WIEN / Theater in der Josefstadt:
VOR DEM RUHESTAND von Thomas Bernhard
Premiere: 5. September 2013,
besucht wurde die Generalprobe
Mittlerweile sind die „Ehemaligen“, die Jahr für Jahr klammheimlich Hitlers Geburtstag feierten und über den Mann nichts kommen ließen, wohl wirklich ausgestorben. 1979, als Thomas Bernhard sein Stück „Vor dem Ruhestand“ schrieb, lebten sie noch in nicht geringer Anzahl inmitten der Gesellschaft – und sicher auch in der Maske angesehener Staatsbürger, Richter zum Beispiel, und wenn sie auch nicht laut sagen durften, was sie dachten, so war doch mehr oder minder Gras über die Vergangenheit gewachsen.
Heute sind wir wacher als damals, und darum wirkt „Vor dem Ruhestand“, auch wenn es sich dabei um einen mittlerweile historischen Tatbestand handelt, nach wie vor unglaublich brisant, wie die Aufführung im Theater in der Josefstadt zeigt. Denn das faschistische Gedankengut, das hier in der Hexenküche einer in sich geschlossenen Familienhölle gekocht wird, ist ja von erkennbarer Lebendigkeit.
Gezeigt wird dies an einer dreiaktigen, an verbalen Wiederholungen reichen, bei aller Einförmigkeit durch und durch spannenden Familienszene: Rudolf Höller (man beachte den Namen!), einst SS-Lagerkommandant, dann untergetaucht, dann ohne Schwierigkeiten in der BRD (die Bernhard damals zeichnete, weil er den Fall Filbinger vor Augen hatte) zu hohen Ämtern (hier als Gerichtspräsident) aufgestiegen, lebt mit seinen beiden Schwestern im gemeinsamen Haushalt – Vera, der er inzestuös verbunden ist, betet ihn an, Clara, die nach einem Bombenangriff im Rollstuhl sitzt, hasst beide Geschwister, ist ihnen aber ausgeliefert.
Jeden 7. Oktober wird Himmlers Geburtstag gefeiert, weil Höller ihm gewissermaßen einmal die Hand drücken durfte… Dann wird Sekt getrunken, werden alte Fotos betrachtet (verdreckte Juden im Lager hat man auch abgelichtet) und es wird in der Vergangenheit geschwelgt…
Dramaturgisch verfährt Bernhard hier wie in seinen meisten Stücken. Im ersten Akt monologisiert eine Frau (die dabei auch gerne mal bügeln darf) – fast eine Stunde lang liegt die Bewältigung der Textmassen auf den Schultern von Nicole Heesters, die schlechtweg bewundernswert ist. An ihrem Beispiel rechnete Thomas Bernhard mit dem Anteil der Frauen an dem Grauen ab – sie, die sich den Männern und der Gewalt, die sie darstellten, so willig unterwarfen, die bewunderten und zustimmten und nie ihre eigene Stimme erhoben. Vera Höller, die sich mit Leidenschaft „aufgeopfert“ hat, wirkt äußerlich ganz normal – und dennoch stellt Nicole Heesters genau jenes Monster auf die Bühne, das Bernhard gemeint hat.
Den ganzen Abend lang mit verhältnismäßig ganz wenigen (Haß-)Worten auf der Bühne ist Clara, die gelähmte Schwester: Wie sich die attraktive Sona MacDonald „verhässlicht“ hat und mit welcher Intensität sie den Geschwistern ihren Widerstand vermittelt, ist eine Meisterleistung.
Im zweiten Akt kommt dann Rudolf Höller selbst – der ewig missgelaunte Familienfürst, der ununterbrochen Zustimmung und Demut einfordert und sich in Bernhard’scher Suada in seiner schrecklichen Vorstellungswelt ergeht. Michael Mendl, ein aus Fernsehen und Film bekanntes Qualitätsgesicht, erstmals auf einer Wiener Bühne, ist von großartiger Präsenz und schauerlicher Selbstverständlichkeit.
Außer, dass sich Vera optisch (mit Zöpfen und einem Gewand à la Winifred Wagner) in eine der „hohen Frauen“ der Nazi-Ästhetik verwandelt, Höller seine schwarze SS-Uniform anzieht und man – mit Fotoalbum – „feiert“, geschieht, wie bei Bernhard üblich, nicht viel in dem textlastigen Stück. Immerhin ist es Regisseur Elmar Goerden gelungen, die Atmosphäre dermaßen mit Spannung aufzuheizen, dass man wie gebannt an den Lippen von Menschen hängt, die den Müll ihres Denkens abladen. Dabei lässt der Regisseur in Höller und Vera manchmal doch eine Art Unsicherheit aufblitzen, die sie schnell zu überspielen trachten – die aber zeigt, dass sie die Brüchigkeit ihrer Welt möglicherweise fühlen…
Das ist, in einem muffigen Fünfziger Jahre-Bühnenbild (Ulf Stengl & Silvia Merlo, Frage an die Kostümgestalterin Lydia Kirchleitner: Welche Frau trägt zuhause im Wohnzimmer Stiefel, so wie Vera sie anhat?), ein ausgesprochen unangenehmer, verstörender, mühseliger Theaterabend.
Warum man ihn auf sich nehmen soll? Ausnahmsweise nicht aus den Josefstädter Gründen, dass er nämlich so hervorragend gespielt ist. Sondern des Erkenntniswerts wegen.
Renate Wagner