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WIEN / Kasino: WUNSCHLOSES UNGLÜCK

10.02.2014 | Theater

Handke im Sarg_lStraesser_Hartinger x
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kasino des Burgtheaters:
WUNSCHLOSES UNGLÜCK.
Nach Motiven aus der Erzählung von Peter Handke
Bearbeitung für die Bühne Duncan Macmillan
Premiere: 9. Februar 2014

Man hat an Hartmanns Burgtheater schon manchen missglückten, manchen überflüssigen Abend gesehen, aber so ärgerlich sinnlos wie dieser war wohl noch keiner. Was der Dramatiker Duncan Macmillan und die Regisseurin Katie Mitchell aus Peter Handkes Prosa-Meisterstück „Wunschloses Unglück“ gemacht haben, grenzt an Zerstörung, die geahndet werden sollte.

Handke schrieb die Geschichte seiner Mutter nach deren Selbstmord 1972 nieder, ein schmales Buch nur, aber von so zupackender Kraft, dass er sich umweglos in das Bewusstsein aller Literaturfreunde, mehr noch, vermutlich aller österreichischer Leser katapultierte. Warum? Weil er hier einem von Millionen „verlorenen“ europäischen Frauenschicksalen rund um den Zweiten Weltkrieg nachspürte, wie sie in der Provinz und an kleineren Orten schweigend erlebt und erlitten wurden. Auch nach Handkes Mutter hätte niemand gefragt, hätte er nicht ihr – und mit ihr einer ganzen Generation – ein Denkmal gesetzt.

Wobei die Trostlosigkeit und Chancenlosigkeit der kleinstädtischen Enge im Grunde durch den Nationalsozialismus durchbrochen wurde, wo das Leben der einfachen Leute eine Spur von Glanz und neuem „Gefühl“ erhielt. Auch Handkes Mutter, die seinen Vater, einen deutschen Offizier, nicht heiraten konnte und die Vernunftehe mit dem braven Mann einging, der sie samt Kind nahm, gehörte zu diesen Frauen, für die sich nach dem Krieg die Türen wieder schlossen und die in ihrer Welt erstickten… Psychogramm, gesellschaftliche Studie und ein Stück Dichtung in einem – so klar und erkenntnisträchtig wie Handke, der es später kompliziert und verstrickt liebte (und liebt), nicht geblieben ist.

Ein so überzeugendes Stück Literatur drängt auf die Bühne, im Burgtheater bereits zweimal, allerdings ohne großen Aufwand – 1997 gestaltete Maresa Hörbiger dieses Schicksal im Vestibül, 2008 haben Kirsten Dene und Markus Meyer „nur“ den Text gelesen, aber wie! So dass in diesem solcherart entstehenden Dialog zwischen Mutter und Sohn beider Schicksale greifbar vor dem Publikum standen.

Hat Bearbeiter Duncan Macmillan (ständiger Mitarbeiter von Katie Mitchell, auch die Salzburger Festspiele werden heuer diese Paarung genießen) den Text eigentlich genau gelesen? Er bietet nämlich wiederholt den mütterlichen Selbstmord mit sehr vielen Tabletten an, die Heimkehr des Sohnes und seinen Entschluss, über die Mutter zu schreiben, die Leiche im Sarg bis zum Begräbnis – und das ist es auch schon. Mutters Schicksal wird kaum angedeutet, es gibt keine Details dazu (und eigentlich geht es nur darum!!!), nur gelegentlich wird vorwurfsvoll ein Bild jubelnder Nazis gezeigt, unter denen auch Handkes Mutter war. Wer das Buch nicht kennt, ahnt den Zusammenhang in keiner Weise.

So viel zur „Bearbeitung“, die ein einziges Missverständnis ist (und man fragt sich, wer es wagt, sich als “Dramaturgie“ auf den Theaterzettel schreiben zu lassen, ohne dass er je gesagt hat: Hoppla, was macht ihr Briten eigentlich da?). Das provokante Ärgernis dazu liefert die Inszenierung von Katie Mitchell, die keine ist, sondern ein gequältes „Kunststück“, das sich an Video und Performance orientiert und natürlich so neu nicht ist – dass er „innen“ spielen und es per Kameras nach „außen“ auf Leinwänden zum Publikum übertragen lässt, damit sekkiert uns Frank Castorf schon seit Jahrzehnten (und zuletzt im Bayreuther „Ring“).

Sagen wir noch dazu, dass es zu einer Zeit, wo die Finanzen des Burgtheaters ächzen und krachen, hier von besonders hohen Produktionskosten die Rede ist, weil Katie Mitchell angeblich nicht ausreichend nach Wien kam und Teile der Mitwirkenden immer wieder nach London geflogen werden mussten (wie verbucht man solche Flug- und Hotelkosten, und kann man das wirklich begründen, wenn es tatsächlich so war?). Zudem ein so künstlich kompliziertes Ding wie diese Inszenierung ja eigentlich nur an Ort und Stelle legitim aufgestellt werden kann: Die Bühne von Lizzie Clachan stellt im Parterre die verwinkelte bürgerliche Wohnung her, darüber prangt die riesige Filmleinwand. (Achtung: in diesem Fall sitzt man besser hinten, denn man sieht ohnedies nur „Kino“.) Was unten gespielt wird, ist für die Zuschauer in den seltensten Fällen zu sehen, da meist „Mauern“ vor die Räume gezogen sind. Und sollten diese gelegentlich einmal offen sein, wird der Wunsch nach den „Echtmenschen“ auch nicht erfüllt, weil man sie kaum zu Gesicht bekommt – ununterbrochen wieseln Kamera-Leute und solche, die irgendwelche Scheinwerfer bewegen und umhertragen, auf der Bühne herum. Die stete Unruhe macht nicht nur jedes „echte“ Theater unmöglich, sondern stört auch beim „Filmschauen“, für das man eigentlich nicht wirklich gekommen ist…

Handke Zweigeteilte Buehne xx

Nun soll man wohl die Logistik bewundern – wie die Szenen um die Mutter in schwarzweiß abgefilmt werden, die Szenen um Sohn und Tochter im Trauerhaus bunt, wie detailgetreu alles ausgestattet ist, wie sorglich detailliert man etwa sieht, dass Handkes Mutter noch das Häferl und Aschenbecher abwäscht, bevor sie zum Sterben geht: Feinsäuberlich ordentlich bis zuletzt. Und offensichtlich leisten die Leute am Schneide- und Mischpult tolle Konzentrationsarbeit, denn die Szenen wechseln schnell (da muss die „Mutter“ auch aus dem Sarg hüpfen, schnell in der Küche eine Szene spielen und husch, husch zurück in den Sarg…), es gibt (ist ja Kino!) sehr viel tremolierende Musik und der Text wird aus dem Off eingespielt. Warum Mutter und Sohn allerdings nicht von den Stimmen der Darsteller versinnlicht werden, die sie spielen, sondern von anderen (das könnte ja wirklich vom Band kommen) – das erkläre einer einmal. Zusammen mit viel anderem. Zum Beispiel, was das Ganze soll.

Denn dass „echt“ gespielt wird, hat mit dem Abend im Grunde nichts zu tun, macht keinesfalls irgendeinen Unterschied für das Ergebnis auf der Leinwand: Das könnte man auch fertig abgefilmt hinstellen, der Effekt wäre derselbe. Nur dass man die Kasino-Preise wohl kaum von 25 auf 40 Euro hätte erhöhen können, böte man nur Film und nicht das ganze sinnfreie Durcheinander dazu. Das wären wohl die teuersten Kinokarten der Welt (selbst für die Met verlangt man nur 30 Euro, wenn die Weltspitze „Rusalka“ singt…).

Handke _DorotheeHartinger liegt

Dorothee Hartinger als die Mutter ist bemerkenswert, und wenn sie sich zum Sterben fertig macht, ist es beklemmend dabei zuzusehen, wie sie sich zwei Windeln einlegt und drei Unterhosen anzieht, um keinen Schmutz zu verursachen, falls ihr Darm nicht mitmacht (was ja bei gewaltsamen Toden öfter der Fall sein soll). Sie bindet sich auch ein Tuch um das Gesicht, um nicht danach mit offenem Mund dazuliegen. Dass sie grundsätzlich unglücklich ist, darf sie verströmen, warum – darauf haben Autor und Regisseurin vergessen. Warum, zum Teufel, hat ihnen niemand gesagt, dass das eigentlich die Geschichte ist? (Übrigens, als Mutters Stimme hört man Petra Morzé, am Ende darf sie neben ihrem „Sohn“ im Flugzeug sitzen, nicht als Mutter, als irgendwer, und was das wieder bedeuten soll – weiß der Teufel.)

Daniel Sträßer ist als Sohn ganz à la „Junger Handke“ hergerichtet und er und Liliane Amuat als seine Schwester (die jetzt den Rest der Spielzeit mit dem Signet herumgeht: „Ich bin gekündigt, mich braucht man nicht“ – sehr taktvoll von der Direktion) schweigen sich eindrucksvoll durch ihre Parts. Den Handke-Text, soweit er den Sohn betrifft, hört man vom Peter Knaack.

Aber Peter Handke ist damit nicht gedient. Und dem Publikum noch viel weniger.

Renate Wagner

 

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