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WIEN/ ImPulsTanz: Jonathan Burrows und Wim Vandekeybus/Ultima Vez

07.08.2019 | Ballett/Performance

WIEN/ ImPulsTanz: Jonathan Burrows und Wim Vandekeybus/Ultima Vez

Zwei tiefgründige, dennoch humorvolle Arbeiten zeigt ImPulsTanz mit „Rewriting“ von Jonathan Burrows und „Go Figure Out Yourself“ von Wim Vandekeybus/Ultima Vez. Burrows untersucht das Wesen des Choreografierens, während Ultima Vez zum Mitmachen einlädt. Und zur Reflexion.

„Rewriting“ von Jonathan Burrows

Als österreichische Erstaufführung präsentiert der seit 22 Jahren regelmäßige ImPulsTanz-Gast Jonathan Burrows sein Stück „Rewriting“, in dem er anhand von Zitaten aus seinem Buch „A Choreographer’s Handbook“ von 2010 und unter Verwendung von Materialien einer Performance, deren Entwicklung er nach zwei Jahren abgebrochen hat und die er nie auf die Bühne brachte, Ingredienzien des choreografischen Prozesses beleuchtet.

Mit einem dreieckigen Piratenhut auf dem Kopf an einem Tisch sitzend, von einem Stapel Karten immer wieder kleine Teile davon vor sich ausbreitend, spricht er in klarem, deutlich artikuliertem Englisch. Bemerkenswert respektvoll geht er mit seinem Publikum um. Er mischt die Karten, spielt mit ihnen wie ein Zauberkünstler auf dem Tisch und um sich herum, um einzelne aufzunehmen und vorzulesen. Auf diese Weise gibt er seiner Performance einen unvorhersehbaren Verlauf, fordert er seine Intuition heraus.

Jonathan Burrows (UK) – Rewriting © Hugo Glendinning

Diese Karte sagt: „Was passiert, ist das, was zwischen den Aktionen passiert.“ Und er spricht uns von den Planetenkonstellationen, dem Aufbau von Atomen, von den riesigen Räumen und unserem Platzieren von Etwas darin. „Die Lücke zwischen den Dingen zählt.“ „Versuche, Löcher zu schneiden!“ Seine tägliche Praxis beschreibt es so: „Dinge immer und immer wieder tun, bis etwas passiert. Und gleitet es in Kunst?“

„Das ist eine tolle Arbeit! Warum ist sie nicht erotisch?“ „Was passiert mit Material, das benutzt wurde und die Ziele nicht erreichte?“ „100 Milliarden Galaxien, in jeder ebenso viele Sterne. Kein Platz kann sich als Zentrum fühlen. Aber in Relation zu den Anderen ist jeder eines.“ Und auch die Quantenphysik ist Basis für Betrachtungen. „Wo und wann ist etwas? Schon. Beinahe. Das. Hier. Und.“

Sehr bescheiden und geradezu weise, mit lyrischer Metaphorik formuliert Jonathan Burrows tiefe Wahrheiten, deren Gehalt weit über choreografisches Schaffen hinausreicht. Die Poesie, die er in Zuständen, Bedingungen, Zusammenhängen, im So-Sein der Dinge entdeckt, ist umwerfend. Großartig!

„Rewriting“ von Jonathan Burrows, am 5., 6., 7. und 8. August im Leopold Museum.

„Go Figure Out Yourself“ von Wim Vandekeybus/Ultima Vez

Der belgische Choreograf, Filmemacher und Regisseur Wim Vandekeybus studierte zuerst Psychologie, bevor er 1985 bei Jan Fabre anklopfte. Im Jahr darauf gründete er „Ultima Vez“. Mit seiner Kompanie ist er seit nunmehr 30 (!) Jahren, heuer mit der 26. Arbeit, Gast bei ImPulsTanz. Die mumok Hofstallung gibt mit ihrem langgestreckten Saal einen wenigstens räumlich idealen Rahmen für die im März 2018 in Brüssel uraufgeführte Performance „Go Figure Out Yourself“, in der die fünf TänzerInnen Sadé Alleyne (mit ihrer Zwillingsschwester auch in ihrer gemeinsamen Performance „A Night’s Game“ zu sehen gewesen), Maria Kolegova, Hugh Stanier, Kit King und Tim Bogaerts zwischen Schauspielerei und Tanz agieren. Aber nicht allein. Das Publikum wird zum sinnstiftenden Akteur hierbei.


Wim Vandekeybus: UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself4  © Danny Willems

Die breiige Akustik in der Hofstallung erschwert das Verständnis der so umfänglich eingesetzten Sprache zuweilen erheblich. Zudem ist die Sicht auf das Geschehen durch die vielen umstehenden Zuschauer oft eingeschränkt. Egal. Wenn man sich abfindet mit dem, was man erhaschen kann, bleibt immer noch genug, um sich mitnehmen zu lassen. Wohin? Zur Besichtigung seines eigenen Schattens (des psychologischen, versteht sich, C. G. Jung sprach als Erster von ihm), von dem Sadé hier in kleinerer Runde erzählt, der uns besser kennt als wir (nachdem sie einige gefragt hatte, warum sie hier sind). Um anderen und vor allem auch sich selbst dabei zuzusehen, wie jene langschwänzigen Bewohner von Hameln gefangen zu werden von Rede und Tat, wie Mitläufer (hier auch wörtlich gemeint) zu Mittätern werden. Weil es Spaß macht, mit allen zusammen. Und er hat es ja gewollt von uns, der Mann auf dem Podest (Hugh Stanier glänzt in der Rolle des verbalen Verführers).

Bildergebnis für WIEN/ ImPulsTanz: Jonathan Burrows und Wim Vandekeybus/Ultima Vez
Wim Vandekeybus :UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself  © Danny Willems

Zu dissonanter Musik rennen die fünf wie eine Horde Affen auf allen Vieren durch die Halle, aggressiv, regrediert. Zum „Ave Maria“ vollführt Kit King Kunststückchen, dem Publikum sehr nahe. Welche Athletik dieser kleine Mann verkörpert! Und er lacht wie irre … Am Ende tanzen die fünf zu treibenden Rhythmen. Wow! In die von Wohnzimmerlicht beleuchtete Disco laden sie das Publikum ein, das sie schließlich johlend in die wohlverdiente Dusche entlässt.


Wim Vandekeybus :UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself6  © Danny Willems

Intensiv und meisterlich von fünf einzigartigen Charakteren getanzt, wundervoll gespielt von diesen Darstellern und mit Drive in Wort, Musik, Lichtdesign und Bühnenbild in das Publikum gedrückt, verschüttet aller Frohsinn trotzdem nicht den Tiefgang dieser Performance. Natürlich bewegen wir uns hier in einer Theater-Situation, die wirklich Spaß macht. Soll sie auch. Aber nicht nur.

„Go Figure Out Yourself“ bricht die Grenzen zwischen PerformerInnen und Publikum auf, um den Zuschauenden auf subtile, listig-subversive Weise aus seiner ethisch-moralischen und seiner psychologischen Komfort- und Sicherheitszone heraus zu holen. Das hier (noch) konsequenzenlose Treiben, das alles akzeptiert und nichts bewertet, taugt dazu, die, die es annehmen, mit einer Reihe von tiefgreifenden Fragen zu entlassen.


Wim Vandekeybus :UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself2 © Danny Willems

„Go Figure Out Yourself“ von Wim Vandekeybus/Ultima Vez, am 5., 6., 7. und 8. August in der mumok Hofstallung.

Rando Hannemann

 

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