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WIEN/ Konzerthaus/ „Resonanzen“/Festivalt alter Musik/ „unterwelten“: ROLLING STONE

25.01.2023 | Konzert/Liederabende

Konzerthaus: RESONANZEN – Festival alter Musik – „Unterwelten“

Mozartsaal – 24.1.2023  „Rolling Stone“

Der Titel des Konzertes machte mich zunächst etwas ratlos. Mick Jagger wird zwar heuer 80 Jahre alt und ist somit älter als die meisten aktiven Opernsänger und ein Dinosaurier auf der Bühne, aber dass er deswegen zur Alten Musik ressortiert, schien mir doch übertrieben. Ein genauerer Blick ins Programm zeigte, dass damit offenbar auf das Erdbeben Bezug genommen wird, dem die Messe des Antoine Brumel ihren Namen verdankt. Diese Missa „Et ecce terrae motus“ ist für 12 Singstimmen geschrieben. Das Ensemble Graindelavoix nennt dafür im Programm neun Solisten (auf der Bühne sind aber nur acht zu sehen. Vermutlich ist bei der Anreise verlorengegangen.) Da eine Messe allein für einen Konzertabend doch sehr kurz wäre und der Ensembleleiter Björn Schmelzer ein studierter Anthropologe mit dem Hang zu szenischen Performances ist (man denke nur an das Debut des Ensembles bei dem Festival 2017 mit Motetten unter einer Glühbirne) hat er sozusagen als Introitus einen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1967 ausgegraben. Darin werden Rituale dokumentiert, die in den Gole di San Venanzio bei L’Aquila noch immer gebräuchlich sind. In den Höhlen soll der Heilige (der nicht Veneziano hieß, wie das Programm behauptet) gehaust haben und seinen Fußabdruck in den Felsen hinterlassen haben. Gläubige wälzen sich auf den Steinen und es werden alle möglichen Formen der Lithotherapie gegen Arthtrose und Nierenschmerzen angepriesen.

Vor dem Podium ist also eine große Projektionsleinwand aufgespannt, die von zwei riesigen Lautsprechertürmen flankiert ist. In das vollkommene Dunkel erklingen elektronisch erzeugte oder modifizierte lange Schofartöne und in der ersten Viertelstunde des Abends kann man den Gläubigen beim Besuch der Grotten und beim Rollen auf den Steinen und ähnlichen Aktionen zusehen. Gegen Ende des Filmes wird die Leinwand transparenter und man sieht oder ahnt dass dahinter das Ensemble postiert ist. Zunächst nur den Ensembleleiter, der bereits heftig dirigiert, ehe langsam das Kyrie anhebt. Immer noch ist das Ensemble kaum auszumachen, alles bleibt in einem mystischen Halbdunkel (oder Viertellicht). Vor dem Credo erbarmt sich eine der beiden Sopranistinnen und reißt die Filmleinwand ab. Nun kann man erkennen, dass zu den acht (neun?) Vokalisten (Teodora Tommasi, Florencia Meneoni, Andrew Hallock, Albert Riera, Andrés Miravete, Marius Peterson, Gabriel Belkheiri, Tomàs Maxé und Arnout Malfilet) sich auch fünf Instrumente gesellen: Lluis Coll i Trulla mit dem Zink, Berlinde Deman mit einem Serpent, Pierre Antoine Tremblay und Christopher Price mit Hörnern und Manuel Mota mit einer für Musik des 15.Jahrhunderts unerlässlichen E-Gitarre. Da aber sowohl vokale, als auch instrumentale musikalische Äußerungen durch die von Alexandre Fostier ersonnene Tontechnik zu einem schwer verdaulichen akustischen Gebräu werden, ist das eher unerheblich.

Möglicherweise hat jemand das Generalmotto des Festivals als „Unterwasser“ fehlerhaft übersetzt, denn der Abend könnte akustisch am besten als „Unter dem Wasser zu singen“ beschrieben werden. So klingt eben Renaissancemusik, wenn sie in der Waschmaschine gespielt wird. Ob damit soviel neues Publikum angezogen wird, wie altes vertrieben wird, darf immerhin bezweifelt werden.

Wolfgang Habermann

 

 

 

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