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WIEN/ Konzerthaus: Andrés OROZCO-ESTRADA, Antrittskonzert bei den Symphonikern

11.10.2020 | Konzert/Liederabende

Wiener Konzerthaus - Programmdetail
Andres Oroczo-Estrada (Foto: Peter Rigaud)

WIEN/Konzerthaus: Der neue Chefdirigent der WIENER SYMPHONIKER, Andrés OROZCO-ESTRADA, Antrittskonzert.

Und los geht’s!

10.10. 2020 – Karl Masek

Andrés Orozco-Estrada, geboren 1977 in Medelin (Kolumbien): Er ist seit dem Musikstudium (ab 1997) Wahlwiener. Der 43-Jährige hatte schon einmal eine Chefposition in Österreich, nämlich bei den Niederösterreichischen Tonkünstlern. Diese bezeichneten die Zeit mit ihm als besonders glückhaft.  Beim  Styriarte-Festival ist er fix dabei. Und auch das hr-Sinfonieorchester Frankfurt leitet der sanguinische Tausendsassa und offensichtliche Sympathieträger. In der Wiener Staatsoper wird er in der laufenden Saison die Carmen-Neuinszenierung leiten…

An diesem Wochenende fand also das Antrittskonzert des „Neuen“ statt. Da sollten die Wiener Symphoniker an eine glorreiche, eng mit der damaligen Moderne aus der Frühzeit des Orchesters (gegründet 1900) anschließen. Richard Strauss hatte eben seine Tondichtung „Ein Heldenleben“ uraufgeführt, und auch die schwelgerische Fin-de-Siècle-Sprache des Wunderkindes Erich Wolfgang Korngold sollte bei diesem Debüt nicht fehlen.

Eine repräsentative Uraufführung sollte die Ära Orozco einleiten. Vorfreude. Fanfare (2019), ein Kompositionsauftrag der Wiener Symphoniker. Neben dem Orchester auf dem Podium waren auch Musiker im Saal verteilt. Violine, Oboe Hörner (im Saal links), Fagott, Horn, Klarinette (im Saal rechts), 2 Violinen und 2 Trompeten (im Saal oben), Harfe, 2 Hörner  (im Saal hinten) …

Ziemlich viel Aufwand für ein 6-Minuten-Stück. Mit sehr mickrigem Resultat. Das Stück setzt irgendwie spätimpressionistisch anmutend ein. Zögerlich, beinahe schüchtern. Hätten die Einleitungstakte eines Respighi-Stückes sein können. Der Dirigent dreht sich ein paarmal in Richtung der Saalmusiker um – und man wartet auf eine Steigerung: Da ist das Stück auch schon wieder aus. Die niederländische Komponistin Carlijn Metselaar  wurde aus angeblich 250 (!) Einsendungen ausgewählt. Ich kann zu diesem Ministück beim besten Willen nichts sagen. Es ging bei einem Ohr rein und beim andern raus. Höflicher Achtungsapplaus, und während das Orchester für Korngold noch einmal die Instrumente stimmte, war die Vorfreude-Fanfare auch schon wieder vergessen…

Christiane Karg im Interview: "Ich muss wahnsinnig viel mehr Energie geben"  | News und Kritik | BR-KLASSIK | Bayerischer Rundfunk
Christiane Karg. Foto: Gisela Schenker

Erich Wolfgang Korngold, der kompositorische Wunderknabe, war da mit 14 Jahren um Lichtjahre spannender.  Aus den „Einfachen Liedern, op.9“ der Jahre 1911 bis 1913 sang die deutsche Sopranistin Christiane Karg vier Lieder in der Orchesterfassung von 1917. Da wurde der jugendliche Komponist (vier Jahre vor der „Toten Stadt“) längst als Sensation gehandelt.  Der konnte instrumentieren! Der glänzte mit Inspiration und Frische seiner Einfälle! Ein genialer Melodiker! Und er wusste, wie man für (Frauen)stimmen komponiert! „Schneeglöckchen“ und „Das Ständchen“ taucht wundersam in eine Eichendorff-Welt ein. Und bei „Liebesbriefchen“ könnte man den gerademal Pubertierenden durchaus als „Frauenversteher“ bezeichnen. Christiane Karg servierte diese 3 Piecen mit aparter Stimmgebung – um dann bei „Glück, das mir verblieb“ (dem Ohrwurm aus der „Toten Stadt“) mit sagenhaften Schwebetönen aufzuwarten und so für Rührung zu sorgen.

„Mild und leise“ blieb  dieser erste Teil. Dafür ging’s nach der Pause mit dem „Heldenleben“, op.40, des Richard Strauss ordentlich zur Sache, in Richtung pompöse Selbstbespiegelung und –beweihräucherung. Riesiges Orchester für das Werk, das nicht ohne Zufälligkeit in Es-Dur, der Tonart von Beethovens „Eroica“, steht. Der „Held“ hat es mit vielen lästigen Widersachern zu tun, die grell  mit meckernden Holzbläserfugatos karikiert werden. Des Helden Gefährtin darf nicht fehlen. Straussens kapriziöse Ehefrau Pauline, was der Konzertmeisterin Sophie Heinrich Gelegenheit gibt, mit einem ausufernden, äußerst virtuosen Violinsolo zu brillieren. Eine ebenso ausufernde Liebesszene darf nicht fehlen. Mit Selbstzitaten (v.a. aus dem „Don Juan!) wird nicht gespart. Kämpfe, (mit ohrenbetäubendem Orchesterkrach), des Helden Friedenswerke (da kann ein Orchester zeigen, was es an Farbigkeit drauf hat!). Und dann des Helden Weltflucht und Vollendung (man vermeint, in einem weiteren Violinsolo Gefährtin Pauline flüstern zu hören: „Komm, rast‘ dich nach den vielen Kämpfen mit all den dummen Widersachern aus!“

Vollendung und Rückzug, Weltflucht: Mit 34!

Man kann derlei ziemlich penetrant finden. Natürlich ist es genial, wie er das alles instrumentiert, was er einem Meisterorchester  für Aufgaben gibt. Und die Symphoniker zeigen, was sie können! Sie sind topfit, jede(r) Einzelne, und im kompakten Kollektiv. Die kraftvollen Streicher, die wunderbaren Holzbläser, das stählerne Blech. Mit Sophie Heinrich haben sie eine fabelhafte Konzertmeisterin. Da kann man schon ein Ausrufezeichen setzen: Jetzt geht’s los!

Andrés Orozco-Estrada ist temperamentgeladen, dirigiert sportiv und körperbetont. Und er kann es gar nicht erwarten loszulegen. Erinnerungen an Carlos Kleiber werden wach, der hat in den 90er Jahren auch in den Begrüßungsapplaus hinein den Beginn des „Heldenleben“ explodieren lassen. Explosiv war auch die Wiedergabe Orozco-Estradas beim Antrittskonzert.

Das Publikum hieß den „Neuen“ mit stürmischem Applaus herzlich willkommen und sparte nicht mit Bravorufen.

Auf die Zukunft kann man sich freuen.

Karl Masek

 

 

 

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