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WIEN/ Konzerthaus/ Mozartsaal bzw. Musikverein/Brahms-Saal: „Georg Philipp Telemann“/ „Maurice Steger“ und: „Die Leichtigkeit des Seins“

15.01.2017 | Konzert/Liederabende

WIEN/ Konzerthaus, Mozart-Saal/ und Musikverein, Brahms-Saal: „Georg Philipp Telemann“/ „Maurice Steger“ und: „Die Leichtigkeit des Seins“

(am 15.1., Matinee, bzw. 12.1. 2017 – Karl Masek)

Des 250. Todestages des Barockkomponisten und Großmeisters aus Magdeburg, Georg Philipp Telemann (1681-1767),  gilt es heuer zu gedenken.  Das Konzerthaus machte da den Anfang. Im Zyklus  „Matineen des Wiener KammerOrchesters“. Mit einem Telemann-Programm. Samt einer Begegnung mit einem unglaublichen Alterswerk: Die dramatische Kantate „Ino: Wohin, wo soll ich hin?“, im Alter von 84 Jahren komponiert! Was war das für eine Begegnung mit einem Genie, das musikalisch im so genannten Greisenalter am Pulsschlag der Zeit blieb, sich kompositorisch immer noch weiter entwickelte! Wenn er im Alter von 70 Jahren an Freunde so selbstkritisch schreibt: „Ich habe mich nun von so vielen Jahren her ganz marode melodirt … etliche Tausendmal selbst abgeschrieben, kopirt…: Ist in der Melodie nichts Neues mehr zu finden, so muss man es in der Harmonie suchen…“: So sind gerade in seinem Spätwerk immer noch Schätze zu entdecken…

Reinhard Goebel ist so ein Schatzgräber! Die Begegnung mit dem Telemann-Wiederentdecker (Gründer und jahrzehntelanger Leiter der „Musica Antiqua Köln“) war eine immens bereichernde!

Ein für diese Musik Brennender steht da am Pult. Ein Affetuoso-Dirigent. Permanent feuert er an. Unter Strom steht er. Ein Fanatiker für die musikalische Sache. Wie auch der uns unvergessliche Nikolaus Harnoncourt. Und sein  Nachfolger als Lehrer für „Historische Aufführungspraxis“ am Mozarteum in Salzburg…

Das Wiener KammerOrchester setzt Affetuoso-Vorgaben mit Lust, Intensität, hörbarer Begeisterung, gleichsam an der Sesselkante balancierend, um.

Im Mittelpunkt des ersten Teils die „Dramatische Kantate TWV 20/41“, von 1765, „Ino“ (Damals war Telemann 84 Jahre alt!).

 Ino ist Tochter des Kadmos, des sagenhaften Königs von Theben.  Die andere Tochter ist Semele, die auch in Händels Oper als Titelfigur vorkommt. Geschildert wird musikalisch die dramatische Flucht Inos übers Meer, vor ihrem rasenden Gemahl. Winkelzüge, Intrigen, Verkleidungen, Bestrafungen, Irrsinn ,…, samt wundersamer Errettung („Tönt in meinem Lobgesang, Wellen, Felsen und Gestade…!“) …

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Sophie Karthäuser. Copyright jean baptiste millot

 Sophie Karthäuser, belgische Sopranistin und Barock-Spezialistin mit Zusammenarbeit von William Christie bis René Jacobs, wie auch vielfach akklamierte Mozartsängerin, war diese „Ino“. Mit ausdrucksvoller, jugendlich-dramatischer, technisch perfekt beherrschter Stimme, aufblühender Höhe und keinen Moment lang überfordert-scharf. Großartig!

  Und sonst: Telemann zeigte sich als perfekter Komponist eines frühbürgerlichen Musikbetriebs. Einer, der wie kaum ein anderer auf Wünsche und Anforderungen des damaligen Publikums reagiert hat. Mit gekonnt geschriebener, spritziger, oft auch unkonventioneller Musik.

Als Beispiel : Das Konzert F-Dur TWV 51 (1725 „oder später“): Überraschungseffekte durch Tonartwechsel und Modulationen, originelle Pizzicato-Späße, Chromatik-Rutschpartien, vollsaftige Tanz-Rhythmik  von „Corsicana“ bis „Polacca“. Viel Humoristisches. Man muss  durchaus lieb gewordene Klischees überdenken, „deutschen Humor“ betreffend. Ein Konzert, auch mit erfrischendem Spaßfaktor!

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Maurice Steger. Copyright: Molina visuals

Drei Tage zuvor: Im Zyklus „Musica Antiqua“ des Musikvereins ein fabelhaftes Konzert mit dem Schweizer Blockflötisten Maurice Steger (& Friends).

Und wieder ein Klischee: Blockflöte – ein eher langweilig klingendes Grundschüler-Instrument. Damit räumt der „Paganini der Blockflöte“, Maurice Steger, ein für allemal auf!

Johann Adolf Hasse: „Cantata per flauto B-Dur“: Ein Feuerwerk an atemberaubender Virtuosität! Steger spielt einen Abend lang (acht Flöten hat er mit dabei, wenn ich mich nicht verzählt habe!)  „Die Leichtigkeit des Seins“. „Detektiv und Derwisch“, titelte im Vorfeld das „Musikfreunde-Magazin“ im Jänner 2017. Sehr zutreffend! Auch Steger: Ein musikalischer Schatzsucher, der sich „mit Aloys Thomas Raimund Graf von Harrach (Schloß Rohrau an der Leitha, Vizekönig von Neapel und wohl auch toller Flötist!) Jahrhunderte später nach Süditalien aufgemacht“ und musikalische „Souvenirs“ mitgebracht hat. Hasse war verheiratet mit einer damaligen „Primadonna assoluta“: Faustina Bordoni. Ihr schrieb er vieles in die Kehle. Und diese Cantata per flauta könnte fast für die Ehefrau geschrieben sein.

 Steger lässt jedoch Sängerinnenstimmen für einen Abend lang vergessen. Mit flirrend-sinnlichem Flötenspiel und staunend machender Backen-Atemtechnik, mit geschmeidig tänzerischer Ganzkörper-Kunst, beschwört er südlich-mediterrane Lebensart. Ein charismatischer „Rattenfänger“! Hätte mich nicht gewundert, wäre ihm das Publikum bis hinaus auf den Karlsplatz gefolgt, wenn er spielend den Brahms-Saal verlassen hätte…

Weiters an Souvenirs: Antonio Montanari, auch hier Telemann (Konzert für Blockflöte, Oboe, Violine und Basso Continuo TWV 43:a3), Leonardo Vinci (Song aus der Oper „Elpidia“), Antonio Caldaraund ein apartes Concerto für Blockflöte, Oboe, Violine, Fagott und Basso Continuo g-Moll von Antonio Vivaldi. Eines schöner als das andere!

 „The Friends“:  Hochkarätige, tolle  Kammermusiker/innen, in der Alte-Musik-Szene verankert und in Orchestern von „The English Concert“ über  „Collegium 1704 Prag“ bis zum „Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks“  engagiert: Xenia Löffler (Oboe, Barockflöte), Nadja Zwiener (Barockvioline), Marco Postinghel (Fagott) und Naoki Kitaya (Cembalo).

Zwei herrliche Abende, so richtig für alle entdeckungsfreudigen Musikfreunde, die sich nicht nur in liebgewordenen, immer gleichen Repertoire-Straßen mit gesicherter Wiedererkennungs-Garantie bewegen wollen!

Jubel hier wie dort!

Karl Masek

(PS: Neu erschienen: „Souvenirs d‘Italie, Graf Harrachs musikalische Tagebücher“, Concerti und Sonaten von Sammartini, Caldara, Vinci, Hasse, Piani, u.a. bei harmonia mundi)

 

 

 

 

 

 

 

 

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