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WIEN/ Kammeroper: DIE STUMME SERENADE von E.W. Korngold. „Du flimmerst und schimmerst, sag wie machst Du das?“

19.06.2023 | Oper in Österreich

„Du flimmerst und schimmerst, sag wie machst Du das?“ – Korngolds „Die Stumme Serenade“ an der Wiener Kammeroper, Aufführung vom 18.06.2023

 Als Erich Wolfgang Korngold’s „Die Stumme Serenade“ nach einer Radioausstrahlung mit dem Wiener Rundfunk (1951) schließlich 1954 in Dortmund uraufgeführt wurde, erfreute sie sich zwar beim Publikum großer Beliebtheit, wurde durch die Kritik jedoch verrissen, tatsächlich 53 Jahre lang nicht mehr aufgeführt und geriet in Folge in Vergessenheit. Anlässlich Korngolds fünfzigsten Todestages wurde das Werk 2007 schließlich wieder auf die Bühne gebracht, dieses Mal im Münchner Haus der Kunst. Es folgten 2009 Aufführungen in St. Gallen und Freiburg, 2014 an der Dutch National Opera Academy und im Berliner Admiralspalast, 2017 am Landestheater Coburg (eine Inszenierung, die mit dem BR-Klassik Frosch Award ausgezeichnet wurde) und 2021 eine Neuproduktion an den Spielstätten des schleswig-holsteinischen Landestheaters. Nun hat das Theater an der Wien erstmals „Die Stumme Serenade“ nach Wien geholt und zeigt dieses Kleinod in Regie von Dirk Schmeding an der Kammeroper. Zu Recht, denn was wir an diesem Abend erleben, ist ein Feuerwerk großartiger Unterhaltung, welches längst einer Wiederaufführung bedurfte.

Herr Schmeding verpflichtet sich dabei der Entstehungszeit des Werks und inszeniert dieses ganz als Revue-Stück im Stile der 50er Jahre, welches zwischen Oper, Operette und Musical hin und her changiert. Dabei wird mitnichten eine historisierende, staubige Produktion auf die Bretter gestellt. Die Bühne besteht aus einem erhöhten, runden Podest mit angefügten Glühbirnen und ansonsten werden verschieden große Tour Cases auf der Bühne hin und her geschoben. Das funktioniert deshalb ganz hervorragend, da der Fokus auf dem Zusammenspiel der Sänger und Tänzer einerseits liegt, anderseits die großartigen Kostüme von Pascal Seibicke nur so von Ausdruckskraft strotzen und ihnen somit ausreichend Möglichkeit gegeben ist zu wirken. So versteckt sich beispielsweise Andrea Coclé in einem Tour Case, Silvia Lombardi nutzt eines als Schafstatt und Carlo Marcelini thront auf einem solchen, um seiner Bombenleger-Tätigkeit nachzukommen. Hier wird also gekonnt mit Theater an sich gespielt, die Charaktere steigen als Stereotype (die sie am Ende doch nicht sind) aus dem Theaterfundus und kehren dorthin auch bei Bedarf wieder zurück. Herr Schmeding will damit keinesfalls in tiefere Fragen vordringen, vielmehr nutzt er damit ein Element, um den Revue Charakter des Stückes erfolgreich hervorzuheben.

Diesen Revue Charakter arbeitet er weiter heraus als es auf der Bühne grandios gelingt Silvia Lombardiwie von Geisterhand mehrere Male umzukleiden: Umringt von den Mannequins des Salons ändert sie fünf(?) mal ihr Outfit hinunter bis zum Negligé. Die Inszenierung bedient sich dabei klug der Fächer aus Pfauenfedern, so daß der Wechsel selbst erst dann sichtbar wird, wenn das neue Kleidungsstück sichtbar ist. Eine Parallele zu Burlesque zeigt sich auf, denn sogar beim Negligé macht die Inszenierung nicht halt und schließlich sehen wir Silvia Lombardi tatsächlich splitterfasernackt – bis auf zwei schwarze Balken, die alle unsittlichen Stellen sozusagen auspixeln. Das ist schon wirklich charmant durchdacht und provokant ohne ausfällig zu werden, so daß es alleine für diese Szene einen Preis verdient.

Spätestens jetzt wird klar: Von einigen kleinen Seitenhieben auf aktuelle Tagespolitik (beispielsweise der Ausspruch „Wir können auszählen“) einmal abgesehen, fokussiert sich dieses Stück vor allen Dingen darauf, unterhaltsam zu sein und Spaß zu machen. Fernab von Regietheater, belehrendem Zeigefinger und verschiedenen ideologischen Agenden, die derzeit permanent an den anderen Wiener Häusern aufgenötigt werden, ist diese Produktion also eine wunderbar wohltuende Entspannung. Oder: Einfach verdammt gute Unterhaltung. Bravi, bravissimi an Dirk Schmeding, das war und hat ganz große Klasse!

Als Traumpaar des Abends fungieren Jasmina Sakr als Silvia Lombardi, die es versteht die Grandezza einer Hollywood-Diva der 50er Jahre auf die Bühne zu bringen und ihr Pendant Peter Broding, der als schwer verliebter und etwas unbedarfter Damenschneider Andrea Coclé von einem Zufall zum anderen stolpert. Es sind die Irrungen und Wirrungen, die den Charme des Librettos ausmachen, das mehr an eine klassische Komödie à la „Charlys Tante“ erinnert. Oder eben irgendwo doch an eine ganz typische Opera Buffa. Fehlt eigentlich nur noch ein wenig Parlando. Dafür dürfen wir wunderbare Duette wie „Schönste Nacht“ erleben, in der die stumme Serenade dann doch gesungen wird oder die neckische Nummer „Ein Schneider ist kein Mann“ in der Silvia Lombardi ihren Schneider Andrea zunächst in die Grenzen weist. Alle Nummern weisen dabei den typischen schimmernd-mystischen Klang der Musik Korngolds auf und das ist an diesem Abend ganz besonders bemerkenswert: Zwar hat Korngold die Stumme Serenade für ein Kammerorchester komponiert. Jene schillernenden Klangfarben, gesanglich und musikalisch so wiederzugeben, dass eine satte, klangliche Fülle entsteht, muss mehr als lobend hervorgehoben werden. Brava Frau Sakr, bravo Herr Broding, wir haben mitgefühlt, geschwärmt, gehofft und geliebt.

Als erfolgreicher Schlager aus der stummen Serenade etablierte sich bereits in den 50er Jahren das Duett „Luise, Du hast etwas“, vom zweiten Paar des Stückes, nämlich dem rasenden Reporter Sam Borzalino und der Probierdame Louise gesungen. Nicht nur, dass diese Nummer erhebliche Ohrwurmqualitäten vorweist. Jenifer Lary und Paul Schweinester gelingt es, eine ganz große Revue-Nummer daraus zu machen: Rasch sind Frack und Zylinder zur Hand und gemeinsam mit den drei Mannequins wird hier vor einem mit Glühbirnen besetzen Vorhang gesteppt und getanzt, als stünden Ginger Rogers und Fred Astaire persönlich auf der Bühne. Fabelhaft!

Mit viel Witz und angenehmer Frechheit erleben wir hier das ideale Side-Kick-Paar, das mit Feuer und Flamme zu begeistern weiss – Brava Frau Lary, bravo Herr Schweinester, ihre beiden Interpretationen haben das Stück mit quirliger Lebendigkeit erfüllt!

Dann zu nennen sind noch einige „Nebenrollen“ die allesamt tragend, da entscheidend für den Verlauf des Stückes. Zunächst Stefano Bernardin als despotischer Ministerpräsident im wortwörtlichen Westentaschenformat, der seinen Napoleonkomplex damit ausgleicht, von der hochgefahrenen Gabel eines Staplers aus seine Anordnungen zu geben. Brillant umgesetzt und ebenso amüsant wie der irrwitzige Bombenleger Carlo Marcelini, den Herr Bernardin gleichfalls verkörpert. Dass er beide Rollen durchgehend auf Knien spielt, erzeugt nicht nur zusätzliches Amüsement, Herr Bernardin nutzt dies, um gelungen einzelne Nuancen seiner Rollen herauszuarbeiten. Große Schauspielkunst, was nicht anders zu erwarten war, bravo!

Ebenso gelungen sind die Auftritte Alexander Strobeles zu nennen, der in einer doppelten Travestie als Kammerfrau Bettina und als Laura, der Geschäftsführerin des Modesalons auftritt. Pikant mag hier freilich sein, daß Herr Strobele auch als Beichtvater des Königs auftritt, es sich aber nicht nehmen lässt, hier schlüpfrige Netzstrumpfhosen aufblitzen zu lassen. Dass auch diese Travestie niemals anzüglich wirkt oder gar empörend wirkt, zeigt einmal mehr die Finesse des gesamten Konzepts, als auch das Können Herrn Strobeles. So setzt dieser auch etliche gekonnte Pointen und singt zumindest ein kleines bisschen. Bravo Alexander Strobele!

Als gar zu braver, weil (fast) integrer Polizeiminister Caretto zeigt Reinwald Kranner auf, daß es sich – zumindest im Neapel des Jahres 1820) mitnichten lohnt, Beamter zu sein, droht ihm doch nach dreißig Jahren des Dienstes, ohne Pension in Pension geschickt zu werden. Da ihm dies als Krimineller nicht passiert wäre, beschließt er also ein wenig das Recht zu seinen Gunsten zu nutzen, Andrea Coclé davon zu überzeugen, sich zu dem Attentat zu bekennen und somit seine Position als Polizeiminister zu sichern. Der Reiz besteht hierin natürlich dabei, daß das Libretto erwiesenermaßen der heutigen Realität entgegensteht und es heute Staatsbeamten sind, die ordentlich abkassieren, egal ob mit 600.000€ bei der ÖBAG oder 250.000€ bei der Staatsoper. Daß die heutigen Zustände dabei kein einziges Mal explizit erwähnt werden und dennoch jeder weiß, was gemeint ist, macht erst die Qualität aus. Herr Kranner zeichnet eine ambivalent-pittoreske Figur und schafft es so, Kabarett allererster Güte auf die Bühne zu bringen. Bravo Reinwald Kranner, das war brillant!

Und dann sind da noch die drei namenlosen Mannequins zu nennen, gespielt von Diana Bärhold, Lilia Höfling und Lucia Miorin. Wobei es hier richtiger ist, von „getanzt“ zu sprechen, denn das ist es, was alle drei tun. Dabei sind sie gleichzeitig auch Ausstattungsgegenstände, von Lampen hin zu Tischen, wechseln die Rollen zu Richtern oder Polizisten und bilden so einen wesentlichen Bestandteil der Magie, die dieser Abend versprüht. Auch die Umsetzung der synchronen und ausdrucksstarken Choreographien von Kerstin Ried sind hier hervorzuheben, unterstreichen sie doch gekonnt die Handlung auf der Bühne und erinnern fast schon an Cartoon-artige Szenen. Bravi, bravissimi meine Damen!

Umrahmt vom Wiener Kammerorchester unter unter der Leitung von Ingo Martin Stadtmüller wird durch sein volles Spiel ein farbenfroh funkelndes Napoli erschaffen, welches unsere Phantasie beflügelt und uns ein grandioses Lächeln aufs Gesicht zaubert. Ein Abend mit grandioser Unterhaltung, der die Stilistik großer Samstagabend-Shows, Elemente des Revuetheaters, Kabarett im Stile Gerhard Bronners mit die fabelhaften Musik Erich Wolfgang Korngolds verbindet und dabei (ganz wie Luise) flimmert und schimmert: Gewitzt, voller Finesse, humorvoll und liebenswürdig – Bravi, bravissimi tutti!

 

E.A.L.

 

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