KONZERTHAUS MS, 26. 1. 2017- „Music for a better sleep“
Sollte ein Richter einen Haftgrund für Björn Schmelzer, den Spiritus rector dieses Abends suchen, so bieten sich Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr an. Seinem Ensemble Graindelavoix verordnet er zu den Motetten des frühen 16.Jahrhunderts eine Verknüpfung mit rezitierten Texten von Samuel Beckett aus der 2.Hälfte des 20.Jahrhunderts. So ein Kontrast kann reizvoll sein, aber wie eine Suppe durch eine Prise Salz an Geschmack gewinnen kann, wird sie durch eine Handvoll Salz endgültig verdorben.
Zu Beginn des Abends wird der Saal komplett abgedunkelt (ironischerweise bis auf den Laptop des Lichtregisseurs Koen Broos, der mitten im Parterre thront). Eine der sechs schwachen Glühbirnen auf einer Art Laternenmast geht an und nach und nach treten die acht Sänger aus dem Zuschauerraum auf, nehmen sich einen Sessel und gruppieren sich um diese einzige Lichtquelle. Als schließlich alle Mitglieder auf der Bühne sind, erlischt diese Lampe und eine andere verströmt ihr schwaches Licht, worauf alle Mitwirkenden ihre Sessel nehmen und sich um das neue Zentrum zu versammeln. Nach einer gefühlten Ewigkeit sinnlosen Vorspiels beginnt eine weibliche Stimme mit der Rezitation von Beckett. Während dessen positionieren sich die Ensemblemitglieder in bedeutungsschwanger scheinenden Gängen zu verschiedenen Gruppen und beginnen irgendwann mit ihrer a capella Musik, immer wieder unterbrochen von neuerlicher Rezitation und neuen Umgruppierungen. Dabei spielt Björn Schmelzer einen Dirigenten, der flattert wie ein abstürzender Ikarus. Irgendwann kristallisiert sich als bevorzugte Anordnung der Sänger ein Kreis um eine gerade helle Lampe heraus, wobei während des Singens natürlich Aktion sein muss und diese in einer gleichförmigen Kreisbewegung besteht. Die Rezitation wird schließlich von beiden Frauen im Dialog geführt und wird auch nicht wesentlich verständlicher. (Hinzu kommt, dass aus urheberrechtlichen Gründen kein Text im Programm abgedruckt werden durfte und so auch keine Vorabinformation möglich war.)
Ob die Werke von Agricola, Desprez, Senfl, Obrecht, Sheppard, di Lasso und anderen in dieser Umgebung tatsächlich gewonnen haben oder zur Hintergrundmusik zu einer mäßigen Rezitation verkommen sind, soll jeder für sich entscheiden. Für mich war es ein verlorener Abend und ich fürchte Herr Schmelzer wird über kurz oder lang auch als begabter neuer Regisseur auftauchen, da er bereits die Choreographie mit Sesseln fast so gut beherrscht wie Herr Sivardier in der verunglückten Wiener Traviata.
Die einzelnen Sänger des Ensembles werden zwar im Programmheft genannt, allerdings agieren sie auf der dunklen Bühne mehr oder weniger anonym, so dass eine differenzierte Beurteilung nicht möglich ist.
Vorsichtshalber wurde der Abend trotz einer Länge von fast zwei Stunden ohne Pausen angesetzt, was aber Teile des Publikums nicht davon abhielt, die Darbietung vorzeitig zu verlassen.
Wolfgang Habermann