Wien/ ImPulsTanz/ Burgtheater: „Masurca Fogo“ von Pina Bausch
Pina Bausch (DE) – © Pina Bausch Foundation
Das Tanztheater Wuppertal, dessen Gründerin und langjährige Choreografin Pina Bausch vor zehn Jahren starb, gastiert mit vier Vorstellungen ihres 1998 uraufgeführten und in Lissabon entstandenen Stückes „Masurca Fogo“ im Wiener Burgtheater. Auf karger Bühne, wie ein erkalteter Lavastrom ragt ein Berg in eine weiße Box, reihen sich vornehmlich in Lissabon und auf den Kapverden beobachtete Begebnisse des so alltäglichen Lebens zu sinnlichen, absurden und humorvollen Episoden.
Mit einem feurigen Solo zu einem auf die ganze, von Peter Papst gestaltete Bühne projizierten Video Akkordeon spielender Dunkelkhäutiger beginnt die atemlose Reise durch die Emotionen. Selten benutzen Bausch und ihre TänzerInnen Sprache, hier wird viel erzählt. Eine in Luftballons gekleidete Frau berichtet aus ihrer Kindheit, wie eine eitle und selbstzentrierte Lehrerin die Schüler verbal und physisch zwang, ihre Schönheit zu preisen. Und die Ballons platzen.
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch (DE) – Masurca Fogo (Julie Shanahan + Rainer Behr) © Oliver Look
Ein Mann berichtet von den drei Arten des Orgasmus: Positiv („Oh yeah!“), negativ („Oh no!“) und metaphysisch („Oh my god!“). Ein Brüller! Eine Frau kippt sich nach vergeblichem Rufen des Kellners ein ganzes Kilo mitgebrachten Zuckers über ihre Espresso-Tasse. Und eine freundliche Frau fragt vorn Sitzende: „Good by! Where are you from?“ Sie planschen im Plastikplanen-Schwimmbecken wie Kinder, während ein Walross grunzend über die Bühne kriecht. Eine Frau windet sich mit ihren Einkäufen auf dem Boden und wird angehupt.
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch (DE) – Masurca Fogo (Ophelia Young + Michael Strecker) © Klaus Dilger
Liebe, Lust und Leidenschaft, Hoffnung und Verlangen, Einsamkeit und Sehnsucht, Macht und Ohnmacht zeigt „Masurca Fogo“. Höchst sensibel und doch distanziert beobachtet, entstehen expressive Soli und dynamische Gruppenszenen, von gefühlvoller, auch swingender Musik, Tango und vielen portugiesischsprachigen Liedern begleitet.
Zum Ende hin tanzt eine Frau ein sehnsuchtsvolles Solo in der auf die Bühne projizierten Brandung, deren Rauschen lauter und lauter wird, mit überwältigender Emotionalität. Das Abschlussbild, viele auf dem Boden liegende Paare und ein Video mit im Zeitraffer aufblühenden Blumen, dazu der Hollies-Song „Sometimes all I need is the air that I breathe and to love you“, ist eine vieldeutige Liebeserklärung.
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch (DE) – Masurca Fogo © Milan Nowoitnick Kampfer
Mit „Masurca Fogo“ als einem von mehreren Werken mit regionalen Wurzeln und Bezügen, auch dieses Stück entstand in enger Zusammenarbeit mit ihren TänzerInnen, erweist sich Pina Bausch einmal mehr als eine Ausnahme-Künstlerin von herausragender internationaler Bedeutung. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der das Stück daherkommt, ist niemals flach. Mit tiefer Menschlichkeit, Empathie, Respekt und Vertrauen in ihre TänzerInnen als Leitlinien ihrer Arbeit formuliert sie den Ausdruck von Gefühlen als wichtigstes Ziel. „Mich interessiert nicht so sehr, wie sich Menschen bewegen, als was sie bewegt.“ Mit sicherer Intuition entwickelt sie eine formenreiche Körpersprache, die auf einer tiefen, jenseits der sprachlichen Möglichkeiten liegenden Ebene anspricht. Ihr Ringen um größtmögliche Wahrhaftigkeit und Authentizität bleibt auch durch viele ironische Überzeichnungen hindurch immer spürbar.
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch (DE) – Masurca Fogo (Ruth Amarante) © Laszlo Szito
Das tänzerische Niveau und die schauspielerischen Leistungen beeindrucken. Bemerkenswert ist das Alters- und und das physische Spektrum der 21 TänzerInnen des Tanztheaters Wuppertal. Urgesteine der Kompanie und erst in den letzten zehn Jahren Hinzugekommene agieren wie aus einem Guss. Beredtes Zeichen für die aktive Pflege des Erbes der Pina Bausch und den unverzichtbaren Wert der älteren Generation für ihre Arbeiten und den Tanz im Allgemeinen.
Die ungeheure Zärtlichkeit und Liebe, die Sinnlichkeit und Poesie, die auch vorhandene Brutalität und die implizite Erotik in „Masurca Fogo“ machen dieses Werk, auch wenn ImPulsTanz erst an seinem Beginn steht, sicher zu einem der Highlights des Festivals.
Vorstellungen am 16., 17., 18. und 19. Juli im Burgtheater Wien.
Rando Hannemann