Fotos: Barbara Zeininger
WIEN / Kasino des Burgtheaters:
DIE AHNFRAU von Franz Grillparzer
Premiere: 14. April 2013
Als Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann ankündigte, er wolle sich persönlich mit Franz Grillparzer auseinandersetzen, klang das vielversprechend – auch wenn in Zeiten wie diesen nichts mehr Gültigkeit hat, war das Burgtheater doch einmal das österreichische Nationaltheater und Grillparzer galt als der österreichische Nationaldichter. Und dass man ihm auf den Bühnen in unseren Tagen längst keine Gerechtigkeit mehr widerfahren lässt, ist bekannt. Also – „Die Ahnfrau“, ja, die „Ahnfrau“ gleich, jene mit der „stillen Klause“ und dem ganz schlechten Ruf in der Theatergeschichte.
„Die Ahnfrau“ war nicht das erste Stück, das Grillparzer geschrieben hat, aber das erste, das das Licht der Bühne erblickte. Und wie! Die Uraufführung im Theater an der Wien am 31. Jänner 1817 war ein Sensationserfolg für den gerade 26 Jahre jungen Dichter. Und es ist auch ein begabtes Werk – und doch für die Nachwelt eine Lachnummer. Denn was hat er nicht alles in diese Geschichte, die auf einem böhmischen Schloss spielt, hineingemixt! Von Schiller den Schauder der Räuberromantik und vom Wiener Volkstheater die zahllosen Geister- und Gespensterstücke; das „fatale Requisit“ des Schicksalsdramas und an Familientragödien – da kommt der Fluch der „Ahnfrau“ dann noch dazu – alles, was gut und teuer ist: der in seiner Kindheit verschwundene Sohn des Hauses; ungewollte Geschwisterliebe (also nicht ganz Wälsungenblut), Vatermord. Im übrigen zerbrach sich der junge Dichter auch noch den Kopf, ob der Mensch ein Spielball des Zufalls sei, ob ein unentrinnbares Schicksal über ihm walte – und wie es denn mit der persönlichen Freiheit der Entscheidungen stünde.
Das ist wahrlich nicht nur dummer Theaterdonner, aber die Ingredienzien des Werks tragen noch so viel von heute als krude empfundenen Theatereffekten an sich, dass man um die „Ahnfrau“ schon seit langem einen großen Bogen macht, zumal sich Grillparzer ja danach auf vielen Ebenen als bemerkenswerter Dramatiker erwiesen hat. Das Burgtheater spielte das Stück zuletzt von 1941 (damals zum 150. Geburtstag Grillparzers) – das waren noch naivere Zeiten.
War das Problem der „Ahnfrau“ für Regisseur Matthias Hartmann überhaupt zu lösen? Möglicherweise nicht. Ernsthaft versucht hat er es aber auch nicht. Er meinte dem Werk a priori nur mit der ultimativen Verfremdung beikommen zu können, und das Ergebnis im Kasino des Burgtheaters wird dann von den Theaterbesuchern je nach persönlicher Präferenz als Studentenulk, Horror-Parodie, Verkleidungs-Klamotte, komplette Ironisierung oder auch Verarschung betrachtet werden. Dabei ist die Sache so einfach nicht.
Man hat das Kasino umgebaut, ist davon wieder abgegangen, den Raum in seiner ganzen Breite zu bespielen. Jetzt sitzen die Zuschauer wieder „quer“ im Raum auf einer hohen Tribüne, davor steht nun erneut jene reduziertere Spielfläche zur Verfügung, die den Vorteil hat, dass das Geschehen nicht allzu sehr zerflattert. Volker Hintermeier hat ein paar Sessel mit Lesepulten aufgestellt, im Hintergrund im Eck soll eine „Landschaft“ umgestülpter Sessel wohl das Schloss der Familie Borotin versinnbildlichen, überall brennen Kerzen. Später wird es dann für die Ahnfrau auch ein paar Video-Spielereien (Stephan Komitsch) geben, und ganz wichtig ist das Klavier am rechten Bühnenrand: Da sitzt Hauskomponist Karsten Riedel und wurde vom Direktor-Regisseur gewaltig gefordert: Er muss nicht nur eine Art begleitender „Filmmusik“ liefern (und gelegentlich singen – man versteht ihn ohnedies nicht), sondern vor allem auch für die akustischen Schauereffekte sorgen, „Huhuhu“, die Ahnfrau kommt…
Es ist ja alles größtenteils komisch gemeint. Bis ins Kostümdetail: Erst, wenn er sich zum Zeichen, dass er stirbt, ein rotes Taschentuch an die Brust drückt, weiß man auch, warum der Interpret des Borotin rote Absätze an den Schuhen hat – die streckt er, in Ermangelung anderen Blutes, den Zuschauern entgegen… (Kostüme: Victoria Behr)
Die sechs Darsteller erscheinen, stellen sich auf, Ignaz Kirchner setzt sich an ein Vortragspult, liest nicht nur – stark gekürzt und dank seines üblichen Nuschelns wenig verständlich – den einleitenden Monolog des Grafen Borotin, sondern auch die szenischen Bemerkungen. Auf diesen Effekt greift Hartmann immer wieder zurück, wenn er im Lauf des Abends Gefahr läuft, wirklich das Stück spielen zu lassen, und das hat er nicht vor – Verfremdung, Verulkung sind das Motto, wir machen hier Theater, verstanden?
Das wird sofort klar, wenn man Borotins Tochter „Berta“ erblickt – sie ist nämlich ein junger Mann mit Dreitagebart, der seinen Text in höchsten Tönen zirpen muss: Es ist ganz erstaunlich, wie es Maik Solbach bei allem Geblödel, das er abziehen muss, gelegentlich schafft, alles vergessen zu lassen und ein paar Töne dieser unglücklichen Mädchengestalt zu treffen, für die sich im Burgtheater möglicherweise doch eine junge Frau hätte finden lassen können… Ebenso wie für die Ahnfrau, aber es sollte wohl ein Männerabend sein. Warum? Man hat noch kein gedrucktes Interview gefunden, in dem der Direktor diese seine Entscheidung erläutert hätte.
Der Räuber Jaromir, der der entführte Sohn ist, Retter und Liebhaber Bertas, von der er nicht wissen kann, dass sie seine Schwester ist, schließlich Mörder seines Vaters, von dem er nicht weiß, dass er sein Vater ist, kurzum: Schicksals-Opfer einer ruhelosen und rachelüsternen Ahnfrau – das hat ja doch im Schwung und der Sprache Schiller-Zuschnitt, und dafür ist Oliver Masucci doch eher ein etwas gebrochener Typ. Immerhin, den Outlaw glaubt man ihm, nur seine Sprechtechnik ist für das, was in dieser Rudiment-Aufführung (zwei pausenlose Stunden) ja doch noch vom Original übrig ist, einfach zu schwach. Er verschluckt so viel, wie er vom Text preisgibt (sein Kampf mit dem Körpermikrophon, dessen Kabel sich immer wieder selbständig machten, wird doch nicht inszeniert gewesen sein?).
So sind dann die besten Sprecher die überzeugendsten Interpreten, wenn auch nur in Nebenrollen – aber so, wie Franz Csencsits den Hauptmann und vor allem Johann Adam Oest, besonders gut als treuer Kastellan Günther, ihre Rollen spielen, könnten sie – ein paar Mätzchen ausgenommen – eventuell auch in einer „ernst“ genommenen Aufführung funktionieren (wenn das einmal jemand wagen würde!). Oest muss auch noch den alten Räuber Boleslav spielen, so wie Sven Dolinski, ganz glänzend als junger Soldat, auch noch als Ahnfrau (mit wildem Hüftschwung und äußerst tänzerisch gelaunt) abkommandiert ist. So arm ist doch gerade das Burgtheater nicht, dass da nicht noch zwei Darsteller drin gewesen wären? Denn die Doppelbesetzungen machen keinerlei Sinn.
Es wird im Sinn von alten Stummfilmen dramatisch geschaut, Hände werden gerungen, man fällt klickeradoms in Ohnmacht und ist perdu, und gerade diese Körpersprache bekundet ununterbrochen, dass Jokus, Jokus, Jokus gemeint ist. Und dann ist dieser Grillparzer mit seiner Sprache und Psychologie immer wieder so stark, dass er über alles, was diese Aufführung ihm szenisch entgegenstellt, schlechtweg siegt – und partienweise einfach spannend eine wahnwitzige Geschichte erzählt (aber wahnwitzig sind die „Räuber“ auch…). Aber dann wabert wieder im wahrsten Wortsinn und im übertragenen Sinn auch viel Nebel…
„Unglück oder Freveltat?“ wird in dem Stück gerätselt. Nun, was die Aufführung angeht: weder noch. Sie ist ein Versuch, der wieder einmal des Direktors handwerkliche Fähigkeiten zeigt. Er hat einen formalen Weg gesucht und gefunden. Wer von der „Ahnfrau“ nichts weiß, wird nachher nicht klüger sein als wie zuvor. Aber vielleicht hat er ein paar Mal gelacht – was an sich vom Dichter nicht unbedingt vorgesehen war.
Der Beifall war freundlich, aber besonders hingerissen schien das Publikum nicht. Das wäre auch entschieden übertrieben gewesen.
Renate Wagner