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WIEN / Josefstadt: FOREVER YOUNG

31.01.2013 | Theater

Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt:
FOREVER YOUNG von Franz Wittenbrink
Uraufführung
Premiere 31. Jänner 2013,
besucht wurde die Generalprobe

Man kennt die Methode, sie war oft genug erfolgreich: Franz Wittenbrink, der mit seiner Kenntnis der Musik quer durch E und U wahrscheinlich in jedem Fernseh-Quiz Millionen gewinnen könnte, hat sein eigenes Genre kreiert. Er nimmt sich ein frei gewähltes Thema und lässt seine Interpreten dazu singen. Dabei schafft er es, einfach durch die Aneinanderreihung von Musikstücken eine Dramaturgie zu kreieren.

Dergleichen gibt es auch auf Bestellung – derzeit in der Josefstadt, wo man den „großen Alten“ des Hauses wieder einmal reichlich zu tun geben wollte. Unter dem Titel „Forever Young“ dürfen sie noch einmal zeigen, was sie können, und das ist enorm.

Der Raum ist ein köstliches altes Wiener Kaffeehaus (Bühnenbild: Miriam Busch), so abgewohnt, wie man es sich nur vorstellen kann (inklusive dem schneckengleichen Kellner) – einziges Zugeständnis an die neue Zeit ist eine Raucherecke, aus der es dann gewaltig hervorqualmt. Da sitzen die Stammgäste, nicht daheim und doch zuhause (froh, vom wahren Zuhause weg zu sein), und sinnieren über das Leben. Und weil die Josefstadt so glanzvoll besetzen kann, macht sich jeder Schauspieler aus seinen paar Songs und Möglichkeiten ein Schicksal. Franz Wittenbrink selbst sitzt zwar während der Vorstellung selbst am Klavier (dazu noch zwei Kollegen rechts hinten, die Band für jeden Anlass), aber er hat auch mit Verve inszeniert – und von den Darstellern gilt ohnedies nur: Wehe, wenn sie los gelassen!

Allerdings ist das vor allem in der ersten Hälfte des Abends der Fall, wo ironisierte Sentimentalität, überdrehte Frechheit und das Mit-dem-Entsetzen-Scherz-treiben sich ungehindert entfalten darf und das Publikum best gelaunt in die Pause schickt. Dann hat sich Wittenbrink offenbar entschlossen, dem „Forever Young“ die Luft abzudrehen: Nun dürfen sich alle daran erinnern, dass sie sterben müssen. Und selbst wenn eine der Damen sich als potentielle „schwarze Witwe“ erweist, einen alten Herren heiratet und schlimme Pläne hat – das Ende erfolgt so abrupt und unlustig, dass Wittenbrink nicht etwa der Fröhlichkeit die Besinnlichkeit draufsetzt, sondern sich als der Stimmungsmörder seines eigenen Werkes betätigt. Das ist nicht Pech, das ist, schlicht gesagt, Dummheit.

Dem Erfolg des Josefstädter Abends wird es keinen Abbruch tun, denn dazu ist die Besetzung zu stark – die Wiener, die der Schauspieler wegen ins Publikum gehen, können ihren Lieblingen nicht widerstehen. Und die dürfen ja in allen Schattierungen glänzen.

Otto Schenk ist der „Herr Ober“, der sich nicht hetzen lässt und der einen Höhepunkt des Abends liefert, den sich kein Opernfreund entgehen lassen darf: Er singt die „Gralserzählung“ – aber auf Russisch! Wenn er die Ankunft der Taube ankündigt, fixiert er sein in der Hand zusammen geknülltes weißes Kellner-Tuch mit unnachahmlicher Leidenschaft. „Noch viel schöner als auf Deutsch!“ versichert er, und man will es ihm fast glauben… Im übrigen hat er es (mit Ausnahme von „Das Glück is a Vogerl“) nicht so sehr mit dem Singen, als vielmehr mit sketchartigen Einlagen. Und da setzt er dermaßen auf das Absurde, Skurrile, für das brave Publikum teils Unverständliche, dass ihn wohl viele verzweifelte Blicke treffen: Was macht er da? Das wird für ihn Abend für Abend das große Erlebnis sein – wie verschieden das Publikum, je nach seiner Zusammensetzung, auf die Hohe Schule des Geblödels reagiert…

Die anderen haben es insofern leichter, als ihnen nichts abverlangt wird, was nicht leicht zu begreifen ist. Am schönsten kommt hier Gideon Singer zum Zug, der kostbare „Hausjude“ der Josefstadt, der endlich auch einmal jüdisch (nein, jiddisch) sein darf und zeigt, dass er zum Klezmer auch die Geige kratzen kann (aber wirklich kratzen…). Wenn er am Ende der Auserwählte einer berechnenden Dame ist, als Don Quijotte „Dulcinea“ schmachtet, versichert, dass „Diamonds are a Girl’s best Friend“ sind (dazu muss man nicht einmal die Monroe sein) und am Ende zu „True Love“ der falschen Schlange auf den Leim geht, ist er über weite Strecken der König des Abends, so hinreißend in seiner Ausgelassenheit wie in seiner Eigentümlichkeit (und Bernstein-Ähnlichkeit…).

Da ist noch Kurt Sobotka, der sich hie und da vom Schachspielen abhalten lässt und Pointen aus dem Altersalltag liefert, wobei er ewiges Interesse an der Weiblichkeit bekundet. Desgleichen Albert Rueprecht, vor gut 40 Jahren neben Michael Heltau der schönste junge Mann der Josefstadt (und beide der Inbegriff dessen, was man sich unter jungen Herren bei Arthur Schnitzler vorzustellen hatte), jetzt noch immer erstaunlich gut aussehend, der ganz auf der romantischen Welle zwischen Lehar und Hollaender (Friedrich natürlich) schwebt und Abfuhren von weiblicher Seite mit lächelnder Würde hinnimmt.

Am schrillsten darf Toni Slama mit seinem Rollator über die Bühne fetzen, Fendrichs „Es lebe der Sport“ dröhnen und auch sonst Unverwüstbarkeit bekunden – bis es ihm gegen Ende fast an den Kragen geht: Erst Bachs „Ich freue mich auf meinen Tod“ (was ja wohl eines der entsetzlichsten Statements ist), und dann lässt Wittenbrink aufhorchen, als Rilkes unvergleichliches „Herbsttag“ gesungen wird (man wüsste von keinem Berühmten, der dies komponiert hat – die Vertonung stammt, wie man feststellt, von Wittenbrink selbst).

Aber wenn die Figur, die Slama spielt, nicht so krank wäre, hätte er nicht eine so unvergleichliche Krankenschwester wie Ruth Brauer-Kvam, und damit ist man bei den Damen, den Prunkstücken des Abends. Diskretion ist keine Ehrensache, die Ruth Brauer fegt los, schwanger, böhmakelnd, optisch wie aus dem Mistkübel entstiegen (Kostüme: Nini von Selzam), die Besitzerin einer Wunderstimme und Wundertechnik, als Interpretations-Feuerwerk nicht zu toppen.

Wenn sie überhaupt zu erreichen ist, dann nur von der schönen Sona MacDonald mit adäquaten stimmlichen Qualitäten, im engen grünen Kleid ganz die verführerische Schlange, die das Publikum lustvoll dabei zusehen lässt, wie sie ihre Gifttränkchen mixt…

Es ehrt Eva Mayer als des Kellners Enkelin, dass sie mit diesen beiden mithalten kann und ein Damentrio bildet, das die Josefstadt wackeln lässt, wenn sie „Crazy People“ singen und tanzen.

So hält man sich an das Positive, hier reichlich vorhanden – und irgendein erfahrener Regisseur wird sich schon finden, der Wittenbrink sagt, wie man sich die Stimmung nicht zusammenhaut und wie man einen wirkungsvollen Stückschluss gestaltet.

Renate Wagner

 

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