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WIEN/ Konzerthaus: Wiener Symphoniker, Marie Jaquot; Elsa Benoit (Poulenc, Strawinsky). Profane und Heilige

26.11.2025 | Konzert/Liederabende

WIEN/ Konzerthaus: Wiener Symphoniker, Marie Jaquot; Elsa Benoit (Poulenc, Strawinsky) am 24. November 2025

Profane und Heilige

Angeblich treffen sich in der Extremität sogar Gegensätze. Die Realität oder Unrichtigkeit dieser Aussage konnte das Publikum im Konzerthaus beim Konzert von Marie Jacquot und den Wiener Symphonikern erleben. Am 24. November waren die beiden Gegensätze das Profane und das Heilige, die sich miteinander vermischten.

Das Programm der ersten Hälfte des Konzerts bestand aus zwei Werken von Poulenc, sodass das Publikum mit einer Mischung aus reiner Spiritualität und koketter Heidentum rechnen konnte. Die Janusköpfigkeit des französischen Komponisten wäre jedoch vielleicht im Hintergrund geblieben, wenn in der zweiten Hälfte des Konzerts nicht Strawinskys Petruschka-Suite erklungen wäre.

Die Einseitigkeit der Radikalitäten wurde bereits von vielen formuliert. In Bezug auf Poulenc herrscht zwar fast einhellige Übereinstimmung hinsichtlich der „Dualität” des Komponisten, der Vermischung von profaner und sakraler Klangwelt, doch wird deren Radikalität nie thematisiert.

Das Wunderbare an Poulencs Kunst ist, dass, so häufig auch die Dualität seiner Ausdrucksweise in seiner Musik zum Vorschein kommt, diese Dualität kein Kampf ist. Die Dualität hält sich nicht gegenseitig die Fehler des anderen vor, die Extreme sprengen keine Distanzen und schaffen keine Perspektiven. Denn in Poulencs Musik gibt es keine Extreme. Das Heilige und das Heidnische sind Geschwister, die sich äußerlich zwar stark voneinander unterscheiden, deren Ähnlichkeit jedoch in ihrem Ursprung zu suchen ist. Und genau deshalb wird ihre „Geschwisterlichkeit” mehr als nur Ähnlichkeit, mehr als nur Homogenität.

Unter der Leitung von Marie Jacquot und in der Aufführung der Wiener Symphoniker war Poulencs Doppelgesichtigkeit verwirrend. Man konnte immer erkennen, welches Gesicht der Komponist uns gerade zeigte, doch den Moment des Gesichtswechsels konnten wir nicht entdecken. Und obwohl wir wussten, mit welchem Mund Poulenc gerade spricht, konnten wir keine Seite der Unehrlichkeit beschuldigen. Poulencs Gegensätze lassen sich dennoch mit der Homogenität des Radikalismus vergleichen, da der Komponist die Gegensätze nicht in Äußerlichkeiten darstellt, sondern in der gleichzeitigen Relativität und Absolutheit des Inhalts. Unsere Sicht auf den Inhalt ändert sich ständig, sodass sich auch die Position des Inhalts daran anpasst, in welchen Mantel sich Poulenc gerade hüllt. Gleichzeitig müssen wir jedoch auch erkennen, dass sich zwar die Position des Betrachters und die Form des Inhalts ändern, es aber eigentlich immer um dasselbe geht.

Die gesamte Musik von Poulenc ist so, als wüssten wir, dass eine Stimme des Komponisten die Wahrheit sagt und die andere lügt. Doch anstatt die Frage zu stellen, anhand derer wir entscheiden können, wer Recht hat, betont Poulenc vielmehr, dass die beiden Sichtweisen sich gegenseitig betrachten und gleichzeitig als wahr und falsch erscheinen. Die Interpretation von Poulencs Musik wird dann wirklich verständlich, wenn sie uns verwirrt, denn Poulenc versetzt uns mal in die Rolle des Wahrhaftigen, mal in die des Lügners, je nachdem, welche Seite er uns zeigt. Wir sind gleichzeitig Teil des Spiels und Beobachter. Und genau das verursacht die Verwirrung.

Unter der Leitung von Marie Jacquot erröteten wir wegen dieser Verwirrung ständig. In Jacquots Interpretation war neben der latenten Wahrheit in der Materialität des Profanen und der moralischen Überlegenheit des Heiligen auch der französische Charakter gemeinsam. In diesem Licht war alles unglaublich geschmackvoll und formvollendet, fließend und präzise.

Das Eröffnungstück des Konzerts war eine Suite aus Poulencs Ballett Les animaux modèles. Die Wiener Symphoniker konnten das auf La Fontaines Tiergeschichten basierende Ballett tänzerisch und ohne Monotonie aufführen. Sie konnten die für Ballettaufführungen notwendige Vorhersehbarkeit so übertreffen, dass der Rhythmus und die Schwingungen der einzelnen Sätze nie aufhörten zu dominieren.

Das zweite Werk von Poulenc war das Stabat mater, in dem Elsa Benoit als Solistin auftrat. Von den zwölf Sätzen hat die Sopranistin nur in drei eine Rolle, doch Benoit fügte sich mit jedem Auftritt nahtlos in die harmonische Atmosphäre ein und schuf Dimensionen, die auch in den Sätzen ohne sie erhalten blieben. Ihre Stabilität, ihre Musikalität und ihre warme, aber entschlossene, klangvolle Stimme waren die drei Säulen ihrer Interpretation, die nicht nur ihre eigene Leistung, sondern auch die des gesamten Ensembles verstärkte und zu einer Einheit verschmolz.

In der zweiten Hälfte des Konzerts erklang Strawinskys Petrushka. Dieses Stück erfreut sich in Konzertsälen großer Beliebtheit. Einerseits ist es leicht zugänglich und liebenswert, andererseits zeugt es auf eindrucksvolle, aber nicht willkürliche Weise von der technischen Kompetenz der Orchester. Da es häufig aufgeführt wird, steigen auch unsere Erwartungen, denn mit jedem Hören lernen wir das Werk besser kennen und erwarten immer neue musikalische Lösungen von den Orchestern und Dirigenten. Marie Jacquot dirigierte das Stück mit unglaublicher Selbstsicherheit, was nicht nur ihre dirigatorische Kompetenz unter Beweis stellte, sondern auch ihre klare musikalische Denkweise. Jacquot hob aus dem fast undurchschaubaren Gewebe der Partitur nur das hervor, was notwendig war, sei es in Bezug auf die Einsätze, das Tempo, die Dynamik oder den musikalischen Charakter. Er ließ den Musikern Raum, ihre individuellen Ideen zu entfalten, wenn sie dazu in der Lage waren, und schaffte es, sie zu einer Einheit zusammenzufügen, in der sich jeder frei fühlen konnte, aber dennoch seinen festen Platz hatte.

Die Wiener Symphoniker feierten in diesem Jahr ihr 125-jähriges Bestehen. In ihrer Darbietung unterstrich Strawinskys Profanität auf schöne Weise die Dualität der Poulenc-Stücke, die in der ersten Hälfte des Konzerts zu hören waren. Der Unterschied zwischen den beiden unterschiedlichen Formen der Profanität war überraschend gering, verglichen mit dem Unterschied zwischen der Vertrautheit des Poulenc-Werks und der musikalischen Sprache Strawinskys. Alle Erkenntnisse entsprangen jedoch Erfahrungen, in denen die Ambitionen der Interpreten auf technische Vorbereitung und ein verständnisvolles Lesen der kompositorischen Ideen trafen.

Zsigmond Szilárd 

 

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