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WIEN/ Jugendstiltheater: JULIA PURGINA „MIAMEIDE“ Die stillen Schwestern (Uraufführung)

24.09.2023 | Oper in Österreich

Jugendstiltheater JULIA PURGINA „MIAMEIDE“ Die stillen Schwestern 23.9. (Uraufführung am 21.9.2023):

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Copyright: Barbara Palffy

In der mittelalterlichen nordischen Mythensammlung, der Lieder-Edda, wird der Weltenbaum Miameide erwähnt. Unter ihm sitzen die drei Nornen der Vergangenheit, der Zukunft und der Gegenwart. Letztere wacht über das Gebären, das Sein und Werden. Das Libretto zu dieser Kammeroper in 8 Bildern gestaltete die in Graz geborene österreichische Künstlerin Kristine Tornquist. Für sie stellen die prähistorischen Höhlenmalereien eine großartige Liebeserklärung an die „Brüder Tiere“ dar, es klaffe jedoch eine große Lücke, nämlich die „Schwestern Pflanzen“. Unsere grüne, sauerstoffreiche Erde, so ist Tornquist überzeugt, ist das „Werk unserer lichttrinkenden, unsterblichen Schwestern“.

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Copyright: Barbara Palffy

In dieser „grünen“ Oper ist die Heldin Mia, eine arbeitslose Frau, die gegenüber einer Sachbearbeiterin am Schalter des Arbeitsmarktservice, die Sprache der Blumen zu verstehen, als ihre einzige Fähigkeit anführt. Ihre erste Stelle in einem Blumengeschäft endet mit einem Hinauswirf, da sie die Klagen der Schnittblumen vernimmt und einem Käufer abrät, diese zu erwerben. Im zweiten Anlauf wird sie in eine Gärtnerei geschickt, scheitert aber daran, die Tomatenstauden mit einem Messer vom Unkraut zu befreien. Im dritten Anlauf erhält Mia dieses Mal einen Posten ohne Pflanzen in einem Bürohaus als Reinigungskraft. Abermals scheitert sie, wird von der Betreuerin beim Arbeitsamt gescholten und soll nun Kurse besuchen, um sich in die Gesellschaft einzufügen. Mia aber hört lieber auf den kleinen Kaktus auf dem Bürotisch, der ihr rät, als Entwurzelte, zu fliehen und ihren eigenen Lebensraum inmitten der Natur zu finden. Und so taucht Mia in einen Wald aus Bäumen und Sträuchern ein und verwandelt sich, was aus der kongenialen Musik der Komponistin an dieser Stelle eindeutig herauszuhören ist, in in eine Pflanze, wobei mich diese nicht sichtbare, aber dennoch hörbare Verwandlung natürlich an die Daphne von u.a. Richard Strauss erinnert hat.

Die Oper Miameide entstand aus der Zusammenarbeit des sirene Operntheaters mit dem Vokalensemble Momentum Vocal Music und dem Ensemble PHACE. Die Komponistin, Univ.Prof. Julia Purgina, geboren 1980 in Straubing, studierte Viola und Komposition. Nach ihrer Oper „Der Durst der Hyäne“ ist „Miameide“ nun das zweite gemeinsame Opernprojekt mit der Kristine Tornquist und es stellte für sie eine große Herausforderung und ein Anliegen gleichermaßen dar, eine Oper über Pflanzen zu schreiben. Auf sinnliche Weise lässt sie uns Zuhörende in die geheimnisvolle Welt der Pflanzen als Schlüssel zu eben dieser eintauchen, denn es werden die Pflanzen sein, die dereinst alles umschlungen haben werden. Die Bühne erinnert etwas an Erl, indem das Kammerorchester hinter einem Vorhang auf der Hinterbühne gemeinsam mit einem „gesichtslosen“ Vokalensemble musiziert, das den Weg in die klangliche Sphäre der Pflanzen weist und an bedeutenden Stellen mit den Bühnenfiguren verschmelzen. Sie wählte eine modulationsfähige, harmonische Sprache mit klaren vokalen und instrumentalen Farben und besonders starken affektiven Stimmungen. In Szene 4 in der Gärtnerei „Ewiger Frühling“ fungiert ein slawisches Lied zweier Akkordarbeiter als harmonische Klammer der Oper wie auch als Drehscheibe zwischen der Welt der Pflanzen und der Menschen. In einem Stopmotionfilm zeigen Julia Lobiseller und Germano Miloze gleich zu Beginn der 70-minütigen Oper auf dem Bühnenvorhang die pausenlos durch die Luft schwebenden und zu Boden gleitenden Pflanzensamen, später die surrealen Bewegungen der Wurzeln, Blüten und Blätter in ihrer ständigen Suche nach lebensspendendem Wasser und Licht, was für die Betrachtenden eine meditative und zugleich suggestive Wirkung entfaltet. Johanna Krokovay steht im Mittelpunkt des Geschehens als etwas naiv wirkende Mia, kurz für Miameide, eine Anspielung an den skandinavischen und germanischen Weltenbaum. Mit ihrem warmen Alt gelingt es ihr im Dialog mit der Flora, diese als Lebewesen begreifbar vorzuführen. Und die Regisseurin und Librettistin Torquist schickt sie am Ende der Oper in den Wald, um sich dort zu transformieren und Bestandteil dieser für sie noch heilen, idealen Welt zu werden. Romana Amerling zeigt mit ihrem furchteinflößenden Sopran eine unsympathische AMS-Sachbearbeiterin, stachelig wie ihr auf dem Schreibtisch stehender Kaktus.  Countertenor Benjamin Boresch gefiel in der Doppelrolle als AMS-Kollegin und als umtriebige Blumenhändlerin.  Bariton Johann Leutgeb ist der Dritte im Bunde der AMS-Sachbearbeiter und Kunde im Blumenladen. Besonders ergreifend besangen Mezzosopranistin Ingrid Haselberger und Tenor Vladimir Cabak in einer melancholischen Melodie in slawischer Sprache ihre Sehnsucht nach der fernen Heimat und ihre Trostlosigkeit als Gastarbeiter. Beide waren in Szene 1 beim Arbeitsamt noch als Arbeitslose zu sehen. Die musikalische Leitung lag in den Händen der in Minsk geborenen Universitätsprofessorin und Absolventin der Studienrichtungen Kirchenmusik und Orchesterdirigieren Antanina Kalechyt. Das praktikable Bühnenbild entwarfen Michael und Markus Liszt sowie Je Jesch, die rollengerechten Kostüme stammten von Maria Mitterlehner. Die fraktale Struktur der Pflanzenwelt wurde von Paul Eisemann äußerst sensibel in Licht eingetaucht. Das unsichtbar auf der Hinterbühne agierende Vokalensemble Momentum Vocal Music unter der Leitung von Tenor Simon Erasimus setzte sich aus Sopran Ekaterina Krasko, Mezzosopran Elisabeth Kirchner, Countertenor Aleksandar Jovanovic und Bassbariton Benjamin Harasko zusammen und bestach gleich zu Beginn mit wunderschönen Vokalisen. Die klangliche Utopie nach einer lebenswerten Natur verhallt am Ende der Oper als mahnendes Memento.

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Copyright: Barbara Palffy

Stürmischer Applaus für alle Mitwirkenden und das Regieteam beendete die Vorstellung, aus der das Publikum nachdenklich den Saal verließ.

   Harald Lacina, 24.9.  

 

 

 

 

 

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