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WIEN/ Konzerthaus/ Wien-Modern: THE OUTCAST von Olga Neuwirth

hätte der monumentale Höhepunkt bei WIEN MODERN sein können, wenn …

14.11.2018 | Oper

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Herman Melville (Wikipedia)

WIEN / Konzerthaus: „THE OUTCAST“ von Olga Neuwirth hätte der monumentale Höhepunkt bei WIEN MODERN sein können, wenn …

14.11. 2018 – Karl Masek

Hommage an Herman Melville: „Visionär und Grenzgänger…“ nannte Olga Neuwirth Melville einmal. Schon seit etlichen Jahren hat sie der Verfasser des komplexen und visionären Romans Moby- Dick begeistert. „Das Meer als Schutzort, als Sehnsuchtsort, zugleich auch ein Ort der Katastrophe…“. Für Olga Neuwirth ist das Meer „Metapher für einen utopischen Raum“. Weil es offen, grenzenlos und ungezähmt ist. Venedig war übrigens ein bevorzugter Ort zum Komponieren.

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Olga Neuwirth. Copyright: Lukas Beck

Nachhaltig in Erinnerung blieb mir im Vorjahr – ebenfalls bei WIEN MODERN – Neuwirths „LE ENCANTADAS“ im Museumsquartier. Die Reise in ein „Klangarchipel“. Womit Herman Melville die Galapagos-Inseln meinte.

Das Auftragswerk „THE OUTCAST“ (Die Ausgestoßenen)  wurde 2012 am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt, allerdings nicht im Sinne der Komponistin und ihrer Librettisten Anna Mitgutsch und Barry Gifford, was zu einem Eklat und nach der Generalprobe  zum Rückzug Neuwirths von der Produktion führte. Als „Musik-Installationstheater mit Video“ wird von Wien Modern „The Outcast“ nun als Uraufführung der revidierten Fassung auf das Podium des Großen Konzerthaus-Saales, gebracht. Weitere Kooperationspartner:  ORF Radiosymphonieorchester (unterstützt von der Ernst von Siemens Musikstiftung)und die Elbphilharmonie Hamburg. Die dortige Aufführung wird im März 2019 stattfinden. Video, Bühne und Kostümdesign liegen in der Verantwortung der britischen Regisseurin Netia Jones.

Sie, die von renommierten britischen Zeitungen wie The Independentund The Guardian als „Lichtmagierin“ und „brillante Videokünstlerin“ bezeichnet wurde, erweist sich dabei als ideale Gesamtkünstlerin im Sinne von Neuwirths Intentionen: ein weites Feld zwischen Konzert, Videoperformance und Musiktheater abzustecken. Es ist eine konzertante Aufführung, aber mit Kostümen und dezent eingesetzten Requisiten. Die Videosequenzen sind mit großer Sensibilität ausgewählt – als Kommentar-Ebene und keineswegs als bloße Verstärkungen oder „Verdopplungen“ des musikalischen Geschehens. Größtenteils in Schwarz-Weiß gehalten, wie aus Stummfilmen ferner Zeit. Stilisiert ein Kircheninneres, Glocken, die Schiffsmasten, Schiffstaue, dazwischen immer wieder unzählige Rechtecke, gefüllt mit Zahlen – da kann der Betrachter eigene Mutmaßungen darüber anstellen, was damit nun gemeint ist. Und das Meer in all seiner oben beschriebenen Vielschichtigkeit! Im Teil III des vierteiligen Werkes , „Das Schwarze Meer“, geht alles (naturgemäß) in Blutrot über, wenn „Ahab“, der Kapitän, sein obsessives Ziel zu erfüllen wünscht, den „Weißen Wal“ auf der Jagd nach dem Walöl  zu töten, der Wal den Bug des Schiffes zerschmettert, mit der Leiche des Kapitäns ins Meer hinabtaucht und das Schiff samt der Besatzung in die Tiefe reißt. Die suggestiven Videozuspielungen sind eindeutig auf der Haben-Seite dieser revidierten Uraufführung.

Herman Melville, der Walfang-Matrose, hat bereits 1851 in seinem Moby-Dick-Roman  mit messerscharfem  Blick Kritik an der Profitgier der Menschen, Ausbeutung der Naturressourcen geübt und „ein ethisches Problem erkannt das an der Wall Street bis heute ungelöst bleibt: Den Beginn eines Denkens, das nach maximalem Gewinn strebt…“, so Olga Neuwirth. Diese Kritik „an Ausbeutung und Entfremdungwar für Melville ein zentrales Anliegen – daran hat sich bis heute nichts geändert…“, sieht Olga Neuwirth den starken Aktualitätsbezug in seinem Roman ‚Moby-Dick‘.

Es ist ein typischer Olga-Neuwirth-Stil. Musik wird mit über klassische Kategorien hinaus mit Film, Video, Elektronik,… erweitert und angereichert. So werden immer neue Impulse gesetzt. Die Musik changiert zwischen Konzert, Video, Installation, Performance und Musiktheater, ist bildmächtig – im aktuellen Fall vielleicht über zu lange Zeit allzu flächig-wabernd. Man horcht auf, wenn sie sich bei Henry Purcell (dem „Cold Song“) zu bedienen scheint. Da klingt eins der komplizierten Ensembles täuschend ähnlich! Positiv ist anzumerken, dass‚Musik für die Sänger‘komponiert wurde. Sie bewegt sich nicht (wie man der „Avantgarde“ manchmal vorwerfen muss) in absoluten Grenzbereichen der menschlichen Stimmen, die dann oft nur mehr gequält klingen und damit auch die Ohren der Zuhörer quälen. Es bleibt jederzeit sangbar.

Am besten kann man das beschreiben, wie sie für den stücktragenden Münchner Knabenchor geschrieben hat. Die Knaben, die beim Melville-Original gar nicht vorkommen, aber im Werk mit  den letzten Worten („And off wegowithfrehseriesofnewadventures…“) das frische, positive Element darstellen, haben viel (und höchst Schwieriges!) zu singen – aber es ist immer in angenehm sangbarer Mittel- bis höherer Mittellage, hat rhythmische Prägnanz, effektvolle Unisono-Passagen und Kantilenenhaftigkeit. Man hat nie den Eindruck, die 24 Buben klingen  an diesem Abend überanstrengt. Streckenweise scheint sogar Impressionistisches in der Machart von Debussys „Trois Nocturnes“ durchzuklingen. Großartig schlägt sich der Solist des Knabenchores, der 15-jährige Joel Beer als Schiffsjunge „Pip“, derfern aller Piepsigkeit eine berührende Figur kreiert, die von der Schiffsbesatzung gequält und fertiggemacht wird. Angedunkelter Knabensopran, weiche, aber auch kraftvoll gesteigerte Legatobögen, rhythmisch und im Treffen der weit auseinanderliegenden Intervalle absolut sicher – und auch ein  souveräner Rhythmiker amTambourin.

Der Männerchor (Company of Music) war ebenfalls ein erfreulicher Aktivposten des Abends. Der österreichische Chor, von Johannes Hiemetsberger gegründet und musikalisch geleitet, beweist wieder einmalsouveräne stilistische Bandbreite zwischen Renaissancemusik und Avantgarde.

Die Protagonist/innen: Susanne Elmark ist nach dem Willen Neuwirths nicht „Ishmael“ wie bei Melville, sondern die verkleidete „Ishmaela“, die sich nur so auf das Walfangschiff schmuggeln kann. Toller, expansiver Sopran, toll eingesetzte Sprechstimme. Sie spricht den berühmten ersten Satz im Stück: „Call me Ishmael!“Otto Katzamaierbewältigt seine schwierige Partie als „Ahab“ (Kapitän der ‚Pequod‘) Respekt gebietend. Andrew Watts ist mit durchdringend scharfem Countertenor sehr glaubhaft der brutale „1. HarpunerQueequeng“. Georgette Dee (Chansonnier) ist mit Diseusenstimme der Schreiber. „Old Melville“ (im Video teilweise „verdoppelt“, auch wieder so ein Leitmotiv derzeit!) wird von Johann Leysen mit sonorer Stimme gesprochen. Als 1. und 2. Maat ergänzen Johannes Bamberger  und Matthias Helm mit stimmlichem Einsatz.

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Ilan Volkov. Copyright: James Mollison

Ilan Volkov war der sichere Steuermann am Pult des ORF Radiosymphonieorchesters Wien, wie immer eine sichere Bank für Musik des 20./21. Jhts.

Der Abend hätte der monumentale Höhepunkt von ‚Wien Modern 31‘ sein können, wenn man sich entschlossen hätte,  dem Publikum die Gelegenheit zu geben, wenigstens den Text (in englischer Sprache) im Programmheft mitlesen zu lassen. Dazu war es aber im Auditorium zu „kinohaft“ finster (man sollte ja die Videozuspielungen auch sehen!). Schade, dass man sich nicht zu Übertiteln durchringen konnte (oder wollte). So blieb für alle (Nicht-Muttersprachler) zu vieles schlecht verständlich. Das Argument: „In der Oper versteht man den Text auch nicht“ (allen Ernstes im Programmheft gedruckt!) ist zu billig, das lasse ich nicht gelten. Eben wegen der Übertitel vielerorts oder der Textanlage in der Staatsoper.

Man hat sich damit etwas fahrlässig um einen größeren (undverdienten!) Erfolg gebracht. Die Publikumsreaktion am Schluss: Die Uraufführung wurde freundlich, aber nicht eben enthusiastisch akklamiert. Am nachhaltigsten waren Applaus und Bravorufe für Susanne Elmark und den Knabenchor. Olga Neuwirth schien diesmal zufriedener als bei der UA in Mannheim zu sein. Logistik-Transporter mit Hamburger Kennzeichen standen vor dem Konzerthaus schon bereit, um das riesige Equipment nach dem Abbau in die Elbphilharmonie zu transportieren…

Karl Masek

 

 

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