WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN von Joseph Kesselring
Premiere: 18. Mai 2017,
besucht wurde die Generalprobe
Marianne Nentwich ist eine Schauspielerin der besonderen Art, nicht nur ihrer Qualitäten wegen. Wo findet man heute schon jemanden, der ein Leben lang ein- und demselben Theater treu bleibt? Seit sie als junges, dunkelhaariges, ungemein gefühlsintensives Mädchen an die Josefstadt kam, ist sie an diesem Haus geblieben. Die „große Karriere“, die man ihr hätte voraussagen können, hat sie auf diese Art nie gemacht – offenbar hat sie sich nie genügend vorgedrängt, dass man für sie „Rollen gesucht“ hätte wie für so manche andere Dame einst und jetzt. Sie spielte Schönes, sie spielte auch Nebenrollen, sie verkörperte das Wunder eines ehemaligen „Ensembles“, das es sich leisten konnte, erste Leute bis in die kleinste Rolle aufzubieten. Nein, das gibt es nicht mehr.
Und – tempus fugit. Schon ist sie 75, die Doyenne des Hauses, und angeblich tut man ihr Gutes, wenn man „Arsen und Spitzenhäubchen“ spielt, die Geschichte der beiden alten Schwestern, die in aller Unschuld morden, um den alten Herren glücklichere Zeiten im Jenseits zu verschaffen. Man will nicht aufzählen, wer diese Paraderollen aller gespielt hat. Und auch Marianne Nentwich und ihre absolut hochkarätige Kollegin Elfriede Schüsseleder wären eine erste Besetzung – hätte der Regisseur des Abends nicht Fabian Alder geheißen. Und der Schweizer Enddreißiger (einst Assistent u.a. von David Bösch…), der zuletzt „Harold und Maude“ relativ stimmungslos auf die Bühne geschickt hat, scheint von Schauspielern weniger zu verstehen als vom „Inszenieren“: Die beiden reizenden alten Damen stehen verloren und geradezu unauffällig auf der Bühne, werfen sich keine Pointen zu, lassen die Verschmitztheit vermissen, die neben ihrer Naivität das Publikum leicht verunsichern sollte, kurz: Sie sind nicht einmal annähernd so präsent, wie es die Rollen und auch ihre Persönlichkeiten verlangen.
Foto: Barbara Zeininger
Dafür hat Alder in einem seltsamen Bühnenbild (Nikolaus Frinke), das eine Portiersloge ins Wohnzimmer baut (!), auf Teufel komm raus „inszeniert“. Sicher ist das Stück über die verrückte Familie so albern, dass es jeder Glaubwürdigkeit entbehrt, aber wen stört das schon in der Komödie? Alder hingegen muss immer wieder darauf aufmerksam machen, wie dumm alles ist, lässt in slapstickartigen Szenen künstlich dadaistisch herumtanzen (Alexander Pschill muss gleich zum Entrée radfahrend, herumhüpfend und tanzend die erste Szene so gestalten), Musik braust auf, die Bühne wird dunkel, Szenen im „schnellen Vorauf“ akustisch verfremdet… und im Endeffekt ist das alles nicht lustig, sondern bestenfalls retardierend und humortötend.
Mortimer Brewster ist angeblich der unglückliche „Normale“ der Familie, aber in Aussehen und Verhalten macht Martin Niedermair jeden Blödsinn mit. Der lebensgefährliche Mörder-Bruder Jonathan (Markus Kofler) hat nur eine gute Eigenschaft, nämlich Ljubiša Lupo Grujčić an seiner Seite, der als Dr. Einstein zeigt, wie ein ökonomischer Komiker vorgeht. Polizisten, die im Duett unisono reden, eine hysterische Verlobte (der Papa-Pastor – Félix Kama – ist schwarz, also muss es logischerweise auch das Töchterchen – Salka Weber – sein), nichts, was wirklich Freude oder gar Spaß macht.
Dass man der Jubilarin herzlich sagt, wie gern man sie hat – no na. Ihr Theater hätte Besseres für sie tun können.
Renate Wagner