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WIEN/ ImPulsTanz im Volkstheater: Anne Teresa De Keersmaeker mit „FASE“ 4 Movements to the Music of Steve Reich

19.07.2023 | Ballett/Performance

WIEN/ ImPulsTanz im Volkstheater: Anne Teresa De Keersmaeker mit „Fase“

Mit dem Untertitel „4 Movements to the Music of Steve Reich“ beschreibt die belgische Ikone des zeitgenössischen Tanzes Anne Teresa De Keersmaeker das Konzept ihrer nach „Asch“ von 1980 zweiten, 1982 uraufgeführten Arbeit, mit der sie praktisch über Nacht Weltruhm erlangte. Im Alter von 22 Jahren für sich und Michèle Anne De Mey choreografiert, übergab sie das Stück nun an eine jüngere Generation von Tänzerinnen.

Der in diesem Stück verfolgte Ansatz, die Beziehung zwischen Tanz und Musik nicht nur zu untersuchen, sondern mit dem Tanz auf gestischer, räumlicher und zeitlicher Ebene eine zusätzliche physische Ebene zur akribisch analysierten Musik zu generieren, sollte für ihr Werk zum zentralen Anliegen werden. Sie möchte die Musik keinesfalls illustrieren, sondern ihr eine neue Dimension hinzufügen, wie sie in einem Interview erläuterte.

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Anne Teresa De Keersmaeker „Fase“ „Piano Phase“ © Anne Van Aerschot

„Phase“ choreografierte sie zu vier repetitiven Kompositionen des amerikanischen Minimalisten Steve Reich. Die Stücke Piano Phase (1967), Come Out (1966), Violin Phase (1967) und Clapping Music (1972) sind Kompositionen für Piano, Stimme, Violine und Hand-Clapping, in denen das Prinzip der Phasen-Verschiebung zwischen den einzelnen, zu Beginn vollkommen synchron verlaufenden Stimmen auf virtuose Weise umgesetzt wird. Die allmähliche Entwicklung in ein chaotisch anmutendes Gemisch aus vertikalen und horizontalen, also harmonischen und melodischen musikalischen Strukturen entfaltet eine geradezu hypnotische Wirkung, die der Tanz noch verstärkt.

Die beiden jungen Tänzerinnen Laura Bachman und Soa Ratsifandrihana erscheinen zu „Piano Phase“ in schwingenden wadenlangen Kleidern. Ihre vollkommen synchrone, mit Drehungen und geschwungenen Armen durchsetzte Bewegung auf einer Linie parallel zur Rückwand fließt in eine minimale, sich verstärkende Asynchronität der Gesten selbst und ihrer zeitlichen Ausführung. Jedoch nicht parallel zur musikalischen Entwicklung, sondern auch zu dieser zeitlich fließend versetzt. Ein Balken aus Licht auf dem Boden führt sie von hinten in die Mitte und nach vorn sowie wieder zurück. Die Klavier-Musik schwebt auf der Sekunde, einen Ganzton über dem Grundton, was ihr eine ungeheure Spannung verleiht. Die Bewegungen werden zackiger, kurze „Ha“-Laute, die Dynamik steigert sich und entfaltet eine trance-artige Stimmung. Auf ihrem Weg zurück nach hinten beruhigt sich der Tanz allmählich und findet, wie die Musik, zurück in die Parallelität. Das Zwiegespräch mit ihren drei Schatten auf der Rückwand, der mittlere ist die Überlagerung von beiden, es scheint wie eine Höhlenwand im alten Griechenland, bringt eine weitere Dimension in dieses Stück.

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Anne Teresa De Keersmaeker „Fase“ „Come Out“ © Anne Van Aerschot

Zwei Stühle unter zwei orangefarbigen Lampen und eine Stimme, die „Come out to show them“ wie mit einem Sprung in der Schallplatte repetiert. Nun in Hose und Bluse bewegen sie im Sitzen Kopf und Arme kantig-energisch, drehen sich um 90 Grad, verlieren ihren Gleichklang, die Stimme überlagert sich bis ins pure Geräusch, sie drehen sich 45, 90, 135 Grad, bald gegenläufig. Das Licht erhellt allmählich Rechtecke unter ihnen. Es scheint, als sähe man ihre Schatten in einem Fenster. Die Sogwirkung des Stückes ist kolossal.

Nach zwei Duetten tanzt Soa Ratsifandrihana „Violin Phase“ allein. Wiederum im Kleid, das Licht gibt ihr ganz langsam Sichtbarkeit, ist ihr Thema nun der Kreis. Weil die Komposition in ihrer Form einem Rondo ähnelt, ist zu lesen. Sie schreitet, mit Drehungen und Beinschwüngen garniert, den Umfang ab in Vierteln, hin und her, dann die Radien 90 und 45 Grad versetz, die Durchmesser, sie zerlegt den Kreis in Tortenstücke, die Drehungen werten intensiver, das Licht aus den Ecken vorn wirft Schatten an die Rückwand, deren Größe sich mit ihrer Stellung im Raum ändert. Das bringt zusätzliche Dynamik in dieses packende Solo, das ganz plötzlich endet.

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Anne Teresa De Keersmaeker „Fase“ „Violin Phase“ © Anne Van Aerschot

Der Sound in „Clapping Music“ ist rhythmisches Händeklatschen. Die beiden Tänzerinnen, wieder in Hose und Bluse, hüpfen mit Schritten und wechseln den Stand von den Fußsohlen auf die Zehenspitzen. Absolut synchron, sehr häufig, schnell. So schnell, wie auch dieses Stück einen einsaugt. Das Licht: Ein Rhombus an der Rückwand, ein Balken auf dem Boden. Das Prinzip bleibt. Zunehmend phasenverschoben repetieren und variieren sie. Die Bewegungsabläufe sind hoch kompliziert. Sie bewegen sich langsam diagonal durch den Raum in Richtung der zwei Lampen, überbinden so die Stücke. Ihre Schatten in den Licht-Fenstern am Boden. Plötzliches Ende. Keine Stille. Der Jubel im vollbesetzten Volkstheater, nach den eh schon mit Zwischenapplaus bedachten Teilen, bricht sofort los.

Was für eine physische und mentale Leistung der beiden Tänzerinnen! Sie leisten Schwerstarbeit. Die Dramaturgie der Arbeit mit der Musik-Auswahl und deren Reihung, mit den choreografischen Strukturen, dem Bewegungsmaterial, dem Bühnensetting, dem Licht und den Kostümen macht aus den vier Teilen eine Einheit. Eine ohne Geschichte, ohne Charaktere. Die Feinheiten liegen in den Variationen, denen der Bewegungen, des Stellungsspiels im Raum, der Bezüge zueinander und zu den Grenzen des Raumes und in der zeitlichen Bezogenheit zu Musik und Partnerin. Es fasziniert, entrückt uns dem gefangen Sein in einer, der unseren Welt gerade durch das Spiel mit den Formen, das immer wieder wie nach einer befreienden Katharsis in eine auf eine andere Ebene gehobene Harmonie zurückfindet. Unerschütterlicher Optimismus!

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Anne Teresa De Keersmaeker „Fase“ „Clapping Music“ © Anne Van Aerschot

Anne Teresa De Keersmaeker ist seit 1994 fast in jedem Jahr zu Gast bei ImPulsTanz. Allein das verweist auf das gewaltige Euvre und dessen Bedeutung für die Welt des zeitgenössischen Tanzes. Mit „Fase“ jedoch schrieb sie Tanzgeschichte. Es ist ein Schlüsselwerk für den sich aus der Postmoderne herauslösenden zeitgenössischen Tanz, auch nach über 40 Jahren noch frisch, mit sich jedem Zeitgeist, aller Mode entziehendem Bewegungsmaterial, das mit seiner Konkretheit, seiner Prägnanz und Direktheit, seiner ungeheuren Präzision, der trotz allem spürbaren Geschmeidigkeit in Dramaturgie und Choreografie begeistert.

„Fase“ ist „ein kongeniales Spiel mit sich kontinuierlich verändernden Formen und Mustern“, das durch seine Transparenz Vornehmheit und Noblesse ausstrahlt. Die Selbstverständlichkeit, mit der diese 2 Frauen ihr So-Sein ausstellen, das mit diesem Tanz transportierte Selbstbewusstsein, ihr Agieren als Einheit machen das Stück zudem zu einem feministischen Statement. Faszinierend, hypnotisierend, begeisternd, spektakulär, visionär. Ein rauschhaftes Vergnügen!

 

Anne Teresa De Keersmaeker mit „Fase, 4 Movements to the Music of Steve Reich“ am 17.07.2023 im Wiener Volkstheater im Rahmen von ImPulsTanz.

Rando Hannemann

 

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