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WIEN / Jugendstiltheater: Oper WOMAN AT POINT ZERO

Eine kraftvolle, multikulturelle Stimme des Feminismnus

24.05.2024 | Oper in Österreich
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Dima Orsho (Fatma), Carla Nahadio Babelegoto (Sama) und Ensemble Zar. Alle Fotos: Wiener Festwochen / Kurt Van der Elst

WIEN / Jugendstiltheater am Steinhof: Oper WOMAN AT POINT ZERO

23. Mai 2024 (Festwochen-Premiere 22. Mai 2025)

Von Manfred A. Schmid

Die feministische Oper Woman at Point Zero von Bushra El Turk (Musik) und Stacy Hardy (Text) wurde bereits bei internationalen Festivals in England (London), Frankreich (Aix-en-Provence), Belgien, Luxemburg und Spanien (Valencia) aufgeführt. Das multimediale Werk feministisch zu nennen, ist naheliegend, weil es darin nicht nur um Ausbeutung, Missbrauch, Erniedrigung von Frauen, erzählt von Frauen, geht, sondern weil Frauen sowohl Regie führen, dirigieren, komponieren, das Libretto schreiben und die Hauptrollen spielen. In Zeiten, in denen darüber diskutiert wird, ob es gestattet ist, dass ein Mann den Text einer Dichterin übersetzen darf, wird sich diese Frage demnächst vielleicht auch beim Schreiben einer Rezension stellen.

Die im Rahmen der Wiener Festwochen aufgeführter Oper Woman at Point Zero basiert auf dem gleichnamigen Roman der ägyptischen Schriftstellerin und Aktivistin Nawal El Saadawi aus dem Jahr 1975 über den Druck und die Einschränkungen, denen Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft ausgesetzt sind. Eine Frau in der Todeszelle erzählt die Geschichte ihres Lebens. Sie wurde missbraucht, vergewaltigt und unterdrückt, kann als Sexarbeiterin erstmals so etwas wie ihr eigenes Ich erfahren, selbstbestimmt leben. Sie emanzipiert sich und wird zu einer Frauenrechtlerin und Aktivistin, bevor sie von brutalen und listigen Zuhältern wieder entmündigt wird. Als sie ihren letzten Zuhälter ermordet, landet sie im Gefängnis. Ihr Bericht gipfelt darin, dass sie jetzt, hinter Gittern und kurz vor ihrer Hinrichtung, erstmals die Freiheit gefunden hat.

Die Librettistin Stacy Hardy führt für die Opernversion eine zweite Figur ein: Sama, eine junge, ehrgeizige Dokumentarfilmerin, besucht Fatma im Gefängnis, stellt ihr Fragen, nimmt ihre Erzählungen auf, bringt sich dann aber auch selbst ein, so dass es zu einem Austausch von Erfahrungen, Erinnerungen und Geheimnissen kommt. Dazu gibt es, eingeblendet aus dem Off, Stimmen von anderen Frauen, nunmehr aus der ägyptischen Gegenwart, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben. Diese dokumentarische Ausweitung zeigt, dass es sich nicht um einen historischen Einzelfall handelt, sondern um eine allgemeingültige Erkenntnis, die an Aktualität leider nichts eingebüßt hat. Allerdings wird diese Einführung zusätzlicher Stimmen zu einem rezeptiven Problem. Sie kommen so unvermittelt und kurz, wie Salven aus einem Maschinengewehr, so dass es oft nicht möglich ist, sie wahrzunehmen und zu verfolgen, obwohl sie auch textlich in Deutsch und auf Englisch angeboten werden. Da wäre eine breitere Ausarbeitung durchaus angebracht gewesen und würde bei einer Gesamtdauer von ohnehin nur 55 Minuten kein Problem, sondern eine Bereicherung darstellen.

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Carla Nahadi Babelegoto (Sama) und Dima Orsho (Fatma)

Die musikalische Gestaltung der Oper durch die englische Komponistin Bushra El-Turk, die sich als Vermittlerin zwischen Kulturen versteht, verschmelzt westliche mit orientalischen Musiktraditionen und setzt dabei auch auf die Kreativität der Musikerinnen und Musiker, denen sie zwar die Strukturen und Harmonien vorgibt, ihnen aber auch Platz für Improvisationen einräumt, und die auch manchmal aufstehen und sich in das Gespräch der beiden Frauen gestikulierend einmischen, Das multikulturelle, sechsköpfige Ensemble Zar kann mit hierzulande ungewohnten Musikinstrumenten aufwarten. Neben Cello und Akkordeon zu hören sind u.a. noch Duduk (eine armenische Variante des Englischhorns), Daegeum (eine koreanische Bambusflöte) sowie Kamancheh (eine Stachelgeige, wie sie in der iranischen und aserbaidschanischen Musik üblich ist), was den klanglichen Zauber verstärkt. Allerdings fällt das Klangerlebnis, trotz dieses Aufwands, doch nicht ganz so überwältigend anders aus, was auch für den Gesang gilt. Die Dialoge und Monologe der beiden Sängerinnen, Dima Orsho (Fatma) und Carla Mahadi Babelegoto (Sama) sind eher konventionell modern und klingen so, wie man es von vielen zeitgenössischen Musikdramen her kennt. Gute Textverständlichkeit ist vorhanden. Es gibt Übergänge vom Sprechen über Sprechgesang und Rezitativen zu emotional aufgeladenen ariosen Passagen, die mit Hingabe ausgeführt werden. Faszinierend ist die akustische Verschmelzung der englischen Gespräche mit den auf Arabisch gesprochenen Einwürfen der ägyptischen Frauen und der Instrumentalmusik. Schon beim Betreten des Saals wird man von einem Sprachengwirr umfangen.

Die konzentrierte musikalische Leitung liegt in den Händen von Kanako Abe, die minimalistische Regie und die dazu passende minimalistische Bühne stammen von Laila Soliman und Bissane Al Charif.

Der Applaus für diese Oper, die sich, im Gegensatz zur Mozart-Inszenierung des Festwochenchefs, als sehr festwochentauglich erweist, fällt zustimmend aus. Eine, wie angekündigt, „kraftvolle Stimme des Feminismus“, die gehört werden und Folgen haben muss.

 

 

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