Kammeroper Wien – Verdi/Eggert „Traviata Remix“ – Premiere am 27. September 2016
Koproduktion mit Operafront Amsterdam
Copyright: Barbara Zeininger
HEUTIGER TRAVIATA REMIX MIT VIELEN ÜBERRASCHUNGEN
Das Regieteam hat viel gewagt und gewonnen. Die junge Niederländerin Lotte de Beer, die zu den interessantesten RegisseurInnen der jüngeren Generation zählt, inszenierte diesen „Traviata Remix“ sehr heutig. Das Partygirl Violetta und ihre Freunden feiern durch die Nacht und sparen nicht am Selfie-Schießen. Als Violetta jedoch Alfredo kennenlernt und mit ihm zusammenzieht, mutiert sie zur am Computer sitzenden braven Hausfrau. Nachdem Alfredos Bruder (!) Giorgio Germont ihr das von ihr ausgelöste Familienunheil in Form von Zeitungsartikeln (z.B. „Drogen-Hure ruiniert Polifamilie“) vor Augen führt, willigt Violetta ein und verlässt Alfredo, der sie aus Rache und Hass brutal zusammenschlägt . Violetta stirbt durch die ihr von Alfredo zugefügten Verletzungen und an ihrer unheilbaren Krankheit. Als sie am Schluss mit verwischter Schminke und aufgelösten Haaren der Welt entsagt, verspürt man eine tiefe Trauer um dieses Schicksal. Lotte de Beers Inszenierung lässt nicht kalt. Sie versteht die psychischen Abgründe der Figuren präzise zu zeichnen. Das Ausstattungsduo „Clement und Sanou“ baute einen weißen, multifunktionalen Raum. Die sehr präsenten, immer zur jeweiligen Situation passenden Videoprojektionen wurden vom mehrfach ausgezeichneten Video-Künstler Finn Ross kreiert.
Star des Abends war zweifellos Frederikke Kampmann als Violetta Valery. Mit müheloser Höhe und ausdrucksstarkem Spiel wusste sie die Premierenbesucher zu begeistern. Einen besonders in der Mittellage samtig klingenden Alfredo gab Julian Henao Gonzales. Mit dramatischem Bariton überzeugte Matteo Loi als Giorgio Germont. Szenisch sehr aktiv und gesanglich vom Besten: Anna Marshaniya (Flora/Annina) und Florian Köfler (Grenvil/Duphol).
Komponist Moritz Eggert schuf einen hoch intelligenten, teilweise überraschenden, oft zum Schmunzeln bringenden Remix nach Giuseppe Verdi. Neben Geige und Flöte spielten auch eine E-Gitarre, ein E-Bass und ein Synthesizer mit. Eggert und Jacopo Salvatori schufen gemeinsam die neue Orchestrierung, die Dirigent Kalle Kuusava gekonnt mit dem Wiener Kammerorchester zum Glänzen brachte.
Das Publikum spendete schon während der knapp eineinhalb stündigen Aufführung begeisterten Zwischenapplaus und jubelte am Schluss allen Beteiligten kräftig zu.
Fazit: Tolle junge Sänger begeistern in einer wirklich hörenswerten, interessanten Neu-Orchestrierung. Der Regie gelingt eine wirklich heutige „Traviata“, die jüngere wie ältere Besucher begeistert. Empfehlung!
Sebastian Kranner