WIEN/ ImPulsTanz: Tao Ye / TAO Dance Theater mit „13 & 14“ und „16 & 17“ im Volkstheater Wien
Mit vier Stücken seiner Numerical Series gastiert das in Beijing beheimatete chinesische TAO Dance Theatre zum ersten Mal bei ImPulsTanz. Zwei wundervolle Abende mit je zwei Stücken verbergen sich hinter den so bescheidenen Titeln „13 & 14“ und „16 & 17“. Die Werke sollen für sich sprechen, nicht deren Titel, so der Choreograf Tao Ye. Dass die Titel jeweils auch die Zahl der Performenden benennen, ist nur eine vom eigentlichen Gehalt abgesetzte Information. Bei der Verleihung der Silbernen Bären an das TAO Dance Theater bei der Biennale in Venedig vor zwei Jahren ergab sich für Intendant Karl Regensburger dann endlich auch die Möglichkeit für eine Einladung zu ImPulsTanz.
Wolkenkratzer und die Verbotene Stadt. Hochtechnologie und Dreitausend Jahre Geschichte treffen in der Hauptstadt Chinas aufeinander. Tradition und Moderne verschränkt auch das TAO Dance Theater in seinen vier Stücken, mit denen sie vor Wien in Venedig waren und nach ihren begeisternden ImPulsTanz-Auftritten in Paris gastieren werden. Die vier jeweils 25 bis 27 Minuten langen Arbeiten bringen neben herausragender tänzerischer Qualität eine einzigartige kreative Handschrift auf die Bühne des Volkstheaters.
In „13“, dem zwölften Stück der Serie, tragen die TänzerInnen lange, weite Kostüme in Grau- und Erd-Tönen. Alle sind irgendwie gebrochen, farblich uneinheitlich und mit unsymmetrischen Schnitten (Kostümdesign: Duan Ni). Die Klavier-Musik von Xiao He entwickelt mit ihrer sich steigernden und zum Ende wieder reduzierten Komplexität in ihren jazzigen rhythmischen und harmonischen Strukturen einen Spannungsbogen, der zudem wie ein Ausschnitt aus einem ewig währenden Kreislauf, aus einer unendlichen Wellenbewegung zu sein scheint.
TAO Dance Theater: „13“ (c) Fan Xi
Als dicht gedrängt stehende Gruppe beginnt das 13-köpfige Ensemble. Langsam gehend und sich dabei um die eigene Achse drehend wandern sie über die Bühne, ihre Formation zwischenzeitlich auflockernd, um am Ende wieder eng beieinander zu stehen. Die Augen sind das ganze Stück lang geschlossen. Plötzliche Eruptionen unterbrechen den ruhigen Fluss der Bewegung. Eines dieser geschlechtslosen Wesen springt einem anderen in die Arme, wird gehalten, fallen gelassen. Immer andere tun es ihnen gleich, um sich danach sofort wieder einzureihen. Es ist wie eine nicht gelingende Meditation. Paare bilden sich. Es wird gewalttätig, wenn die Gruppe zwei Liegende mit den Füßen stoßend über den Boden rollt. Immer wildere Aktionen, immer heftigere Moves mit Werfen, Stoßen und Schleudern. Und plötzlich wieder Ruhe und Sammlung.
Unter den so unbewegten Oberflächen, in diesen scheinbar in sich Ruhenden brodelt es mächtig. Die Aggressionen, die die gewaltsame Disziplinierung des Einzelnen hervorrufen, können nicht mehr durchgehend kontrolliert werden. Sie durchbrechen ein allzu eng geschnürtes Korsett aus Überwachung und Disziplinierung.
In „14“ verschieden einfarbigen Kostümen tanzt das Ensemble in vollkommener Synchronizität unterschiedlich lange Sequenzen, die von Pausen mit eingefrorenen Bewegungen voneinander getrennt werden. Zu alldem klackt unerbittlich ein Metronom (oder ein Sekundenzeiger) mit ganz fein variablem Klang. Ein Mehr an Sound oder Musik gibt es nicht. Der Tanz ist außerordentlich dynamisch, die Körper drehen und schwingen mit größter Präzision im Gleichklang, die Menge huscht über die Bühne wie von einem unsichtbaren, beweglichen Gitter organisiert.
TAO Dance Theater: „14“ (c) Duan Ni
Heftigkeit regiert die Bewegung. Zwischen Akrobatik und Kampfsport, Zeitgenössischem und Fernöstlichem tanzen die 14 mit weichen, schwingenden, ausladenden Gesten, mit höchst flexibler Wirbelsäule und Stampfen, Fallen und Erheben. Die weiten Kostüme wehen wie Fahnen im wirbelnden Wind. Und plötzlich Ruhe in der Bewegung. Sie sitzen wie versammelt zur Meditation, aus der sie nach teils lang empfundener, aber spannungsgeladener Zeit unvermittelt wieder in den Tanz wechseln.
Sie sind eine Gemeinschaft von bis zur absoluten Unterschiedslosigkeit vollkommen gleichgeschalteten Menschen, ihrer Individualität, ihres Geschlechts und ihres Alters mit ultimativer Konsequenz beraubt. Nur eben die pastelligen Farben ihrer gleich geschnittenen Anzüge erinnern noch an die Menschen in ihnen. Der mit versteinerten Minen entgegengenommene begeisterte Applaus des Publikums ist Teil des Konzeptes dieser Performance, die erschreckt und bewegt zugleich.
Der zweite Abend beginnt mit „16“, vom chinesischen Jahr des Drachens (2024) inspiriert. In einer Blackbox mit weißem Boden, auch die Bühnenbilder der Stücke repräsentieren den minimalistischen Ansatz von Tao Ye, mäandern die 16 TänzerInnen in ihren schwarzen Kostümen als lange Reihe sich bewegender Körper von hinten beginnend über die Bühne. Die geometrischen Figuren, die dieser Drache in den Raum zeichnet, variieren sie zu Quadraten, Dreiecken, Diagonalen. Am Ende bilden sie ein geschlossenes Oval.
TAO Dance Theater: „16“ (c) Fan Xi
Der Tanz, wiederum vollkommen synchron, wird dominiert von der Wirbelsäulen-Technik des Circular Movement, bei der mit von Hals bis Steiß extrem beweglicher Wirbelsäule kreisende Bewegungen den Raum eines Tanzenden beschreiben und begrenzen. Der Kopf kreist und nimmt den Oberkörper und die Gliedmaßen mit. So kreiert jeder Einzelne seinen Raum, während der Drache sich mit bald ausladenderer, dann wieder reduzierter Schrittlänge über die Bühne windet.
Der elektronische Sound dazu (wiederum von Xiao He) treibt mit konstantem Rhythmus, aber darüber gelegten veränderlichen klanglichen Texturen. Auch Jazz-Klavier und Saxophon sind zu hören. Das Licht fließt durch die Farben des Farbkreises. Minimalistische Ästhetik trifft auf komplexe Bewegungsmuster. „16“ ist reiner Tanz. Der Glücksbringer jedoch beißt sich am Ende in den eigenen Schwanz.
Nach der Pause und nach dem nunmehr dritten Stück überrascht Tao Ye sein Publikum mit „17“. Die wiederum schwarz gekleideten 17 TänzerInnen liegen auf dem Rücken. Es gibt keine Musik, keinen Sound. Sie singen einstimmig ein chinesisches Lied, halten den letzten Ton eine Minute lang. Stille. Einer gibt einen Zischlaut von sich und dreht sich klatschend auf den Bauch, die anderen 16 nach und nach.
Dieses Spiel eines Initiators mit seinen KollegInnen entwickelt der Choreograf zu einer sich in Dynamik und Komplexität enorm steigernden und verdichtenden Performance. Die kurzen Moves und die Laute dazu werden variiert und aus ihrer anfänglichen Reduziertheit heraus entwickelt. Es entsteht eine humorvolle Interaktion zwischen einem „Kommandeur“, dessen Rolle wandert durch das Ensemble, mit seiner Kompanie.
TAO Dance Theater: „17“ (c) Fan Xi
Aus Lauten werden Worte, aus diesen Sätze und Gesang. Auch die Bewegungen und die Beziehungen in der Gruppe werden vielseitiger und -schichtiger, mit diversen, verteilten Synchronizitäten. Immer aber frieren sie kurz bis lange ein nach einer Aktion. Es entstehen chaotische, parallele und serielle Formationen mit anschließendem Freezing. Akrobatik und Tanz verschmelzen mit der Stimme, die Laute malt, spricht und singt, zu einer Klang-Körper-Installation.
Auch die Stimmen allein werden Gegenstand einer choreografischen Inszenierung. „17“ taucht ein in die Dynamiken, die sich zwischen den TänzerInnen, zwischen ihren Kehlköpfen und ihren Bewegungen und zwischen Zeit und Raum ergeben können. Klang und Bewegung fluktuieren aus Stille und Reglosigkeit heraus wie sich in Stimme und Körper materialisierende Energie. Äußerst spannend und mit fesselnder Komplexität. Am Ende erzeugen die Körper mit ihrer Bewegung auf dem Boden Klänge.
Tao Ye erweist sich als ein äußerst kreativer Geist und vielseitiger Choreograf, zu Recht gefeiert auf der ganzen Welt. Seine physisch und mental sehr anspruchsvollen Arbeiten, deren faszinierende Ästhetik und die unglaubliche Präzision und tänzerische Meisterschaft dieses jungen, hochklassigen Ensembles begeistern. Jedes Stück wurde mit sofort losbrechendem Jubel bedacht.
Die kostümtechnische Gleichmacherei mag das Publikum von jedem Aspekt fernhalten, der die Konzentration auf den Tanz zu stören in der Lage wäre. Tao Ye lässt über den Tanz hinaus reichende Inhalte nur in feinen Nuancen durchscheinen. Gesellschafts- und Systemkritik werden durch herausragenden Tanz gut geschützt und einem feinsinnigeren Publikum als nur potentielle Thematiken präsentiert. Das TAO Dance Theater beschloss das diesjährige ImPulsTanz-Festival mit diesem auch noch am letzten Abend gezeigten einzigartigen Geschenk.
Tao Ye / TAO Dance Theater mit „13 & 14“ und „16 & 17“ am 06. und 09.08.2025 im Volkstheater Wien im Rahmen von ImPulsTanz.
Rando Hannemann