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WIEN/ ImPulsTanz im Leopold Museum: Liquid Loft mit „Stand-Alones [polyphony]“

05.08.2019 | Ballett/Performance

WIEN/ ImPulsTanz im Leopold Museum: Liquid Loft mit „Stand-Alones [polyphony]“

In acht leere Säle des Leopold Museums hinein choreografiert hat Chris Haring seine jüngste, hier als Uraufführung präsentierte Arbeit „Stand-Alones [polyphony]“, in der acht PerformerInnen allein je einen Raum füllen mit ihrer Einsamkeit. Und der Zuschauer wird Mit-Performer.


Arttu Palmio LiquidLoft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Das Leopold Museum, das die weltweit größte Schiele-Sammlung und das Egon-Schiele-Dokumentationszentrum beherbergt, bot mit acht in einem Rundgang begehbaren Räumen, deren Wände nur ein paar Dübellöcher zieren, einen idealen Rahmen für die Inszenierung von acht Soli, die in ihrer Ästhetik wie fort gelebte Schiele-Dramen erscheinen. Schwer atmende PerformerInnen kauern an den Wänden „ihrer“ Säle. Einige Mobilboxen liegen herum, die Spots strahlen von der Decke. Das Publikum wandert durch den Elends-Zoo. Und irgendwo, irgendwann, bewegt sich was. „Ahh“ klingt’s lang gezogen aus der Box neben ihr, und Anna Maria Nowak zerrt dabei mit aufgerissenem Mund an ihrem Gesicht, entstellt den Blick, um hernach in der Mitte, nun ohne Hose am Boden liegend und sich krampfig windend, unverständliche Sprachfetzen aus der Box stumm mitzusprechen. Im Schulterstand in der Ecke, aus der Box rauscht’s, über jener vor der Wand hockend und viel zu schnell eingespieltes Sprechen affektiert simulierend, sich mit freiem Oberkörper ihr ruckendes Bewegen vom Knirschen und Splittern aus der Box triggern zu lassen, sackt sie schließlich in sich zusammen.


Dong Uk Kim Liquid Loft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Im Nachbarraum Dong Uk Kim, der im güldnen Strechkleid irgendwas von Tränen in der Nacht und sexuellen Phantasien mit-redet. Die Box spricht vor. Zum Pfeifen des Kurzwellen-Radios stöhnt er, erregt windet er sich, vom Sound ein- und ausgeschaltet, an der Wand. In weiteren Räumen und ihren individuellen Rollen: Luke Baio, Stephanie Cumming (auch choreographische Assistenz), Katharina Meves, Dante Murillo, Arttu Palmio und Hannah Timbrell. „Liquid Loft“ zählen wegen ihres hohen künstlerischen Anspruches zu den bekanntesten und geschätztesten Kompanien zeitgenössischen Tanz- und Performance-Schaffens Österreichs. In dieser separierten Konstellation jedoch war umso eindrücklicher die individuelle Klasse eines jeden Mitgliedes zu erleben.


Stehanie Cumming Liquid Loft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Das Publikum bewegt sich frei durch die Räume, verweilt nach Belieben. Durch die ausschließlich und unveränderlich von der Decke strahlenden Spots wird auch der Zuschauer zum Performer, indem er/sie sich selbst durchs Licht bewegt und so seinen Status als anonymer und in jeder Hinsicht Unbeteiligter verliert. Geschickt arrangiert von Thomas Jelinek (Lichtdesign und Szenografie). Stefan Grissemann steuerte Theorie und Text bei, Roman Harrer das Bühnenmanagement.

Die von den TänzerInnen selbst gesteuerten akustischen Emissionen (Komposition, Sound: Andreas Berger) werden in leise Orchestermusik aus vergangenen Zeiten hineingestellt. Das geschwindigkeitsvariierte Geplapper (Sprache, der inszenatorisch ihr Sinn genommen wurde) übertönt sie, und das langgezogene „Ahh“, das ein irgendwie reduziertes emotionales Engagement andeutet, lassen keine Ballsaal-Seligkeit aufkommen. Jeder leidet in seinem Raum allein. Nur akustisch dringt vom Nachbarn her wie eine Ahnung vom Außen etwas ein in diese Innen-Welt.


Anna  Maria Nowak, Dong Uk Kim. Liquid Loft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Am Ende treffen sich die Acht im größten Saal zum finalen physischen Crescendo. Und es erinnerte an Disco-Treiben. Jeder für sich und alle gemeinsam … Den PerformerInnen, dem künstlerischen Leiter und Choreografen Chris Haring und dem beteiligten Team wurde lautstark gedankt.

Die verstörende Ästhetik der Bilder des Expressionisten Egon Schiele, neben Oskar Kokoschka und Gustav Klimt einer der bedeutendsten Maler der Wiener Moderne, ist in den acht betanzten Sälen überraschend gegenwärtig. Die Bewegungssprache, die skulpturalen Intermezzi, die Sprach-, Sound- und Geräuscheinwürfe und natürlich die verzerrten Körper und Gesichter mit jenen oft ungleichen „Schiele-Augen“ stellen seine inneren und die Dämonen seiner Zeit in aktuelle Kontexte. Wohlstandsgetriebene Individualisierung und damit verbundene Vereinsamung mit all ihren Konsequenzen einerseits und das durch soziale Medien und Konformitätsdruck inzwischen legitimierte, scheinbar erzwungene Seins-Modell der dissoziierten Persönlichkeit andererseits sind zeitgenössische individuelle Effekte. Nervosität, Angst und Wut, Verzagen und Verzweifeln, psychische Fragilität und trotz allem einen Willen zum Leben ließen uns die Stand-Alones spüren. Auch in uns. Vereinsamte (Spiegel-) Bilder einer Ausstellung, deren mehrfacher Besuch zwecks Besichtigung wirklich aller „Exponate“ gelohnt hätte.

„Stand-Alones [polyphony]“ von Liquid Loft, Vorstellungen am 2., 3. und 4. August 2019 im Leopold Museum Wien.

Rando Hannemann

 

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