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WIEN/ Konzerthaus: SWR SYMPHONIEORCHESTER – TEODOR CURRENTZIS (Schostakowitsch)

Geht’s noch lauter?

26.06.2019 | Konzert/Liederabende


Schostakowitsch als Brandschutzwart auf dem Dach des Leningrader Konservatoriums. Foto: Archiv

WIEN / Konzerthaus: SWR Symphonieorchester/Teodor Currentzis mit Schostakowitschs Symphonie Nr.7

Geht’s noch lauter?

25.6. 2019 – Karl Masek

Der Schluss zum Anfang: Das SWR Symphonieorchester „beantwortete“ den Jubel, der rekordverdächtige Dezibelwerte erreichte, mit einer „Verbeugungschoreographie“ der abschreckenden Art. Millimetergenau abgezirkelt, auf  Kommando synchron, steif, zackig abgewickelt. Frontal in Richtung Parterre/Balkon/Galerie; halbrechts/halblinks zu den Logen; auch zum  Orgelbalkon wendete man sich. Wie siegreiche Truppen nach geschlagener Schlacht. Ich traute meinen Augen nicht.

Der Schluss eines Konzerts, das viele in Begeisterungsschreie ausbrechen ließ. Der Schluss eines Konzerts, welches  einen aber auch ob seiner äußerlichen Effektübersteigerung, seiner geradezu unerträglichen  Bombastik, seines hohl dröhnenden Pathos‘ samt Lautstärke-Exzessen „bis zum Anschlag“, verstört zurücklassen konnte.

Geht’s noch lauter? Teodor Currentzis macht’s möglich. Ihm, dem Zeitgeistdirigenten mit der affektiert-exzentrischen Aura, lässt man’s durchgehen.

Nun ist die „Siebente“, die „Leningrader“, des Dmitri Schostakowitsch aus dem Jahr 1941 von der kompositorischen Faktur her ohnehin ein kolossaler Brocken. Spektakulär und bewusst „laut“ instrumentiert, emotional elektrisch aufgeladen. Sie steht im Zeichen des Zweiten Weltkrieges, im Zeichen der Leningrader Blockade, der Invasion der Deutschen Truppen. Aber ebenso im Zeichen „der Trauer um die Ermordeten auf Stalins Befehl, … ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Es gab sie in diesem Lande schon zu Millionen, ehe der Krieg gegen Hitler begonnen hatte … Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass man die ‚Siebte‘ die ‚Leningrader Symphonie nennt … Es geht nicht nur um die Blockade. Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte dann den Schlusspunkt“, so Schostakowitsch in einem Kommentar.

Er schrieb den 2. und 3. Satz des Monumentalwerks im belagerten Leningrad in seinem Arbeitszimmer bleibend, während alle anderen schon in den Luftschutzräumen waren. Berühmt auch ein Foto aus genau dieser Zeit, das Schostakowitsch als Brandschutzwächter zeigt. Schließlich wurde er mit seiner Familie evakuiert. Das Werk wurde in Samara und Kuibyschew fertig gestellt und 1942 uraufgeführt.

Im Mittelpunkt des Stirnsatzes steht das so genannte „Invasionsthema“, eingeleitet von der Trommel (unverkennbar das musikalische Vorbild des „Bolero“ von Ravel), in elf Variationen fortgesetzt, zuerst mit demonstrativer Harmlosigkeit (und der Parodie von ‚Da geh ich zu Maxim‘ aus  Lehárs Lustiger Witwe, einem Lieblingswerk des „Führers“), mit Fortdauer durch sture, bewusst penetrante und brutale Aufeinandertürmung des musikalischen Materials, sich eine Viertelstunde  lang zum Tumult steigernd. Wobei musikalisch nichts Neues kommt, das Gewaltthema erinnert allerdings frappant an Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ – also entzieht es sich bewusst der Inanspruchnahme durch die stalinistische Propaganda …

Über den tieferen Sinn, warum Currentzis immer wieder Teilen des Orchesters während des Spiels das Kommando zum Aufstehen gab, konnte man nur rätseln. Ein bloß optischer Effekt, der „besondere Bedeutung“ suggerieren sollte. Aber welche? Äußerlichkeiten eines eitlen Pultstars.

Dass man dem pathetischen Gestus dieser Symphonie mit betonter Dirigier-Sachlichkeit gut beikommen kann, haben z.B. die besonderen Schostakowitsch-Kenner Jewgeni Mrawinski oder Kurt Sanderling  immer wieder eindrucksvoll bewiesen. Emotionalität, Dichte, Dringlichkeit, Steigerungswellen bleiben ohnehin erhalten, die monströsen Dezibel-Rekorde, die dann auch im Finale erreicht / überboten wurden, braucht’s dabei gar nicht, so meine ich jedenfalls (war diesmal wohl eine Minderheitenmeinung).

Anscheinend trifft derlei aber punktgenau den Nerv einer hektischen Zeit. Rekorde aufstellen. Lautes wird immer noch lauter, Leises bis fast zur Unhörbarkeit zurück genommen. Am dirigentischen Schaltpult wird unablässig (und bis zum Anschlag) gedreht mit dem Bestreben ein Werk so zu spielen, wie man es garantiert noch nie gehört hat.

Bewundernswert, mit welcher Kondition das Orchester das umsetzt. Kraftvoll, dabei auch homogen, sämtliche Streicher. Fabelhaft die Soli von Piccolo und Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott. Markant auch die viel beschäftigten Harfen. Das Blech, die Pauke, das Schlagzeug: Naja, man exekutierte bis hin zu infernalischem Krach alles minutiös, was am Pult vorgegeben wurde.

Currentzis wird in der „Konzerthaus“-Saison 2019/20 mit Mozarts Da Ponte-Opern, mit 2 weiteren Mahler-Symphonien und einem Beethoven-Zyklus wiederkommen. Mit „seinen“ Orchestern“, dem SWR-Orchester und musicAeterna aus Perm, im Schlepptau. Die Fans werden den Großen Saal wieder stürmen. Rekorde sind garantiert.

Karl Masek

 

 

 

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