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WIEN/ Konzerthaus/ „Resonanzen“ : „Die Planeten“  Jean-Baptiste Lully: „ATYS“

21.01.2024 | Konzert/Liederabende

RESONANZEN 2024 – „Die Planeten“

 Jean-Baptiste Lully: „ATYS“, 20.1.2024 – Großer Saal

Seit mehr als dreißig Jahren wird in der letzten Woche des Jänner das Festival alter Musik veranstaltet und es hat sich ein treues Stammpublikum herangezogen. Von Anfang an war das Programm unter ein Motto gestellt und so fiel in diesem Jahr die Wahl auf „Die Planeten“.

In der Schule hatte ich gelernt, dass es neun Planeten gäbe und das wäre ja genau die richtige Anzahl für neun Konzerte. Man kann im Lainzer Tiergarten auf dem rund sechs Kilometer langen Planetenweg auch erkunden, wie unterschiedlich die Abstände zwischen diesen Sternen sind und als Eselsbrücke war der Satz „Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten“ allgemein bekannt. Aber auch ein Planet kann sich seines Status nicht sicher sein und mit der Entdeckung vieler weiterer Objekte im weit entfernten Kuipergürtel drohte eine Inflation an Planeten und wer musste die Zeche zahlen: der kleine entfernteste Planet, Pluto, wurde zum Zwergplaneten degradiert, auch weil er nicht rücksichtslos genug war, seine Umlaufbahn von weiteren Objekten freizuräumen.

Da die Planeten zwingend ein Zentrum benötigen, um das sie ihre Bahn ziehen können, ist es naheliegend, das Festival mit der Sonne zu beginnen. Dieser Himmelskörper, der mehr als zehnmal so groß ist wie der größte Planet und wurde in vielen Kulturen als Gottheit verehrt. Da der Sonnengesang des Franz von Assisi kein abendfüllendes Programm bieten würde, ließ sich die Sonne durch den Sonnenkönig Louis XIV vertreten und dieser präsentierte eine seine Lieblingsopern. Im Jänner 1676 wurde „Atys“ von Jean-Baptiste Lully im königlichen Schloss von St.Germain-en-Leye uraufgeführt. Bis in die Mitte des 18.Jahrhunderts geb es Wiederaufnahmen des Werkes, ehe es in einen langen Dornröschenschlaf versank und erst von William Christie mit den Arts florissants 1987 in Montpellier wieder wachgeküsst wurde. (Auf Youtube gibt es einen Mitschnitt dieser Aufführung zu sehen.) Wer meint, das „Gesamtkunstwerk“ wäre eine Erfindung von Wagner, wird hier eines Besseren belehrt, denn bei der Präsentation in einem Konzertsaal wird einem die Absenz der Tänze, der opulenten Bühnenbilder und des Einsatzes des Bühnenmaschinerie schmerzlich bewusst. Musikalisch ist der Weg von Monteverdi zu Lully kürzer als der von  Lully zu Händel. Bei Lully liegt der Schwerpunkt auf Rezitativen, die sich je und je zu größeren Solostellen oder Ensembles erweitern. Die vielen tänzerischen Einschübe lassen die szenische Umsetzung besonders vermissen. Allerdings wäre Vorsicht bei der Auswahl des Regisseurs geboten, denn wenn nur die Notenpulte weggelassen werden und die Darsteller in Alltagsgewand in einer gestylten modernen Wohnung agieren, ist nichts gewonnen. Auch ein Verweis auf den ursprünglichen Mythos um Cybele, die  so wie Atys aus dem Hermaphroditen Agdistis durch eine von den Göttern durchgeführte Operation entstanden sein soll, könnte nur bei wenigen Zuschauern Punkte bringen.

Unter der Leitung ihres Gründers Christophe Rousset sind das Ensemble Les Talens Lyrique und der von Thibaut Lenaerts einstudierte Chœur de Chambre de Namur eine mehr als solide Basis des Konzertabends, wobei vermutlich Myriam Rignol an der Viola da gamba und Karl Nyhlin und Magnus Andersson an Erzlaute und Gitarre als Continuospieler tatsächlich kontinuierlich zu tun haben. Christophe Rousset macht viel Bewegung, indem er bei jedem Dirigieren von seinem Cembalo aufsteht. Die Flöten, die schön zentral positioniert sind, machen im ersten Teil den Eindruck, nur für Kurzarbeit engagiert zu sein, können aber nach der Pause vor allem in der Traumsequenz des dritten Aktes brillieren.

In der Titelrolle kann der junge Belgier Reinoud van Mechelen die Entwicklung vom jungen Mann, der versucht, sich gegen Enttäuschungen durch die Liebe zu wappnen, zum Opfer einer verliebten und zurückgestoßenen Göttin zu werden. Durch diese in den Wahnsinn getrieben, tötet er Sangaride und als er das erkennt, sich selbst. Der Göttin Cybèle wird ihr Wunsch nach einer Wiederbelebung nicht erfüllt und so bleibt Judith van Wanroij nur, den Leichnam in einen Baum zu verwandeln und sich mit sehr elegischen Tönen zu verabschieden. Für die beidem Protagonisten bietet der Schlussakt viele Möglichkeiten, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen und diese auch im Gesang auszudrücken. Praktisch alle anderen Sänger verkörpern mehrere Rollen, wobei meist zwischen Prolog und der eigentlichen Oper unterschieden werden muss. Der Prolog ist das, was heutigen Tages irgendwelche Funktionäre bei einer neuen Produktion in Einführungsreden veranstalten. Es wird der freizügige Sponsor in den höchsten Tönen gelobt. Da ist die Methode Lullys, den Sonnenkönig zu preisen und seinen Einzug als Frühlingseinbruch im kalten Jänner zu verherrlichen allemal melodiöser.

Die Nymphe Sangaride, die unverschuldet zum Ärgernis der verliebten Göttin wird, singt Céline Scheen mit klarem Sopran und übermäßig viel Gestik. Ihr Vater, der Flussgott Célénus ist der Bariton Philippe Estéphe, während ihre Freundin Doris von Gwendoline Blondee mit dünklerem Sopran gestaltet wird. Auch Göttinnen haben Freundinnen und so ist Appoline Rai-Westphal die Mélisse. Eine große lyrische Szene ist im zweiten Akt dem Schlaf gewidmet. Cybèle entführt Atys in eine Höhle, wo er in den Schlaf fällt und vom Gott des Schlafes und seinen Söhnen Morphée, Phantase und Phobétor im Traum über die Liebe der Göttin erfährt. Die Tenöre Kieran White, Nick Pritchard und Antonin Rondepierre sowie der Bariton Olivier Cesarini erfüllen diese Aufgabe höchst zufriedenstellend.

Ein Abend, der – nicht überraschend – eine halbe Stunde länger dauerte als in der Vorschau angegeben (da stand: Ende gegen 22 Uhr und wieder einmal hat da jemand darauf vergessen, die Zeit der Pause einzurechnen), aber eine sehr interessante Bekanntschaft.

Wolfgang Habermann

 

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