Wiener Festwochen: Starke Dokumentation ukrainischen Musiklebens (Konzerthaus, 2.6. 2024)
Groß ausladende Kompositionen mit den Themen von Paul Celans „Todesfuge“ oder der Tötung von überwiegend jüdischen 33.771 Bewohnern von Kiew 1941 innerhalb von 48 Stunden in der Schlucht Babyn Jar durch die Nazi-Wehrmacht führen nicht in den musikalischen Himmel. Eingeladen in das Konzerthaus haben die Wiener Festwochen das Kyiv Symphony Orchestra und den ukrainischen Dumka-Nationalchor um in diesen Tagen des zerstörenden Krieges aktuelle Musik aus ihrer Heimat zu präsentieren. Mit zwei neuen Werken, deren um tiefes Anliegen bemühte Aussagen bereits auch in früheren Kompositionen (etwa Dmitri Schostakowitsch) nervig wie ausdrucksstark musikalisch gedeutet wurden.
Oksana Livni, zielstrebig führende Dirigentin aus Lviv – eine Stadt, aus der seit der Monarchie bis heute exzellente Musiker in den Westen gekommen sind – hat als in halb Europa tätige Dame, auch Grazer Musikchefin bis 2020, am Dirigentenpult Karriere gemacht. Und dieses eintägige Gastspiel hat ihr wie den Mitwirkenden für das künstlerische Großaufgebot großen Applaus und einen besondern Achtungserfolg gebracht. Die Uraufführung von Evgeni Orkins Vertonung von Paul Celans legendärem Gedicht „Todesfuge“ hat mit expressiven Illustrationen in kurzen epischen Episoden aufgewartet. Als ein ‚Kaddish Requiem‘ bezeichnet Jevhen Stankovych sein einstündiges „Babyn Jar“-Oratorium aus dem Jahr 2016. Lobpreisung Gottes, Gebete um Heilung und Gedenken der ermordeten Menschen auf Worte von Dmytro Pawlytschko wie: „Stolz standest Du am Abgrund, bedecktest die Augen der Kinder, auf dem Weg in den Tod, wie einem Opfer für Gott“. Solches kann zur Zeit keine schöne Musik sein, doch überzeugt als Anklage von heutigen menschenverachtenden Verbrechen. Diese Dokumentation aktuellen ukranischen Musiklebens – ein Pluspunkt für die festwöchentliche Freie Republik Wien
Meinhard Rüdenauer