfaches, berührendes Konzept: Ein „Reisender“ setzt sich auf die Bank vor einem heruntergekommenen Glaspavillon, packt aus seinem Koffer eine Flasche Schnaps, ein Handtuch, zwei Gedichtbände. Beginnt, im Gedichtband zu lesen. Erst lautlos, dann gemurmelt, dann laut vorlesend. Der Vorleser verschmilzt immer mehr mit der Figur des Vertriebenen (= des Poeten). Liest ein Gedicht exakt in der Diktion des Dichters vor, als die Originalstimme des Dichters ertönt, wird sie eins mit der Stimme des Vorlesers, bis diese verebbt. Der Glaspavillon wird zum „Gehirn“ des Dichters, zum „Mind Palace“, der trotz Verfall seine Schönheit nicht verloren hat. In diesem Pavillon transformiert Baryshnikov das Gesagte, das Gefühlte in Körpersprache.

Renate Publig

 

 

Diese Seite drucken