Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Josefstadt: LIEBELEI

04.09.2014 | Theater

Liebelei Josefstadt Sept 2014 Plakat~1Liebelei Josefstadt Sept 2014 Plakat~ jpgLiebelei Josefstadt Sept 2014 Plakat~1

WIEN / Theater in der Josefstadt:
LIEBELEI von Arthur Schnitzler
Premiere: 4. September 2014,
besucht wurde die Generalprobe

Es gibt Schnitzler-Stücke, die man ohne Schwierigkeiten zu uns holen kann – den „Professor Bernhardi“ immer, denn österreichische Verhältnisse haben sich in vielen Dingen nicht geändert (vor allem, wenn es um Politik geht, um Ministerien, um Intrigen), oder das „Weite Land“, weil die Analyse der Reichen und Mächtigen von anno dazumal so spannend ist und in der Rücksichtslosigkeit, die sich da geschildert findet, direkt auf uns weist.

Bei „Liebelei“ liegt das Problem anders: Wir finden weder die gesellschaftlichen noch die psychologischen Voraussetzungen vor, die Schnitzler anno 1895 damals so brisant und aufrührend geschildert hat. Eine heutige Gesellschaft, die nur noch in ihre iPads starrt, weiß vermutlich gar nicht, wovon da die Rede ist.

Von Liebe in ihren Variationen und Nuancierungen, wobei das Stück nur funktioniert, wenn man die soziale Situation berücksichtigt: Die „süßen Mädel“ der Vorstadt, die schamlos und unverhohlen ein „Gebrauchsgegenstand“ der reichen jungen Herren waren, die für die Gesellschaft bezahlten und weiter gar nicht belästigt werden wollten. Ein Geschäft, das nur funktioniert, wenn es auf beiderseitigem Einverständnis basiert. Und das in seinen Grundfesten wankt, wenn Gefühle, echte Gefühle dabei sind. Nun, auch heute noch mögen alte reiche Herren junge Frauen „kaufen“, aber Liebesbeteuerungen, so sie gegeben werden, sind eher fraglich, werden belächelt. Nein, es gibt zu Fritz und Christine in Schnitzlers Stück heute keine wirklichen Parallelsituationen. Weil wir uns auf solche „Liebe“ gar nicht mehr einlassen.

Liebelei AlmaHasun_FlorianTeichtmeister x Fotos: Barbara Zeininger

Wenn man die „Liebelei“ daher spielt, dann soll man einmal die ewige, lästige Frage, was sie „uns zu sagen hat“, was sie „uns aktuell angeht“, beiseite lassen. Auch andere Stücke funktionieren nicht mehr in unserer Welt, in unserem Zeitgeist, und sind dennoch Meisterwerke. Dann belasse man sie, wo sie hingehören, und zeige, was einmal war (damit man sich vielleicht überlegt, was daraus geworden ist).

Aber Regisseurin Alexandra Liedtke kam zu keiner realen Entscheidung. Sie wollte nicht wirklich „modernisieren“ (die Damen tragen sogar lange Röcke! Kostüme: Su Bühler), aber sie wollte doch an unseren Zeitgeschmack anpassen, wofür sie auch eine Menge Schnitzler’scher Formulierungen gestrichen hat. Vielleicht, weil sie sie gar nicht kennt – Verzeihung, die Dame kommt aus Deutschland, was weder ein Schaden noch ein Fehler ist, aber möglicherweise einiges an Wissen und Verständnis ermangeln lässt. Wenn man sagt, „er kann das so nicht leiden“ (mit Betonung auf dem „so“), dann ist das eine Ur-Wienerische Formulierung. Wenn man sich „an der Linie“ trifft, dann war das der Linienwall, von wo aus es wirklich in die Vorstadt ging… Aber nach dem Motto, was ich nicht weiß, kann gestrichen werden, vermisst man da so manches – so man das Stück kennt.

Besonders schlimm, wenn die Regisseurin der „Liebelei“ ihr Sozialgefälle und ihr Milieu austreibt – lächerlich, dass die armen Mädeln (Christine und ihre Freundin Mizi) davon schwärmen, wie schön der reiche Herr Fritz in seiner Innenstadt-Wohnung eingerichtet ist, wenn man es mit leeren Wänden und wirklich billigem Mobiliar auf der Bühne zu tun hat (Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt). Und die Vorstadt der Christine ist nicht in jeder Hinsicht sehr weit weg, sondern um die Ecke auf der Drehbühne und sieht genau so aus wie das Herrenzimmer. Nichts von der Einrichtung, die beschworen wird (nicht die kleinste Schubert-Büste, die wirklich wichtig wäre!), keine Atmosphäre irgendeiner Art – man möchte schwören: Von dort sieht man den Kahlenberg nicht, nie und nimmer.

Und dann auch noch das Geschmäcklerische: Zu Beginn erlebt man Fritz und Theodor, die reichen jungen Herren, nämlich erst einmal längere Zeit – hinter einem Fenster. Man fühlt sich an die schrecklichen Methoden gemahnt, die Castorf oder Katie Mitchell als „originell“ hinstellen wollen, die Schauspieler nämlich so unsichtbar hinter Wänden agieren zu lassen, dass man sie kaum sieht und versteht. Dafür werden sie bei diesen beiden Regisseuren auf riesige Video-Wände geworfen. Die fehlen in der Josefstadt, also muss sich das Bühnenbild drehen, die Fensterfront zur Seite gehen und das gar nicht wohlhabende Zimmer freigeben, in dem der erste Akt spielt. Und, wie gesagt, die Vorstadt des zweiten und dritten Aktes, zuhause bei Christine, ist hier nur drei Schritte weit… Lichtjahre entfernt allerdings von dem, was Schnitzler mit diesem Stück getan, gewollt und erreicht hat.

Also, Fritz liebt Christine nicht, schon gar nicht bei Florian Teichtmeister, aber dennoch schafft er es, die Figur mit seiner Interpretation in den Griff zu bekommen. Er ist nie liebenswürdig oder liebenswert, er möchte sich diese Christine – er kann kaum verbergen, wie lästig ihm ihre Gefühlsduselei im Grunde ist – wirklich nur vom Leib halten, bis hierher und nicht weiter. Jeder Satz für sie eine bemühte Lüge – er hätte auch gar nichts dagegen, sich mit ihrer Freundin Mizi etwas anzufangen (und vice versa).

Wenn dann der „Herr“ kommt, der Ehemann jener Frau, mit der Fritz ein Verhältnis hat, und ihn wie längst erwartet (und damals gesellschaftlich absolut sanktioniert) zum Duell fordert – da spielt Teichtmeister wirklich den jungen Mann, der genau weiß und sich gar keine Illusion darüber macht, dass er übermorgen tot sein wird. Da hat der Tod wirklich angeklopft – Fritz als ein kleiner Jedermann.

Dass er das „süße Mädel“ noch einmal besucht und dabei wie erstarrt steht, ist eine Idee, die er voll erfüllt. Dass gerade eine Regisseurin versucht, die Intensität der Szene unerträglich zu machen, indem sie das Publikum vor die Erwartung stellt, wie viel vom nackten Busen der Christine man zu sehen bekommen wird, wirkt verdammt sexistisch. Andererseits – dass der Sex, den Schnitzler ausklammern musste (1895 erwartete man schon einen Skandal, als zwei junge Mädchen zu einem jungen Herren zu Besuch kamen), eine Rolle spielt, ist klar. Es wird auch immer wieder ohne weiteren Genierer angedeutet. Macht nichts, schließlich hat Schnitzler auch den „Reigen“ geschrieben – und ohne Sex ist bei ihm kein süßes Mädel davon gekommen.

Liebelei _OttoSchenk

Teichtmeister schafft es, eine interessante Facette des Fritz zu spielen – und Otto Schenk ist als Weiring, Christines alter Vater, die einzige Schnitzler-Figur auf der Bühne. Der schlichte „Mann aus dem Volk“ (und ausgerechnet Violinspieler im Theater in der Josefstadt, als man dort noch Volksstücke mit Orchesterbegleitung spielte…), der Mann, dessen Humanität weit über die starre bürgerliche Moral hinausreicht. Schenk ist der einzige an diesem Abend, der den richtigen Ton findet, sich auch einbremst, wo er zu einem Zuviel an Sentimentalität neigen würde, und da alle anderen so anders, so fremd sind, ist er dann eigentlich als Schnitzlers letzter Kämpfer der Fremdkörper in dieser Inszenierung…

Da spielt Matthias Franz Stein den Theodor, den an sich unbeschwerten und dabei trocken nüchternen Freund von Fritz: Schon die Sprache macht aus ihm ein Stück Künstlichkeit, er spricht wie ein Prolet, der versucht, sich Hochdeutsch auszudrücken, ohne einen Hauch der Selbstverständlichkeit von Schnitzlers Dialog mitzubringen.

Der Auftritt des „Herren“ wird von Alexander Strobele so unterspielt, dass man kaum Ahnung davon bekommt, wie viel Groll, Wut oder auch nur Abscheu diesen Mann umtreibt (man sollte zumindest spüren, was er hinter der Fassade versteckt): Immerhin sieht er grimmig genug aus, dass man weiß – der wird nicht gnädig daneben schießen.

Alma Hasun mag in Wien geboren sein, die Website ihrer Agentur mag unter „Dialekten“ auch „Wienerisch“ verzeichnen, aber das stimmt nicht: Den Ton eines Wiener Mädels hat sie weder in der Stimme noch im Gefühl. Sie wirkt fremd, forsch, heutig, man ist nicht sicher, ob sie mit Christines tiefem Gemüt überhaupt etwas anfangen kann – zu vermitteln vermag sie es jedenfalls nicht.

Noch weniger überzeugend steht es um die beiden anderen Damen des Stücks, berühmte Glanzrollen übrigens – eine Schlager-Mizi, die auf sich hält, „stiehlt“ den ganzen ersten Akt. Eva Mayer ist so gut wie nicht vorhanden, so diskret, dass sie weder Persönlichkeit noch Schicksal hat. Noch schlimmer die Frau Binder der Therese Lohner, eine phlegmatische Trauerweide, wo Schnitzler hier das „Gefratschle“ der hohen Schule der Wiener Intrige so vollsaftig imaginiert hat. Ihre Tochter auftreten zu lassen, ist eine Szene, die bisher die meisten Regisseure zurecht als vernachlässigenswert erachtet haben – hier gibt es noch ein Stück Künstlichkeit in dieser seltsamen Verkrampfung, die unter dem Titel „Liebelei“ geführt wird.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken