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WIEN/MuseumsQuartier Halle E: „ANGELS IN AMERICA“ von Peter Eötvös als Österreichische Erstaufführung der NEUEN OPER WIEN

26.09.2019 | Oper

 


Caroline Melzer und David Adam Moore. Foto: Armin Bardel

WIEN/MuseumsQuartier Halle E: „ANGELS IN AMERICA“ von Peter Eötvös als Österreichische Erstaufführung der NEUEN OPER WIEN

„Halluzination und Realität gehen ineinander über“

Premiere am 26.9. 2019 – Karl Masek

Die Neue Oper Wien bleibt seit der Intendanz von Walter Kobéra (1994) ihrem Prinzip treu, ausschließlich Werke des 20. und vor allem des 21. Jahrhunderts zu spielen. Damit hebt sie sich deutlich und verdienstvoll ab von der Programmpolitik der „etablierten Opernhäuser“ Wiens, die weitgehend Werke der Jahrhunderte 17 bis 19 und allenfalls die Klassische Moderne perpetuieren. Werke von Zeitgenossen wie zuletzt in der Wiener Staatsoper haben dabei Seltenheitswert.

Gleich drei Österreichische Erstaufführungen der Neuen Oper Wien werden sich in der Saison 2019/20 mit dem gesellschaftlichen Wandel beschäftigen. Grundlage sind jeweils hochkarätige Literaturvorlagen bzw. Libretti. Den Anfang machte die 2004 in Paris uraufgeführte Oper Angels of America von Peter Eötvös,  basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Tony Kushner. Es folgen ebenfalls im MuseumsQuartier (als Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen 2019 und in Kooperation mit „Wien Modern“ ab 12.11.)  Der Reigen von Bernhard Lang mit Libretto von Michael Sturminger nach Arthur Schnitzlers Stück von 1920. Schließlich im Juni 2020 in der Kammeroper Wien  Proserpina, ein Monodrama von Wolfgang Rihm nach Johann Wolfgang von Goethe.

Das Theaterstück des Tony Kushner vom Beginn der 90er Jahre erhielt seinerzeit den Pulitzer-Preis. Kushner arbeitet sich an der Präsidentschaftszeit des Ronald Reagan ab, verarbeitet die unselige McCarthy-Ära und ihre Kommunisten-Hatz, zugleich Themen wie gesellschaftliche Normen und Rollenbilder, die schonungslos aufeinander prallen. „….obwohl die Handlung an eine Epoche gebunden scheint, ist die Aktualität zentraler Aspekte allgegenwärtig…“, so die Neue Oper Wien in ihrer Presseaussendung. Im Zentrum dabei die sexuelle Revolution – und die AIDS-Tragödie. Auch wenn die AIDS-Problematik aus dem Fokus der Wahrnehmung gefallen scheint – dank der modernen HIV-Therapien, und die Zahl der Erstdiagnosen stagniert jedenfalls in Österreich bei 400 bis 500 pro Jahr –,  so ist sie dennoch nicht verschwunden. Und vor allem weiterhin ein Tabuthema…

Peter Eötvös schreibt über seine Komposition: Halluzination und Realität gehen in diesem Stück nahtlos ineinander über. In der Opernversion lege ich weniger Akzent auf die politische Linie als Kushner, vielmehr konzentriere ich mich auf die leidenschaftlichen Beziehungen, auf die hochdramatische Spannung, …, auf den permanent schwebenden Zustand der Visionen …“

Das Libretto stellte Mari Mezei, Ehegefährtin und Kreativpartnerin von Peter Eötvös, zusammen. Sie brachte das zweiteilige Theaterstück von über 6 Stunden auf verträgliche 2 ½ Stunden. „6 Stunden! Soviel Zeit werden wir nicht haben“, so der Regisseur launig beim Einleitungsvortrag…

Eine perfekt gelungene Bühnenbildlösung samt suggestivem Lichtdesign bildet Basis und Blickfang (Nikolaus Webern und der an der Neuen Oper Wien vielfach bewährte Norbert Chmel). Das Stück spielt unverkennbar in New York. Großartig gelungen dabei die Projektionen, die in Sekundenschnelle Wechsel und Vergrößerung bzw. Vervielfältigung von Figuren erlauben. Von der New Yorker Skyline zur amerikanischen Flagge, riesengroß und bedrohlich. Die kalte Ästhetik einer Schnee- und Seelenlandschaft im Central Park (das könnte fast von Karl-Ernst Herrmann gewesen sein, für ein Thomas-Bernhard-Stück entworfen). Arktische Eiswüste, aus der gelegentlich ein Eisbär hervortritt. Mit wenigen Requisiten werden eindringliche Situationen imaginiert: ein Sofa, eine Parkbank, ein Anwalts-Bürotisch mit Telefonen, ein Schminktischchen, ein Spitalsbett.

Regisseur Matthias Oldag erzählt die vieldeutige Geschichte (inclusive „sidestep“ mit der Radioübertragung über die Tschernobyl-Katastrophe, die Engelschar im Himmel hört zu!) , mit dem ständigen Navigieren zwischen realen Personen und einer vielschichtigen Engelwelt  aus allen Kontinenten, spannend, packend, wohl auch bewusst rätselhaft bleibend. Vor allem vor der Pause, als zudem die Übertitelungs-Anlage streikte, was natürlich Pech war, erschloss sich manches nicht so ohne weiteres.


Franz Gürtelschmied und Wolfgang Resch. Foto: Armin Bardel

Im Zentrum dabei das schwule Paar: Prior (mit Leidensintensität und virilem Bariton: David Adam Moore) und Louis (mit gleißendem Tenor auch feminine Nuancen mit Selbstentäußerung darstellend: Franz Gürtelschmied). Und das Mormonen- Ehepaar, bei dem sich Joseph Pitt die Homosexualität nicht eingestehen will, aber dennoch mit Obsession Parkbekanntschaften sucht und findet (dort ist Louis das Objekt der Begierde). Wolfgang Resch spielt diesen Zwiespalt berührend intensiv und setzt seinen angenehmen Bariton vorteilhaft ein. Sophie Rennert spielt als seine valiumsüchtige Ehefrau Harper Pitt die Momente, wenn sie sich eingestehen muss, dass ihr Mann homosexuell ist, mit großer Eindringlichkeit und lotet die Verzweiflung auch mit einem Mezzosopran, der schillernde Valeurs und großen Tonumfang hat, aus.

„Roy Cohn“ ist die einzige historisch authentische Figur. Als Staatsanwalt beriet er in den 50er Jahren McCarthy bei dessen Jagd auf Kommunisten und war auch ein früher anwaltlicher Förderer Donald Trumps, so etwa ab 1973. Seine AIDS-Diagnose weist er zurück, sagt, er habe Leberkrebs. Und halluziniert im Stück den Geist von Ethel Rosenberg, die er auf den elektrischen Stuhl gebracht hat. Karl Huml mit einer furchterregenden singdarstellerischen Glanzleistung und dröhnendem Bass.

Mit dramatischen Tönen schraubt sich Caroline Melzer als Weißer und dann Schwarzer Engel höher und höher. Ihr verlangt Eötvös das Äußerste ab, Melzer meistert die enormen Schwierigkeiten der beiden Rollen mit Bravour.

Sonst ist Eötvös‘ Werk über weite Strecken leise, der Duktus bleibt oft im Sprechgesang verhaftet. Vieles ist mehr film- als opernhaft komponiert. Subtil die Klangfarben. Auf die Protagonisten zugeschnitten. Mit betonten Amerikanismen (z.B. wird Louis als Musiker mit E-Gitarre gezeichnet), ein musicalhafter Ton wird bisweilen gestreift. Ein hebräisches Lied wird angedeutet. Insgesamt bleibt die Musik durchaus kantabel. Sie ist zugänglicher und weniger spröde als in anderen seiner Werke. Beschäftigung mit dem amerikanischen Musiktheater, dem „brodelnden Broadway“, ist spürbar. In eine „kompositorische Schule“ lässt sich Eötvös nicht einordnen. Er wäre unglücklich, wenn er erkennen müsste, es würde sich etwas von Bestehendem wiederholen,…

Die 8 Sänger/innen finden dankbare Aufgaben vor, müssen auch neben menschlichen Figuren „Ghosts“ und „Angels“ verkörpern und dabei auch zwischen den Geschlechtern, zwischen Modalstimme und Falsett, changieren. Inna Savchenko ist die Spezialistin für skurrile männliche und weibliche Typen (Rabbi Chemelwitz, Hannah Pitt), oder Tim Severloh, der virtuos und fast gleichzeitig Krankenpfleger und „Nurse“ und afrikanischer Engel ist. Mal Bariton, mal Counter. Großes Lob auch für das Vokaltrio aus dem Orchestergraben (Momoko Nakajima (Sopran),  Johanna Zachhuber (Alt) und Jorge Martino Alberto Martinez (Bass-Bariton).

Walter Kobéra zu preisen, hieße mittlerweile Eulen nach Athen zu tragen. Im Auftreten  betont bescheiden, leise, fast schüchtern wirkend (seinen Einleitungs-Statements ist oft nur schwer zu folgen, so leise spricht er!), ist er immer wieder Kraftzentrum jeder Produktion. Dirigentisch sowohl Sachwalter als auch Inspirationsmittelpunkt, ist er gemeinsam mit dem amadeus ensemble-wien Garant für erstklassige Wiedergaben.

Großer Erfolg, starker und lang anhaltender Applaus, Bravorufe. Auch der anwesende Komponist schien sehr zufrieden mit der Produktion zu sein. Er soll „Angels in America“ beim Gastspiel im MÜPA Budapest dem Vernehmen nach selbst dirigieren (10. & 12.10.).

Karl Masek

 

 

 

 

 

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