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WIEN/ Kammeroper: L’ARBORE DI DIANA vom Vicente Martin y Soler. Dov’è colpa l’amor – Wenn die Liebe selbst am Schulklo goldene Früchte trägt

09.12.2022 | Oper in Österreich

Dov’è colpa l’amor – Wenn die Liebe selbst am Schulklo goldene Früchte trägt

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Foto: Herwig Prammer

Mit L‘arbore di Diana gelang Vicente Martín y Soler 1787 ein gigantischer Erfolg am Wiener Hoftheater, nicht zuletzt auch, das Lorenzo da Ponte ein wirklich kluges, satirisches und fein gewebtes Libretto beitrug, welches er im Übrigen als sein Bestes bezeichnete.

Regisseur Rafael R. Villalobos hat das Stück nun an die Wiener Kammeroper gebracht und es sei gleich vorweggeschickt, das wir an diesem Abend ein hervorragendes, nämlich positives Beispiel für ebenso kluges, durchdachtes und feingewebtes Musiktheater erleben durften!

Herr Villalobos lässt das Stück nicht auf der Insel Dianas spielen, vielmehr finden wie uns auf einer (Privat)Schule unserer Tage wieder, in welcher die sittenstrenge Direktorin Diana versuchen muss, halbstarke Schüler davon abzuhalten, sich permanent am weiblichen Reinigungspersonal zu vergehen.

Einziger Freiraum, welcher nicht ganz der Kontrolle Dianas unterliegt, ist die Schultoilette, die für allerlei Unfug und Schabernack genutzt wird: Onlinespiele, Drogenkonsum, Verschandelung des Mobiliars und die Dramen des Schullaltags finden hier statt.

Dieser Freiraum wird von Amor genutzt um seinen Feldzug gegen Diana zu planen und schliesslich erfolgreich zu führen. Hier wird also aufwallende Anarchie gegen sittliche Ordnung gesetzt, der Spätbarock pubertiert sozusagen zur reiferen Frühklassik und schert sich einen Mist darum, was die strenge Schule der akademischen Musik davon hält.

Die Besetzung der beiden federführenden Figuren ist dabei wirklich bravourös gelungen: Veronica Cangemi als sittenstrenge Directrice kämpft gleichzeitig gegen ihre eigenen Begierden, zieht sich mit überdimensionalem Joint eben auf den rechtsfreien Raum der Schultoilette zurück und somit auch aus dem Wirkungskreis ihrer eigenen Regeln. Die Koloraturen gelingen ihr dabei wirklich mühelos und wir wundern uns, wie es ihr gelingt drei Stunden lang auf so hohem Niveau so fabelhaft zu singen. Dass sie dann am Ende noch einen ultimativen Wutausbruch in Paarung mit völliger Verzweiflung zustande bricht ist zweifelsohne mehr als bewundernswert.

Auch Countertenor Mayaan Licht brilliert in der Rolle als Amor, die hier vollkommen auf ihn zugeschnitten ist: Als androgyner Schul-Rowdy predigt er anarchische Liebe! Nieder mit der Ordnung, erlaubt ist was gefällt, hinweg mit der spießigen Ordnung!

Dass seine Koloraturen sich ohne weiteres mit denen von Frau Cangemi messen können ist zwar keine Überraschung, dafür aber ein umso größer Genuss. In Kombination mit dem verspielten Charme den Herr Licht an den Tag legt, kommt hier tatsächlich eine durch und durch barocke Atmosphäre auf, die nicht einmal ansatzweise aufgesetzt wirkt. Schlau, witzig, herrlich durchtrieben – es ist die pure Freude!

Auch die weiteren Rollen sind fabelhaft besetzt, Jerilyn Chou stellt die vielfältigen Facetten der Brutomarte greifbar dar: Sie will nicht entsagen, sie ist jung und gesund, will das Leben genießen, spüren, erleben, lebendig sein so lange es noch geht: „Son tenera e fresca, jo spirito e brio. Provar voglio anch’io di far all’amor.“ Sie wird also zur Verbündeten Amors ohne es teilweise zu wissen. Neckisch gelingt es ihr den Charakter auf die Bühne zu bringen, klar im Gesang, intensiv, ja fast schon wollüstig im Spiel. Tatsächlich trifft es hier zu wenn wir sagen: Das ist eine wahre Lust!

Die drei Halbstarken, Doristo, Endimione und Silvio sind ebenfalls so ideal besetzt, dass es ihnen gelingt, die Feinheiten Ihrer Rollen gekonnt und auf den Punkt auszuarbeiten:

Christoph Filler ist als Doristo tatsächlich der Sklave seiner Triebe. „Marito generico Sarò, se volete. Il cor mi darete, Il cor vi darò.“ Gleich alle Nymphen auf einmal will er beglücken. Nur um schließlich zu realisieren, wieviel Anstrengung das mit sich bringt und dann wortwörtlich mit heruntergelassenen Hosen seine Überforderung eingestehen zu müssen. Gyula Rab scheint als starker und unverwundbarer Silvio auf, dessen Stärke nur Schutz ist und doch versagt. Er muss sich seine eigene Hilflosigkeit eingestehen, denn die Ablehnung die er spürt treibt ihn zur Verzweiflung. Erst als er die Stimme des Priesters fingiert – die Idee den Priester als Stimme aus der Lautsprecheranlage der Schule einzufügen, ist ein brillant umgesetzer Deus ex machina – ist auch er am Zug und geniesst diese neue, wenn auch temporäre Macht, jedoch ohne sie zu mißbrauchen. Und schließlich Jan Petryka als fast schon spießig scheinender Endimione, der es jedoch faustdick hinter den Ohren hat: Er entdeckt bei einer Bestrafung seine Affinität zum Sadomasochismus und gibt sich so nicht nur dem Verlangen nach der deutlich älteren Direktorin Diana hin, sondern auch – still und leise – in wechselnder Manier etlichen anderen Frauen. Stille Wasser sind tief.

Alle drei sind fein und nuanciert, in Spiel und Gesang bereichern sie den Abend in und unterstützen die Intention Villalobos‘ ein facettenreiches Bild zu zeichnen, welches unsere heutige Gesellschaft in all ihrer Ambivalenz widerspiegelt.

So wird dann auch onaniert, gegrapscht, Sex in verschiedenen Arten praktiziert, gelogen, intrigiert und provoziert, Gewalt ausgeübt und alles Niedere an die Oberfläche gespült. Auch pubertierende Kinder können grausam sein.

Das ist durch und durch amüsant, weil es einerseits eben an die Realität erinnert. Andererseits aber auch, weil es niemals obszön und billig umgesetzt wird.

Neben dem unterhaltsamen Aspekt, gelingt es dann Regisseur Villalobos so ganz en passant auch, tiefgreifende, ernste Themen anzuschneiden. So trägt die sorglos ausgelebte Sexualität wortwörtliche Früchte: Clizia ist schwanger und wir wissen zunächst nicht von wem (später lernen wir, dass es Endimion ist, der sich mitnichten der Verantwortung stellt). Zunächst scheint sie mit dem Gedanken der Abtreibung zu spielen, findet dann jedoch beim reinigen des Unterrichtsraumes Lehrmaterial und bricht in Tränen aus: Nein, sie ist des Tötens nicht fähig, schon gar nicht des eigenen Kindes. „Me stessa, oh dei, ferir potrei, ma il caro giovine non so ferir.“ singt sie, als sie von Diana den Auftrag erhält, Endimion zu töten und dabei das Modell des kleinen Fötus in der Hand hält – eine Abtreibung kommt hier nicht in Frage!

Fabelhaft dargestellt von Arielle Jeon, insbesondere da diese zusätzliche Ebene zu großen Teilen nebenbei und im Hintergrund der Inszenierung stattfindet. Eben wie im realen Leben, wo solche Dinge ja meist nicht an die Öffentlichkeit getragen werden. Und Frau Jeon gelingt es uns die Angst einer Frau in einer solchen Situation eindringlich vor Augen zu führen. Ihr Mezzo ist ja ohnehin immer ein Genuss erster Güte und so entsteht hier ein wirklich bleibendes Bild.

Das sinkt tief ein und fängt erst in Anschluss an den Abend so richtig an zu wirken, nachdem die heiteren Aspekte verflogen sind der Ernst des Lebens dahinter aber bleibt. Ja, auch und gerade Schule ist nicht nur Leichtigkeit. Im Gegenteil, sie ist der Auftakt zur Realität. Je mehr sie dem Ende zugeht, desto mehr bröckelt die Blase der unbedarften Anarchie: Der sorglose Spaß weicht den harschen Anforderungen des Alltags, eben den Konsequenzen des eigenen Handelns, die auf voller Breitseite zuschlagen.

So ist dann der Baum der Diana mitnichten einer der goldenen Äpfel. Er ist ein Abschlussball, in dem sich mit Helium gefüllte Ballons solange an den mit Glanzpapier ausgeschlagenen Wänden halten, so lange sich das Helium nicht verflüchtigt. Die flackernden Stroboskop-Lichter tauchen dabei nicht nur das Szenario in unangenehme Atmosphäre sondern kündigen schreiend die harsche Realität an.

In der Tat, eine durchdachte Regie kann ein Stück mit ergänzenden Perspektiven versehen und wirklich bravourös und unterhaltsam sein. Dafür bedarf es aber einer tiefen Durchdringung des Stücks durch den Regisseur, auf welche ein umfassendes Verständnis folgt, eines passenden Rahmens für die Inszenierung und eine Ablehnung der Hybris, sich über Komponist und Librettist erheben zu können. Herrn Villalobos ist dies in jeder Hinsicht gelungen und sowohl Orchester, Dirigent als auch Sänger haben sich vollumfänglich darauf eingelassen und sind mit seinen Ideen mitgezogen.

So ist ein höchst unterhaltsames Kleinod entstanden, welches jedem Musikfreund zu empfehlen ist und dem Haus am Ring zeigt, wie es richtig geht: Amüsant, reflektiert, kunstfertig und die Erschaffer des Werks gebührend respektierend als auch das Werk weiterentwickelnd. Bravi tutti, ein Abend allererster Güte, der einen Besuch allemal lohnt!

Eric A. Leuer

 

 

 

 

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