WIEN/ ImPulsTanz: ISMAEL IVO und sein Balé da Cidade de São Paulo mit „Um Jeito de Corpo“
Die Musik des 1942 geborenen Caetano Veloso, einem nicht nur in Brasilien hochverehrten Dichter, Liedermacher und Sänger, bildet die Grundlage für das 2018 in São Paulo uraufgeführte Ballett „Um Jeito de Corpo“. Eine hochdynamische Arbeit, die nicht nur optisch von immenser Farbenfreude geprägt ist.
Ismael Ivo, Balé da Cidade de São Paulo & Morena Nascimento (BR) Um Jeito de Corpo4 © STIG
Die brasilianische Choreografin und Tänzerin Morena Nascimento, von 2008 bis 2010 festes Ensemblemitglied des Tanztheater Wuppertal von Pina Bausch, entwickelte nach einem Konzept und der Idee von Ismael Ivo mit „Um Jeito de Corpo“ („Ein Weg des Körpers“) ein Stück, das mit seinem Bewegungsvokabular und seiner Anmut versucht, die Poesie des Caetano Veloso in eine eigene, tänzerische Sprache zu übersetzen.
Seine klaren politischen Überzeugungen, musikalisch und textlich ungemein kreativ formuliert und mit dem sanften, fragilen Timbre seiner Stimme zu Musik verschmolzen, brachten Veloso Gefängnis und Exil ein. Wegweisend für die brasilianische Kultur war seine „Erfindung“ des „Tropicalismo“, in dem er Volksmusik, Bossa Nova, Rock und Avantgarde verband. Für „Um Jeito de Corpo“ wurde diese Musik bearbeitet. Geloopt, mit Samples und Audiomaterial gemischt und zu Original-Percussion gespielt, entstand eine akustisch vielgestaltige Basis für den Tanz, zwischen brasilianischem Volkslied und hämmerndem Elektronik-Pop.
Die wie ein Atrium gehaltene Bühne (Marcel Kaskeline) wird von einem in wechselnden kräftigen Farben leuchtenden Himmel bedeckt. Das stimmungsvolle Lichtdesign von Aline Santini unterstützt die Dynamik der Choreografie. Und die Kostüme! Farbenpracht in den wehenden Kleidern und Bikinis, von beiderlei Geschlecht getragen, düstere Passagen werden in gedeckteren Farben getanzt.
Ivo: Baleda Cidade de Sao Paulo Nascimento. Um Jeitode Corpo (c) Karolina Miernik
„Um Jeito de Corpo“ stellt in beinahe atemloser Rasanz eine Fülle von Themen auf die Bühne. Die 17 Frauen und 16 Männer tanzen in Soli, Gruppen- und Massen-Szenen Vergewaltigung, den Terror der brasilianischen Militär-Diktatur (1964-1984), homoerotische Liebe, sexuelle Anspielungen. Mit Pfauenfedern in der Hand preisen sie Schönheit und Reichtum, nicht frei von Eitelkeit. Eine Dunkelhäutige entscheidet sich gegen den Druck der Masse für Bildung. Rassismus und Gewalt, nicht nur gegen Frauen, sind dominante Themen. Ein Transgender schreit seine seelischen Qualen hinaus in die Bewegung, eine Frau setzt sich die Pistole an die Schläfe. Und trotzdem immer wieder überbordende Lebensfreude und unschuldiger Sexappeal.
Ivo: Baleda Cidade de Sao Paulo Nascimento. Um Jeito d eCorpo (c) KarolinaMiernik
Sie zitieren klassisches Ballet und Capoeira, Karneval und Disco-Takt, wo alle mitmarschieren, Ausdruckstanz zu Neuer Musik und Massenszenen zu Volksliedern. Die ungeheure Energie, die allem innewohnt, überträgt sich aufs Publikum. Die Präzision und Virtuosität, die Emotionalität und Authentizität, die kraftvolle Körperlichkeit und die Sensibilität der Kompanie im Ganzen wie auch jedes, wirklich jedes einzelnen Tänzers sind herausragend.
Am Ende weht rote Erde in jenes Haus, und ein langhaariger Tänzer brilliert in einem Solo. Erotik pur.
Ismael Ivo: Balé da Cidade de São Paulo & Morena Nascimento (BR) – Um Jeito de Corpo6 © STIG
„Um Jeito de Corpo“ ist ungemein dicht und hoch politisch. Bei allem scheinbar Spielerischen: Die Kraft und Poesie der Bilder, die Genauigkeit, die mitreißende Schönheit, die rauschhafte Sinnlichkeit und der in allem präsente Wunsch nach Freiheit überwältigen. Großartig!
Das Haus verfällt, der Wind weht schon den Sand hinein. Und doch bleibt Hoffnung. Aus Prinzip.
Seit 2017 ist Ismael Ivo, der 1984 gemeinsam mit Karl Regensburger das ImPulsTanz-Festival gründete und immer noch dessen künstlerischer Berater ist, der Direktor des Balé da Cidade de São Paulo. Dem Choreografen und Tänzer wurde am 23. Juli 2019, im Anschluss an die österreichische Erstaufführung des Stücks „Um Jeito de Corpo“, im Burgtheater das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen.
Ismael Ivo, Dr. Jürgen Meindl, Karl Regensburger. Burgtheater(c)KarolinaMiernik
Die Überreichung erfolgte durch den Sektionsleiter für Kunst und Kultur im Bundeskanzleramt Österreich, Dr. Jürgen Meindl, in Vertretung des Bundesministers Mag. Alexander Schallenberg.
Sektionschef Dr. Meindl zum Werk des Ausgezeichneten: „Die Faszination, die die Arbeit von Ismael Ivo auf uns alle ausübt, liegt in der Verbindung des Körperlichen mit dem Intellektuellen, die seinen Choreografien immer auch zugrunde liegt. Zurecht weist er darauf hin, dass seine Kunst eine politische ist und keine, die nur auf technischer Perfektion des Ensembles beruht. Seine Choreografien sind als Denkmuster zur Erlangung der Freiheit zu verstehen, und in diesem Sinne sind seine Botschaften universell.“
Das Publikum spendete dem sehr gerührten Künstler lang anhaltenden, stehenden Applaus.
„Um Jeito de Corpo“ von Morena Nascimento im Burgtheater Wien, Vorstellungen am 23., 24., 25. und 26. Juli 2019
Rando Hannemann