WIEN / Probebühne Josefstadt:
DIE GESCHICHTE VOM FRÄULEIN POLLINGER nach Ödön von Horváth
Premiere: 15. Mai 2014,
besucht wurde die Generalprobe
Andere Theater müssen ihre zusätzlichen Bühnen (wahrscheinlich) aufgeben – es ist noch die Frage, ob sich das Burgtheater das Kasino weiter leisten kann. Die Josefstadt hat sich hingegen ihre Probebühne im zweiten Stock des eigenen Hauses zu einer weiteren Spielstätte ausgestaltet, wo man „kleine“ Zusatzproduktionen recht effektvoll präsentieren kann. Das zeigt man nun mit Horvaths Fräulein Pollinger.
Die Dame ist kein Bühnen-Original, sondern das Geschöpf von Horvaths erstem Roman, der erst posthum erschien. Als ob es nicht genügend Stücke von ihm gäbe (zumal solche, in denen unglückliche junge Frauen im Mittelpunkt stehen), haben die Theater immer wieder auf diese Agnes zurückgegriffen. In Wien gab es sie in den letzten Jahrzehnten dreimal – Horvath-Nachlassverwalter und eifriger Herausgeber Traugott Krischke hat das Werk dramatisiert (1973 mit Brigitte Swoboda im Volkstheater gespielt), andere Fassungen boten 1985 das Theater beim Auersperg und 1999 nochmals das Volkstheater (damals mit Chris Pichler). Und wenn man sich recht erinnert, hat Regisseur Michael Gruner die Geschichte damals ganz ähnlich angepackt wie die „Josefstädter“ (die keinen dezidierten „Bearbeiter“ angeben, der die Fassung erstellt hat) es diesmal tun – zwei Darsteller, eine für Agnes, der Mann für alle Rollen, halb erzählt, halb gespielt, mit Musikbegleitung…
Foto: Theater in der Josefstadt / Moritz_Schell
Da ist sie also, die Agnes Pollinger, Anfang der zwanziger Jahre, die Arbeitslosigkeit als Schicksal, der Verkauf der eigenen Person als einzige Überlebensmöglichkeit. Und die Männer – Eugen, der arbeitslose Kellner, die einzige gute Haut, der sie begegnet, der Zimmerherr bei der Tante als Zuhälter, der Maler als Akt-Produzent, der Metzgerssohn mit Auto und Geld, dem man die Mädels (darunter auch Agnes) gewissermaßen „zutreibt“…
Die gewählte lapidare Form erweist sich als recht einsichtig, verfremdet die Geschichte ausreichend, behält den seltsamen Horvath-Ton ohne Sentimentalität, und zeigt von Seiten des Regisseurs Fabian Alder nur einige Willkürlichkeiten: Dass das Aktbild, das der Maler Lachner von Agnes herstellt, nun eine Art provokantes Pornofoto (oder gar ein Film?) ist, der aussieht wie eine Damisch-Komposition, zieht die Geschichte künstlich in die Gegenwart, und auch dass die beiden Protagonisten plötzlich wie Möchtegern-Stars hinter Mikros zu singen beginnen, wirkt nicht eigentlich logisch und einsichtig. Die beiden Musiker (Roman Britschgi, Oliver Roth) zupfen, blasen und kratzen und stellen mehr Geräuschkulisse als „wirkliche“ Musik her. Das wiederum ist einzusehen.
Raphaela Möst, jung, schmal, eine Mischung aus innerer Müdigkeit und gar nicht zynische Abgebrühtheit, und Matthias Franz Stein, der vom braven Kerl bis zum miesen Strizzi ein paar Typen differenziert, sind überzeugende Interpreten des Horvath’schen Elends. Warum man es allerdings schon wieder vorgeführt bekommt, das versteht man nicht. Aber das Ganze ist gut genug gemacht, dass man die 75 Minuten auf der Josefstädter Alternativ-Bühne nicht bereut.
Renate Wagner