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WIEN/ Kammeroper/ „Junges Ensemble Theater an der Wien“: PORTRAITKONZERT KRISTJAN JÓHANNESSON

17.05.2019 | Konzert/Liederabende

Kammeroper/Junges Ensemble Theater a.d. Wien: Portraitkonzert Kristján Jóhannesson am 16.5. 2019

 Aufregend! Der großgewachsene junge isländische Bariton stellt sich neben das Klavier – Arme und Hände bleiben den ganzen Abend reglos. Noch ehe die junge russische Pianistin Alevtina Sagitullina die Hände auf die Tasten setzt,  entnimmt man dem Gesicht des Sängers, dass Bedeutsames, Erregendes bevorsteht. Schuberts 6 Heine-Lieder vermeint man zu kennen. Aber sie sind neu, so wie Johannesson sie – erlebt. Schuberts Atlas zu Beginn des Abends, Hugo Wolfs “Prometheus“ (nach Goethe)  als letzte Nummer – wer sich beim ersten Blick auf den Programmzettel darüber gewundert hatte, dass ein Mensch aus dem fernen Nordatlantik sich über den Wiener „Biedermeier“-Komponisten Franz Schubert wagen würde, wunderte sich bald nicht mehr. Da kam eine Intensität herüber, die den Sänger mehrfach nahezu atemlos erscheinen ließ vor Erregung, während seine kräftige Stimme und perfekte Textbehandlung zu höchster Aufmerksamkeit zwang.
Wir haben den unglücksel‘gen Atlas, den Titanen, belastet mit der ganzen Welt der Schmerzen, kennen gelernt. Ihr Bild klang auch nicht harmlos. Das Ende des kurzen Liedes: „und ach! ich kann es nicht glauben, daß ich dich verloren hab!“ – die zuvor besungenen Tränen hörte man im beklemmenden pianissimo und den beiden Crescendi bei „kann es nicht“ und „das ich dich“, mündend in eine 2-taktige Spannungspause.

Wo eherne Stimmkraft herrschte, fehlte dennoch nicht der baritonale Wohlklang, wie im folgenden Fischermädchen“, das textgemäß lockerer herüberkam. Doch die finale „schöne Perle, die in seiner Tiefe ruht“ – mit sonoren Basstönen, beeindruckten nicht minder
Es war Zeit zum Durchatmen für die Zuhörer. Dazu verhalfen uns zwei Pianisten, die vierhändig Schuberts Fantasie in f-Moll spielten: Alevtina Sagatullina, die auch die musikalische Einstudierung der Lieder gemacht hatte,  und Alexander Panfilov. Trotz der Molltonart kam Heiterkeit auf, von der Dame zumeist melodieführend im höheren Bereich, vom Kollegen in tieferer Lage raumfüllend unterstützt. Lebendigkeit des Klanges war in dieser Nummer dominierend.

Drei weitere Lieder aus dem „Schwanengesang“: „Die Stadt“, „Am Meer“ und „Der Doppelgängerbestärkten mich in der Überzeugung, dass in Kristján Johannesson ein Fliegender Holländer und Wotan heranreift. Das ständige Wechselspiel zwischen geheimnisträchtigen Naturphänomenen und menschlichen Empfindungen wurde in Gesicht und Stimme des Sängers und aus der bewegten musikalischen Begleitung wahrnehmbar.

Nach der Pause: 3 Gesänge von Jean Sibelius in schwedischer Sprache: „Svarta Rosor / Schwarze Rosen“ (Text: Ernst Josephson), „var det en dröm? / War es ein Traum?“ und „Flicken kom ifran sin ölsklings möte / Das Mädchen kehrt von ihrem Liebsten heim“ (Text:  Johann Ludvig Rüneberg) schienen sich auch in jenem Grenzbereich zwischen Natur und Menschsein zu bewegen, aber ohne die abgründigeTragik der deutschen Lieder.

Die kulminierte inGrenzen der Menschheitund Prometheus“. Was die an sich grandiosen Goethe-Gedichte schon zum Ausdruck bringen, wird durch die Vertonung von Hugo Wolf noch um ein Vielfaches gesteigert, an purer akustischer Wirkung und erschütternder Eindringlichkeit. Und als gebürtiger Isländer weiß Kristján Johannesson

von den Naturgewalten sicher noch einiges mehr als wir Mitteleuropäer. Die Menschen, die zwischen Feuer und Eis leben, wo „aus rollenden Wolken“ „segnende Blitze“ die Welt erhellen, wo sich über einen gigantischen Wasserfall ein riesiger leuchtender Regenbogen spannt und wo in den Lavahöhlen die Nibelungen ihr Reich haben könnten – da sind sie zuhause, die Götter, die sich Richard Wagner aus dem nördlichen europäischen Inselreich geholt, und wie wir seit dem April-Merker wissen, auch auf seinen Hochgebirgswanderungen in der Schweiz zurecht gedichtet hat. Die Stimme des jungen Sängers findet mit metallischem Höhenstrahl zu eherner Kraft und vermittelt schaudererregend die Herausforderung der „ewigen Götter“ durch Prometheus. Nach dem Ende langes, betroffenes Schweigen, geboten durch den erregt dastehenden Sänger, dem selber angst und bange geworden zu sein scheint – nicht etwa aus Angst vor eventuellem stimmlichem Verschleiß (da ist nichts zu fürchten), sondern ganz im Sinne Goethes und Wolfs: mit der ernstlichen Frage: Wo sind meine Grenzen?

Die Isländer wissen das. Ein Vulkanausbruch ist für sie kein Unglück. Man weiß damit umzugehen. Man lernt es dort schon im Kindergarten. Wir haben den Eindruck, dass Johannesson auch weiß, wie er mit seiner Stimme umzugehen hat.

 Er hat in seinen bisherigen Rollen im jungen Ensemble des Theaters an der Wien mehrfach bewiesen, dass er nicht nur zum Tragöden geboren ist: als Verdis Marquis Posa voller Idealismus, als quicklebendiger Schuljunge in Brittens „Midsummer Night’s Dream“, als Wagners Gunther in der „Ring“-Trilogie, der mit seiner Schwester Gutrune lebhaft schäkert. Gern hätte ich ihn auch als Mozarts Conte Amaviva in Schönbrunn gesehen, aber da sagte mir sein Name noch nichts. Ein Rudel junger und älterer Leute, die sich nach dem Konzert um ihn drängten, bewies, dass seine Kapazitäten erkannt worden sind.   

Sieglinde Pfabigan

 

 

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