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WIEN/ ImPulsTanz: Liquid Loft mit „IN MEDEAS RES“

18.07.2024 | Ballett/Performance

WIEN/ ImPulsTanz: Liquid Loft mit „IN MEDEAS RES“

Filigran, zerbrechlich wirkt das Setting, in das Chris Haring gemeinsam mit den beiden TänzerInnen Hannah Timbrell und Dong Uk Kim seine neueste, hier uraufgeführte Arbeit hinein choreografierte. Aufgehängte hautfarbene Fetzen, davor stehen Objekte von Patrizia Ruthensteiner. Sie erinnern an für menschliche Köpfe kunstvoll gestaltete Greifvogel-Masken, erweitert um bei Bewegung zischende Antennen, einen blubbernden Becher oder rasselnde Spiral-Federn.

Haring ließ sich für seine Medea inspirieren von der Darstellung dieser Figur in Pierre Paolo Pasolinis Film „Medea“ von 1969, in dem dieser die Hauptrolle mit der Sopranistin Maria Callas besetzte, die in dem Film jedoch keinen einzigen Ton singt. Gefragt war ihre Fähigkeit zur expressiven, dennoch feinfühligen Darstellung komplexer Charaktere. Chris Haring interessiert die mit gewaltigen inneren (und äußeren) Konflikten kämpfende Figur der Medea. Das Sperrige und die fragmentierte Erzählweise des Films prägen auch „IN MEDEAS RES“.

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Liquid Loft/ChrisHaring: „IN MEDEAS RES“, im Bild: Dong Uk Kim (c) Michael Loizenbauer

Eingespielte Gesprächsfetzen. Das Paar plaudert über die Zerlegung des Körpers, über die Projektion der Idee von jemandem, über Angst und Trauma, über das Töten im Traum und fragt am Ende: „Wie alt ist diese Geschichte?“ Der Sound von Andreas Berger, viel aus dem Off kommend, mit drohenden, dann chaotisch kreischenden Klangwolken, mit dem Eigenklang der Objekte – auch die gequälte Erde lässt er mit durch die PerformerInnen gedehnten Spiralfedern am Boden stöhnen – bis zum Song einer Singer-Songwriterin am Ende gibt Vieles an inhaltlichen Deutungsmöglichkeiten dazu.

Mit Live-Video und wirkungsvoll eingesetzten Lichteffekten (Licht und Bühnenbild: Thomas Jelinek) – einmal strahlt Don Uk Kim sein Gesicht von unten an, dass es auf die Rückwand projiziert erscheint wie eine leere Maske – erzählt das Stück auf einer weiteren Ebene von den die nur imaginierte Hauptfigur zerreißenden inneren Konflikten, deren Darstellung durch die beiden herausragenden TänzerInnen trotz aller gestischen Abstraktion eine emotionale Wirkung erzeugt.

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Liquid Loft/ChrisHaring: „IN MEDEAS RES“, im Bild: Dong Uk Kim, Hannah Timbrell (c) Michael Loizenbauer

Chris Haring taucht mit dieser Arbeit tief ein ins Unbewusste. Die Dissoziation der Persönlichkeit der Medea (in einem weiblichen und einen männlichen Teil) ist der Rettungsanker, der ihr das psychische Überleben ermöglicht. Jene Spaltung ist zudem ein starkes Bild für die Fülle an psychischen Aspekten, die ihr Recht auf ein gelebt Werden kraftvoll anmelden. Die männliche Seite krampft, leidet unter sich, ohne in die Emotion einzutauchen. Anders das Weibliche, das diese auslebt. Ihre Ehrlichkeit ist die Basis für potentielle Heilung.

Ausgeprägte Sensibilität, durch die sich’s lebt wie mit abgezogener Haut, macht verletzlich. Sie ist andererseits eine ungeheure Kraft, der sich die doppelgesichtige Hauptfigur in diesem Stück bedient. Haut spielt eine wesentliche Rolle. Einerseits als vom Körper losgelöstes, abgesetztes Objekt, womit sich die Grenzen zwischen Außen und Innen auflösen mit der Konsequenz gesteigerter Vulnerabilität, andererseits als Co-Performer, dessen Dehn- und Formbarkeit Möglichkeiten für neue, andere Identitätsentwürfe schafft.

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Liquid Loft/ChrisHaring: „IN MEDEAS RES“, im Bild: Hannah Timbrell, Dong Uk Kim (c) Michael Loizenbauer

Auch hier tanzen Körper als physische Repräsentanten archivierter und momentaner psychischer Ereignisse. Die beiden PerformerInnen Hannah Timbrell und Dong Uk Kim erweisen sich mit ihrer Reife, Ausdrucksstärke, Präzision und darstellerischen Potenz als ideale Besetzung. Ihren Job als BühnenarbeiterInnen – die Objekte, Kameras und Lichtquellen sind vielfach umzuordnen und zu steuern – beherrschen sie souverän.

Der Animismus der Rolle der Medea in Pasolinis Film wird in eigensinnig poetische, durch ihre Abstrahiertheit und Mystik nicht eben leicht lesbare Bilder übersetzt. Die Ästhetik des Stückes ist eine Liquid Loft’sche. Sie funktioniert. Die dramaturgischen Brüche sind die in der Persönlichkeit der Medea. Das Stück erzählt von bereitstehenden kulturellen, medialen und gesellschaftlichen Angeboten für Maskierungen, die ihrerseits ein Eigenleben entwickeln und damit eine toxische Eigendynamik entwickeln, die den Maskierten um so weiter von sich entfernt. Die ewige Aktualität des Stoffes, seine Bedeutung für den Zustand der Welt, weil in soziale Beziehungen, in die Gesellschaft und damit in die Politik hinein wirkend, kann nicht überschätzt werden.

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Liquid Loft/ChrisHaring: „IN MEDEAS RES“, im Bild: Hannah Timbrell, Dong Uk Kim (c) Michael Loizenbauer

Chris Haring erschließt sich mit diesem Stück eine neue Dimension an Tiefe. Er geht über die Darstellung des Leidens an sich selbst, das die Kompanie in einer Reihe von Stücken der vergangenen Jahre ausgiebig und ortsspezifisch variiert feierte, hinein in eine Untersuchung der Ursachen desselben. Und sogar noch weiter. Am Anfang von „IN MEDEAS RES“ standen die beiden TänzerInnen nebeneinander, mit dem Rücken zu uns, am Ende sich gegenüber. So funktioniert psychische Evolution. Das Anschauen unbewusster Aspekte seiner selbst und die bewusste, bewertungsfreie Integration in seine psychische Gesamtheit ist entscheidend für einen Heilungs- und Wachstums-Prozess. Im Kleinen wie im Großen.

Liquid Loft mit „In Medeas Res“ am 17.07.2024 in der Künstlerhaus Factory Wien im Rahmen von ImPulsTanz. Weitere Vorstellungen: 18., 19. und 20. Juli 2024.

Rando Hannemann

 

 

 

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