Impulstanz 2024 in Wien: Affekte mit Jahreszeiten und in einer Poesiemelange
Es mag wohl nur ein gewisser Kreis eines speziellen Publikums sein, welches sich zu den auf Bewegungssprache bezogenen Performances von kleinen Gruppierungen oder Solisten hingezogen fühlt – doch zur Eröffnung der alljährlichen Wiener Impulstanz-Veranstaltungsreihe hat eine Endlosschlange vor dem Museum Angewandter Kunst geduldig gewartet, um eingelassen zu werden. Die Eröffnung mit den Installationen ‚Choreographic Objects‘ von William Forsythe, dem früher in Deutschland wirkenden New Yorker Tanzpionier, der in den 80er, 90er Jahren die Szene mitgeprägt hatte, lockte sie an. Mit einer Überfülle an diversen Veranstaltungen hat es in der Hitzewelle begonnen. Ziemlich faszinierend ist, wie in den nun bereits in den vier Jahrzehnten des Bestehens die Tanzworkshops & Research Projects & Public Moves & International Education Programms & Impulstanz Social in guter Organisation und mit viel Subvention ausgebaut worden sind. Und auch Gastauftritte zumeist immer wieder eingeladener persönlich geprägter kleineren Kompanien finden im Volkstheater, im Burgtheater wie in Miniperfomances in diversen Lokalitäten und Museen ihr gut mitgehendes Publikum.
Der bekannteste Namen in den ersten Tagen: Die Belgierin Anne Teresa de Keersmaeker, deren Gruppierung Rosas zu den arriviertesten der europäischen Koproduktionen-Szene zählt – und die gerade wegen offensichtlicher heikler Zustände im Ensemble angegriffen wird. Rosas ist jetzt mit vier Tänzern ins Volkstheater eingezogen, hat unter dem Titel „Il cimento dell’armonia e dell’inventione“ auf leerer Bühne eine Interpretation zu fallweisem Erklingen von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ geboten. In typischer Körpersprache-Manier, mit beschreibenden Kommentaren wie „ … die Tänzer bewegen sich entlang komplexer Muster aus geraden und geschwungenen Linien sowie quer durch verschiedene Bewegungsideen. Gesten wandern zirkulierend, werden geteilt, untereinander weitergereicht und vielfältig verwandelt.“ Muss nicht gerade aufregend sein, doch die sich wiederholenden Actions werden mit sehr großer Intensität ausgeführt. Und natürlich gehören auch eigenartige Sprünge, kurioses Hüpfen, Drehungen oder wiederholtes sich am Boden wälzen zu dieser Ausdrucksweise dazu.
William Kentridge erzählt um einiges gehaltvoller, wesentlich phantasievoller in seiner Poesiemelange „The Great Yes, The Great No“ (Burgtheater / ein gemischtes exzellentes Sänger-Schauspieler-Tänzer-Musiker-Ensemble aus Südafrika, Kentridges Heimat / UA beim Festival in Aix-en-Provence). Ein kleiner Geniestreich, sehr lebendig aufbereitet, auch optisch reizvoll, aber im Wirrwarr doch auch nicht durchgehend spannend: 1941, auf der Flucht vor den Nazis finden Intellektuelle, Künstler auf einem Schiff zusammen, dessen ironisierender Kapitän Charon ist, in der Antike der Fährmann in das Reich der Toten. Auf französische Kulturgrößen wie Surrealist André Breton, Anthropologe Claude Lévi Strauss treffen wir in einem bunten Maskenspiel. Doch auch Trotzki, Stalin oder Hitler wie Josephine Baker können wir kurz begegnen. Sie tragen völlig unterschiedlich – singend, aufschreiend, spielerisch, neckisch, immer nervig – ihre Aphorismen, Zitate, Sprüchlein vor. Ein afrikanischer kleiner Damenchor kommentiert beseelt. Alles, so ziemlich alles ist in diese aufwendige und des öfteren irr wirkende Performance hinein katapultiert. Kentridge wie Charon locken ihre illustren Persönlichkeiten wohl nicht auf ein Totenschiff – doch Yes und No mögen als affektierte Spiegelungen derer Lebenswege gedacht sein.
Meinhard Rüdenauer